Frauenfussball-Direktorin Tatjana Haenni«Mein Eindruck bleibt, dass wir etwas den Anschluss verpassen»
Trotz des knappen Ausscheidens: Tatjana Haenni warnt davor, abgehängt zu werden – und spricht über die Zukunft von Nationaltrainer Nils Nielsen.
Sie warnen schon länger davor, dass die Schweiz international an Boden verliert. Hat diese EM das bestätigt?
Das anhand dieser Euro einzuordnen, wäre meiner Meinung nach zu kurz gegriffen. Wir haben uns im Playoff gegen Tschechien erst im Penaltyschiessen qualifiziert, quasi als 16. Team. Ich sehe eher die Resultate im Nachwuchsbereich, beispielsweise U-17 und U-19: Hier qualifizieren wir uns nicht mehr für die Turniere. Die Bilanz von den drei EM-Partien ist gespalten: Gegen Portugal haben wir eher enttäuscht, dafür gegen Schweden und die Niederlande gut mitgehalten. In den letzten beiden Spielen bewegten wir uns nahe am Maximum, das könnte über die Entwicklung hinwegtäuschen – aber mein Eindruck bleibt, dass wir etwas den Anschluss verpassen.
Wieso?
Der Fussball der Frauen entwickelt sich sehr schnell, wir versuchen, einen ungefähr 50-jährigen Rückstand gegenüber den Männern in rasantem Tempo zu schliessen. So hat jedes Land seinen eigenen Weg gefunden. Die Niederlande hatten mit der EM 2017 ein tolles Projekt, das sie an die Weltspitze katapultierte, und in Belgien werden die Mädchen sehr ähnlich wie die Männer gefördert. Es zeigt sich: Wer sich intensiv um die Entwicklung der Frauen kümmert, macht die grössten Sprünge. England zum Beispiel spielte vor zehn Jahren kaum eine Rolle, heute sind sie auf Augenhöhe mit den Besten.
Was muss in der Schweiz also besser laufen?
Grundsätzlich hätten wir gute Möglichkeiten, das zeigt der Männerfussball ja eindrücklich. Aber wir müssen den Mädchen in Sachen Talentmanagement und Nachwuchszentren die gleichen Chancen geben. Wenn wir das hinkriegen, werden wir sofort einen Qualitätssprung haben. Dafür müssen alle zusammenarbeiten: die Clubs, die SFL und der SFV.
Wo wurden dem Schweizer Nationalteam die Grenzen aufgezeigt?
In Sachen Erfahrung, aber auch in der Breite des Kaders. Teams wie Schweden oder die Niederlande sind voller Topspielerinnen, wir haben im internationalen Top-Vergleich nur einige wenige. Ein weiterer Punkt ist die Physis.
Das war offensichtlich. Woher kommt diese Differenz?
Das beginnt bereits im Nachwuchs, U-17- oder U-19-Teams haben in ihren Clubs kaum Athletiktrainer oder Talentmanager, welche die Spielerinnen individuell fördern. Bei den Jungs ist das Umfeld um einiges professioneller. Die Spielerinnen müssten viel früher in einem professionellen Umfeld gefördert werden, nicht erst, wenn sie im Teenager-Alter ins Ausland gehen, sondern bereits mit 14 oder 15.
Wie zufrieden sind Sie mit der Rolle des Trainers am Turnier?
Der Trainer und der ganze Staff haben sehr gut zusammengearbeitet und haben es hinbekommen, dass wir in den letzten beiden Spielen eine Reaktion auf das Portugal-Spiel sahen. Nils Nielsens Bodenständigkeit und Offenheit schätze ich sehr. Es ist im Fussball nicht selbstverständlich, dass man direkt nach dem Spiel so ehrlich zu seinen Fehlern steht, wie er das getan hat.
Sie glauben also, dass er der Richtige ist, um das Team weiterzuentwickeln?
Wenn er für uns nicht der Richtige wäre, würden wir keine Gespräche führen. Der Vertrag läuft noch bis Ende Jahr, Gespräche haben wir bereits vor der EM aufgenommen. Er weiss, dass wir uns für die WM im kommenden Jahr qualifizieren wollen, er natürlich auch. Ob der Vertrag verlängert wird, hängt aber nicht nur damit zusammen, wir schauen nicht auf ein, zwei Resultate. Sollten wir die WM verpassen, werden wir analysieren müssen, wieso.
Kann diese EM zur nachhaltigen Entwicklung des Frauenfussballs beitragen?
Absolut! Das Turnier war für uns ein Highlight und wird uns einen riesigen Schub geben. Wir haben sehr viel Aufmerksamkeit erhalten, dazu haben wir eine grosse Sympathie verspürt. Gegen die Niederlande kamen 1000 Fans aus der Schweiz, die mussten alle Ferien beziehen, einiges an Geld ausgeben, ausserdem waren die TV-Zahlen gut. Diesen Schwung wollen wir mitnehmen, dafür braucht es jetzt aber einen guten Herbst. Und wenn wir dazu noch die EM 2025 austragen dürfen, bewegen wir uns drei Jahre auf einem Höhenflug. Dann werden die Clubs und Sponsoren mitmachen, weil eine solche Heim-EM einfach immer ein Antrieb ist – wir könnten Schritte machen, für die wir sonst zehn Jahre bräuchten.
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