Krieg in der UkraineMit der Geige gegen den Krieg
Die ukrainische Musikerin Marina Bondas spendet Kriegskindern Hilfsgüter und Trost.
Normalerweise würde Marina Bondas jetzt ihre Geige in der Hand halten und für einen Auftritt des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin üben, dem sie seit fast zwanzig Jahren angehört.
Aber es sind keine normalen Zeiten, und deswegen hält Bondas von früh bis spät ein Telefon in der Hand. Sie spricht, schreibt und nimmt Nachrichten auf, um Hilfstransporte für die Ukraine zu koordinieren, vor allem für die Kinder in den umkämpften Regionen. Bondas organisiert Medikamente, Verbandsmaterialien und medizinische Geräte und sucht Fahrer, die «ein bisschen lebensmüde» sind, wie sie es nennt. Gleichzeitig hält sie Kontakt zu Freundinnen und Verwandten in der Ukraine und versucht, ihnen dabei zu helfen, das Land zu verlassen.
Frei hat sie erst kurz vor Mitternacht
Man erreicht Bondas kurz vor Mitternacht am Handy, es sind ihre ersten freien Minuten an diesem Tag. Bondas klingt zugleich energisch und erschöpft, immer wieder bricht ihre Stimme, wenn sie erzählt, was sie aus ihrer alten Heimat hört. Von Flüchtenden, die gezielt beschossen werden, von Familien, die auf dem Weg zur Grenze auf gefrorenem Boden schlafen müssen. Und natürlich von der sich zuspitzenden Situation in Kiew, wo Bondas 1979 geboren wurde.
Sie wuchs in einer russischsprachigen Musikerfamilie auf, ihre Eltern spielen ebenfalls Geige. Anfang der Neunzigerjahre kamen sie als sogenannte Kontingentflüchtlinge nach Deutschland. Im Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester spielt sie seit vielen Jahren die erste Geige.
Muss Kunst politisch sein? Ja, sagt Bondas.
Bondas nahm immer Anteil an dem, was in der Ukraine passierte. Nachdem die Krim 2014 von Russland annektiert und in der Ostukraine der Krieg ausgebrochen war, fuhr sie immer wieder in die betroffenen Regionen, um Konzerte zu geben. Bondas trat in Krankenhäusern und in Ortschaften auf, die kein Wasser und keinen Strom mehr hatten, vor Familien, die sich vor den Granaten in Kellern versteckten.
Meist spielte sie bekannte, leicht zugängliche Klassik von Vivaldi oder Bach. Sie wolle das, was Musik sein könne, weitergeben, sagt Bondas, nämlich «Nähe, Wärme und Trost». Vor allem die Kriegskinder lagen ihr am Herzen, sie unterstützt begabte Kinder und musikalische Einrichtungen.
Muss Kunst politisch sein? Ja, sagt Bondas. Zwar solle Kunst über der Politik stehen und dürfe sich nicht politisch vereinnahmen lassen. «Aber als Musikerin stehe ich in der Öffentlichkeit und habe Verantwortung. Wenn ich die Augen zumache, befürworte ich das, was passiert.» Zu viel sei schon passiert, weil Leute die Augen verschlossen haben, sagt sie.
Bondas spricht, wenn sie die aktuelle Situation in der Ukraine meint, immer vom «grossen Krieg». Den «kleinen Krieg», also die seit Jahren andauernden Kampfhandlungen in der Ostukraine, gebe es auch deswegen, weil sich so viele, auch Künstler, so lange aus allem rausgehalten hätten.
Dass die russische Sopranistin Anna Netrebko Auftritte absagen musste und München den russischen Dirigenten Valery Gergiev als Chef der Münchner Philharmoniker absetzte, befürwortet sie. Sie sei zwar keine Freundin von Kunst-Boykotten oder einer Cancel Culture, sagt Bondas. Aber die beiden hätten Putins Politik immer wieder öffentlich befürwortet, Netrebko habe sogar einmal mit einem prorussischen Separatistenführer in der Ostukraine posiert.
Wer so etwas tue, an dessen Händen klebe Blut.
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