Kolumne «Fast verliebt»Jetzt nochmals Vollgas – oder schon über dem Zenit?
Was sich Menschen in der Midlife-Crisis über sich selbst erzählen, wird eigentlich immer wahr.

Viele Leute in meinem Umfeld sind ein paar Jahre älter als ich, sie schlittern gerade auf die 50 zu – und kommen dabei ein wenig ins Wanken. Es ist die Zeit, in der die vorgegebenen Schritte eines sinnhaften Lebens schon abgeschlossen sind: Schule und Ausbildung sind längst geschafft, der Job wurde gefunden, die Liebe vielleicht auch, und wer Kinder wollte, der hat sie jetzt auch schon ein paar Jahre. Was jetzt?
Um ehrlich zu sein, bin ich ein wenig verwirrt darüber, wie unkreativ die Antworten vieler Endvierziger sind, die ich kenne. Viele zucken nur mit den Achseln und wirken dabei etwas frustriert. Dann kommen Antworten à la: «Das ist schon merkwürdig, diese Realisierung, dass es jetzt körperlich nur noch bergab geht» oder «Plötzlich wird dir klar, dass du manches von dem, was du dir als junger Mensch vorgestellt hast, nicht mehr schaffen wirst.» Willkommen in der Midlife-Crisis.
Eine Krise, die sich wie keine andere auf Partnerschaften auswirkt: Jetzt ist die Zeit der Trennungen, der Scheidungen, der zweiten Chancen. Die einen merken, dass sie sich in Wahrheit nur zur Fortpflanzung gepaart haben. Die anderen greifen panisch nach «etwas Jüngerem», um sich dem eigenen Älterwerden nicht stellen zu müssen.
Wie frischer Schnee liegt die zweite Lebenshälfte vor einem
Ich persönlich finde das alles ein wenig traurig, auch wenn ich das Konzept der Lebenskrise natürlich verstehe. Am Ende jeder Dekade, wenn sich die vordere Ziffer meines Alters ändert, schiebe ich auch eine kleine Krise. Ich bilanziere und richte mich neu aus, überlege mir Wünsche für den nächsten Lebensabschnitt.
Eigentlich wird dieses Spiel doch ab der Lebensmitte erst so richtig interessant, oder nicht? Dann ist der Weg zum ersten Mal nicht mehr vorgezeichnet. Wie frischer Schnee liegt die zweite Lebenshälfte vor einem: Zeit, eigene Spuren zu hinterlassen!
Und ja, es gibt auch in meinem Umfeld Menschen, die ihrer Midlife-Crisis löwinnenhaft entgegengebrüllen. Da ist die Frau mit den Teeniekindern, die jetzt beruflich erst so richtig durchstartet. Ihr Biss und ihre nach vorne preschende Lebensfreude lassen sie gleich zehn Jahre jünger wirken. «So frei, so erfolgreich und so voller Ideen wie jetzt war ich eigentlich noch nie», sagt sie. Und man kann ihr da nur recht geben.
Halb volle und halb leere Gläser
Was ist also die Wahrheit über die zweite Lebenshälfte: Ist es jetzt für alles zu spät – oder geht es erst los? Auf jeden Fall ist jetzt Halbzeit, und Sie wissen ja, was man über halb volle und halb leere Gläser sagt: Sie liegen im Auge des Betrachters.
Ich glaube, bis zur Lebensmitte kommt man notfalls auch mit einer schlechten Lebenseinstellung gut durch: Bis dahin werden wir alle irgendwie durchgeschleust. Danach aber fällt es auf, wenn man eine schlechte Einstellung hat. Die Stützräder fallen weg. Wir sind selbst gefragt. Und was wir uns jetzt prophezeien: Das wird wahr.
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