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Rassismus in Italien
Nach den Affenrufen gibt es Mitgefühl von allen Seiten – nur schuld sein will niemand

AC Milan's French goalkeeper #16 Mike Maignan warms up ahead of the Italian Serie A football match between AC Milan and Bologna at the San Siro Stadium, in Milan on January 27, 2024. (Photo by Piero CRUCIATTI / AFP)
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Es war tief in der Nachspielzeit, als Noah Okafor die AC Milan zum Sieg gegen Udinese schoss, 93. Minute, nach einem Eckball, viertes Saisontor. Der Schweizer eilte jubelnd zur Eckfahne, fast die ganze Mannschaft rannte ihm nach.

Aber einige wenige spurteten zurück, vom gegnerischen Strafraum in den eigenen. Denn dieser Sieg, dieses 3:2, war auch ein bisschen ein Sieg für ihren Goalie Mike Maignan. Minuten später stand dieser vor der Kurve mit den Milan-Fans, wurde von ihnen besungen und von den Teamkollegen hochgelebt.

Maignan steht seit bald drei Jahren im Tor der Mailänder, an jenem Samstagabend Mitte Januar erlebte er den Tiefpunkt dieser Zeit, etwas mehr als eine Stunde, bevor Okafor Milan dann doch noch die Ekstase bescherte.

epa11092901 Milan’s players with Mike Maignan celebrate  the victory at the end of the Italian Serie A soccer match Udinese Calcio vs AC Milan at the Friuli - Dacia Arena stadium in Udine, Italy, 20 January 2024.  EPA/GABRIELE MENIS

Ungefähr 25 Minuten waren gespielt, als Maignan Schiedsrichter Fabio Maresca zu sich holte und ihm sagte, was er nicht mehr aushielt. Rassistische Beleidigungen kamen von den Rängen. «Ich empfand tiefe Trauer für Maignan», sagte Maresca später, er habe sich wie ein grosser Bruder verhalten wollen. Erst aber liess er weiterspielen.

Die Rufe hörten nicht auf, nach fünf weiteren Minuten unterbrach Maresca die Partie, Maignan stürmte in die Kabine, sein Team mit ihm. Einige Minuten später wurde das Spiel fortgesetzt, mit Maignan, der bis zur Pause weiter die Affenrufe hinter sich hörte.

Der 28-Jährige schrieb danach auf Instagram: «Es ist nicht der Spieler, der angegriffen wird, es ist der Mann. Es ist der Familienvater. Es ist nicht das erste Mal, dass mir das passiert. Und ich bin nicht der Erste, dem das passiert.»

Betroffenheit auf Social Media

Samuel Eto’o, Mario Balotelli, Romelu Lukaku, sie alle erlebten das schon in Italien. Vor diesen Hintergründen legte Maignan nach in seinem Statement. Ein ganzes System müsse Verantwortung übernehmen, schrieb er. «Wir haben Pressemitteilungen, Werbekampagnen und Protokolle erstellt, und nichts hat sich geändert.» Komplizen seien alle, die Zuschauer, die alles sahen, aber es vorgezogen hätten, zu schweigen. Der Gegner Udinese, der von einem Spielunterbruch gesprochen habe, als ob nichts geschehen wäre. Die Justiz, die bei allem, was passiert, nichts unternehme.

Der Fall Maignan zeigt, wie in Italien damit umgegangen wird, wenn dunkelhäutige Menschen als Affen bezeichnet werden. Auf Social Media solidarisieren sich viele mit Maignan. Fussball-Italien zeigt sich betroffen und mitleidig, scheint aber kein Interesse daran zu haben, sich zu fragen, woher dieser Rassismus in seinen Stadien kommt – und ihn zu bekämpfen. Lieber soll die Show so schnell wie möglich weitergehen.

Das zeigt sich am Beispiel von Matteo Salvini, dem grossen Fussballfan und Rechtsaussen-Politiker. Natürlich liess er es sich nicht nehmen, die Beleidigungen als «beschämend» zu bezeichnen. Aber ist nicht er es, der seit Jahren gegen Migranten wettert, von denen viele die gleiche Hautfarbe haben wie Maignan? Und ist nicht er es, der den italienischen Rassismus als Erfindung von links abkanzelt?

Die Sache mit der Ehrenbürgerschaft

Gegen die fünf Personen, vier Männer und eine Frau, die die italienische Polizei ausfindig gemacht hatte, sprach Udinese zwar jeweils ein Stadionverbot auf Lebzeiten aus. Die Strafe der Liga, ein Geisterspiel, wollte der Verein dann aber nicht akzeptieren, nach Einspruch wurden daraus zwei Heimspiele ohne die Nordkurve.

Neben Salvini schalteten sich weitere Politiker ein. In Udine wollte Bürgermeister Alberto Felice De Toni Maignan die Ehrenbürgerschaft verleihen. Die Abstimmung dazu sah er mehr als zeremoniellen Akt, dann stellte er fest, dass es Widerstand gab. Mitte-Rechts stellte sich gegen De Toni.

Von Salvinis Lega Nord hiess es, Maignan verdiene die Ehrenbürgerschaft nicht. Lega-Politiker Pietro Fontanini sagte, Maignan sollte nicht Ehrenbürger werden, «da dies wie eine Wiedergutmachung für einen Fehler erscheinen könnte, den die Friauler nicht glauben, gemacht zu haben».

Zu all dem schwieg Maignan, was sollte er auch noch sagen? Nach der Partie gegen Udinese spielte er gegen Bologna und Frosinone, in beiden Partien kassierte er Tore aus spitzem Winkel, solche Unsicherheiten zeigte er bei Milan selten. Seine normalerweise starken Leistungen machten ihn zum französischen Nationalgoalie und einem der besten Torhüter der Welt.

Milan diskutiert mit Maignan nun über einen neuen Vertrag, der Spieler fordert mehr Lohn. Ob er bleiben wird, ist unklar, es gibt Interessenten aus der Premier League, die mit noch mehr Geldbündeln wedeln. Auch Bayern München soll interessiert sein.

Ob Maignan bleibt oder nicht, das Problem wird nicht einfach so aus den Stadien verschwinden. «Il Sole 24 Ore», eine der grössten Wirtschaftszeitungen des Landes, schreibt: «Der Fussball hat zweifelsohne viele Fehler. In seiner Brutalität hat er jedoch ein beneidenswertes Verdienst: Er hebt den Schmutz hervor, den wir unter den Teppich der Heuchelei kehren.»