MetaverseMehrwert statt Hype
Der Hype um das Metaverse ist abgeflaut, die Zeit der hochtrabenden Träume sind vorerst vorbei. An einem Workshop zeigte BMW, wo das Arbeiten im virtuellen Raum keine Science-Fiction, sondern Realität ist.
Meta hier, Meta dort, Meta überall. Noch ist es nicht allzu lange her, da schien die Welt ohne Metaverse undenkbar. Unternehmen beschäftigten sich intensiv mit ihrem Auftritt im virtuellen Raum, Start-ups schossen aus dem Boden, Aktien von Firmen wie Roblox oder Matterport, die bereits einen Fuss im Metaverse drin haben, gingen durch die Decke.
Seither jedoch ist eine gewisse Ernüchterung eingekehrt. Steigende Zinsen als Folge der Inflation haben dazu geführt, dass sich viele Firmen träumerische Visionen mit Potenzial für die Zukunft nicht mehr leisten wollen oder können. Am besten illustriert das wohl das Beispiel Facebook – oder eben: Meta –, das von den Aktionären für seine sündhaft teuren Metaverse-Ambitionen mit einem fast 70-prozentigen Kurssturz abgestraft wurde. Und sich erst erholte, als CEO Mark Zuckerberg seine hochtrabenden Pläne hintanstellte und sich auf Kosteneffizienz und den Revenue im Hier und Jetzt konzentrierte.
Ist das Metaverse also bereits wieder passé? Zuerst sollte man festhalten, dass es nicht «das Metaverse» gibt, sondern viele. Und sich die Definition von Zuckerbergs Videogame-artigen Versen nicht zwingend mit jenem von anderen Anbietern decken muss. Der Begriff wurde 1992 von Neal Stephenson in seinem Roman «Snow Crash» kreiert, und bis heute gibt es keine einheitliche Definition. Einig ist man sich aber darin: Das Metaverse ist ein digitaler Raum, in dem Menschen durch virtuelle Avatare vertreten sind, die miteinander interagieren können.
Mit Controllern, aber ohne Beine
Wie das in der Autoindustrie konkret aussieht, demonstrierte BMW jüngst an einem Workshop im Rahmen eines Winterfahrtrainings im Engadin. Denn für das Metaverse ist die Zeit des «Proof of Concept» gekommen – die Zeit also, zu zeigen, dass der VR-Hype nicht nur aus heisser Luft und wohlklingenden Fantasien besteht, sondern einen echten Mehrwert schaffen kann. Tatsächlich kristallisieren sich mehr und mehr konkrete Anwendungsbeispiele des Metaverse für die Wirtschaft heraus. Dazu gehören die Nutzung von digitalen Showrooms, virtuelle Produktpräsentationen und Immobiliengeschäfte, technische Projektmeetings im digitalen Raum, virtuelle Schulungen, Wartungen oder Employer Branding.
Ab in den virtuellen Showroom gehts auch am Metaverse-Workshop im Engadin. Ausgerüstet mit Headset und zwei Controllern, steuern wir Avatare in einem grafisch nicht allzu imposanten Raum, in dem BMW-Modelle und diverse Screens zu sehen sind. Was auffällt: Einige Avatare haben Beine, andere nicht. «Eine Folge der Leistung der Datenleitung», erklärt der VR-Experte: «Bei den ersten reichte es für Beine, bei den späteren nicht.» So erfahren einige mit hellem Kopf, aber ohne Beine, wie BMW die Technologie in der Produktion einsetzt. Für die Planung im neuen BMW i4-Werk etwa konnten die einzelnen Produktionsschritte samt jeweiligen Platzanforderungen dank Echtzeit-3-D-Rendering der Werkseinrichtung exakt und effizient geplant und durchgeführt werden.
Mehrwert statt Hype
Tatsächlich bringt das Metaverse für die Autoindustrie Vorteile, die Nutzungsmöglichkeit von Game-Technologie und Virtual-Reality-Anwendungen sind vielfältig. So ist VR-Technologie etwa auch bei der Designentwicklung des BMW iX zum Einsatz gekommen. Besonders in strategischen Innovationsfeldern wie Design, autonomes Fahren, Konnektivität, Elektromobilität und Services erweitern digitale Technologien die Entwicklungsmöglichkeiten erheblich. Beispielsweise lassen sich so relativ unkompliziert 3-D-Renderings erstellen, die Lichteffekte oder Lichtreflexionen auf unterschiedlichen Materialien sichtbar machen.
Für Fahrsimulationen hat BMW gar ein selbst entwickeltes Mixed-Reality-System geschaffen. Damit hat der Hersteller die Möglichkeit, technische Anforderungen der Zukunft realitätsgetreu im virtuellen Raum zu simulieren. Zumal eine möglichst wirklichkeitsgetreue Visualisierung der virtuellen Welt essenziell für ein realistisches Fahrerlebnis ist. Auch die Unternehmens- und Marken-Kommunikation kann dank Metaverse neue Wege gehen. So hat BMW an der IAA Mobility 2021 in München ein eigenes virtuelles Universum namens «Joytopia» geschaffen, in dem Besucher bei einem exklusiv für diese virtuelle Welt produzierten Konzert der britischen Band Coldplay live dabei sein konnten.
Schmusepop gibts im Engadiner Metaverse keinen. Dafür nehmen die Instruktoren die Avatare zum Schluss mit auf eine virtuelle Kurzvisite auf der internationalen Raumstation ISS. Auch hier sind sich Gamer weitaus bessere Visuals gewohnt. Doch das Erlebnis ausserhalb der Station ist grossartig. Man kann sich schwerelos im Weltall herumbeamen, und dank der Teleportationsfunktion auf dem Controller gelingt das – im Gegensatz zur Erfahrung aus VR-Videogames – gänzlich ohne Motion Sickness. Übel werden sollte es schliesslich auch den Designerinnen und Ingenieuren nicht, wenn sie im Metaverse Autobauteile entwickeln. Und für Beine dürften die Standleitungen bei ihnen dann wohl auch reichen.
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