Pioniersiedlung in Oberrieden Lounge, Bistro und Events – so sieht Wohnen 2.0 im Alter aus
Die neue Siedlung Winkelhalden in Oberrieden hat die «jungen Alten» im Blick, lädt die Bewohnenden zum Mitmachen ein – und sieht sich als Alternative zum Altersheim.
Bea Müller ist eine Frohnatur. Ihr Lachen und ihre sprühende Lebensfreude sind ansteckend. Und in der neuen, mehrstöckigen Siedlung Winkelhalden in Oberrieden, in der sie seit November letzten Jahres wohnt, scheint sie erst recht aufzublühen. «Es macht mir so viel Spass, hier zu sein», sagt die 68-Jährige, die jetzt quasi im Unruhestand lebt. Denn: «Ich habe in meinem Leben noch nie so viele Sitzungen gehabt und fühle mich im Moment wie eine Eventmanagerin», sagt sie und lacht herzhaft.
Müller ist derzeit gleich in mehreren Arbeitsgruppen innerhalb der Siedlungsgemeinschaft engagiert. Im Moment stehen vor allem die Planungen für die Tage der offenen Türen (siehe Kasten) im Vordergrund. «Dort bin ich dann für den Betrieb des Bistros verantwortlich», erzählt Müller und gewährt einen Blick in ihre helle und gemütliche 2½-Zimmer-Wohnung mit Balkon «und etwas Seeblick». Die Siedlung selbst befindet sich ganz in der Nähe des Bahnhofs Oberrieden Dorf und umfasst total 44 Wohnungen, die zwischen 53 und 108 Quadratmeter gross sind.
Müller freut sich sehr über ihre – teils temporären – Aufgaben, für die sie sich freiwillig entschieden habe, wie sie ausdrücklich betont. «Hier wird niemand zu etwas gezwungen, es sind nur Angebote.» Müller engagiert sich neben der Gruppe «Bistro» auch noch in den Bereichen «Eventraum/Bar» und «Sternen-Lounge».
Aktives Leben in der 3. Lebensphase
Zudem sei sie jetzt noch in einem «Hühnergrüppli» tätig, sagt sie und lächelt verschmitzt. Im grossen Gartenbereich der Siedlung soll demnächst ein Hühnerstall gebaut werden. Allerdings ohne einen Hahn. Denn laut der Siedlungsleitung will man es sich nicht mit der Nachbarschaft verscherzen.
Doch weshalb hat sich Müller genau für diese Pioniersiedlung entschieden, in der die ersten Bewohner Anfang September 2022 und die letzten vor wenigen Tagen eingezogen sind? «Mir war schon immer bewusst, dass ich später einmal nicht in einem Altersheim leben möchte», sagt die vitale Seniorin, die vorher in Männedorf gewohnt hatte. «Gleichzeitig war mir klar, dass ich nicht mehr länger in einem grossen Haus leben und allein sein wollte», erzählt Müller. «Ich wollte reduzieren, loslassen und mich aktiv in die Gemeinschaft von anderen Seniorinnen und Senioren einbringen.»
Das Siedlungskonzept, das laut dem Leitbild ein «selbstbestimmtes, ökologisch verantwortliches und aktives Leben in der dritten Lebensphase ermöglicht sowie das Gemeinschaftliche fördert», habe sie deshalb von Anfang an überzeugt.
Ein «kraftvoller Ort»
Ganz ähnlich begeistert vom Modell Winkelhalden ist auch das Ehepaar Heidi (68) und Thierry (70) Weidmann, die vorher in einer Mietwohnung in der Stadt Zürich gelebt hatten. Es sei ein grosses Privileg, an diesem «kraftvollen Ort» als Gemeinschaft wohnen und leben zu können, sagt Thierry Weidmann. «Die Möglichkeit, das Zusammenleben aufzubauen und in diversen Arbeitsgruppen mitzugestalten, erleben wir als anregend und bereichernd.»
Sie hätten sich schon vor einiger Zeit darüber Gedanken gemacht, «wie unser Leben im Alter aussehen könnte», sagt Heidi Weidmann. «Nachdem unsere Kinder ausgezogen waren und wir pensioniert wurden, suchten wir nach einer Lebensform, die unseren Wünschen und Bedürfnissen im Alter am besten gerecht wird.» Im Projekt Winkelhalden schätzten sie und ihr Mann die Mischung des Privaten mit dem Gemeinschaftlichen. «Die Möglichkeit, andere Mitbewohnerinnen und Mitbewohner kennen zu lernen und verbindliche Beziehungen zu knüpfen, die dann im zunehmenden Alter der Vereinsamung entgegenwirken, scheint uns wichtig.»
Initialzündung in Schottland
Initiiert haben das Winkelhalden-Projekt Beat Stünzi (73), Mitgründer der Outdoor-Firma Transa, und sein früherer Mitarbeiter Beat Vogt (75). Auslöser waren bei beiden Gedanken über die eigene Wohnsituation im Ruhestand. Vor rund zehn Jahren machten sie nach gemeinsamen Veloferien in Schottland Nägel mit Köpfen und gründeten eine Aktiengesellschaft.
Zu den zentralen Anliegen beim Winkelhalden-Projekt gehört neben dem gemeinschaftlichen Zusammenleben die nachhaltige Nutzung der Wohnfläche. Die mittels Erdsonde und Fotovoltaikanlage beheizten Wohneinheiten sind modular und flexibel konzipiert, sodass die Raumaufteilung zu einem späteren Zeitpunkt mit geringem Aufwand verändert werden kann. Zudem stehen verschiedene Begegnungszonen und Gemeinschaftsräume zur Verfügung: Neben dem bereits erwähnten Bistro, dem Eventraum mit Bar, der Sternen-Lounge und der Gartenanlage gibt es auch noch einen Fitnessraum mit Sauna, eine Schreiner- und Velowerkstatt, eine Bibliothek, eine Textilwerkstatt und einen zentralen Waschsalon.
In den 44 Wohnungen leben momentan 69 Personen. «Die Leute sind zwischen 60 und 80 Jahre alt», sagt Beat Stünzi. «Das Durchschnittsalter beträgt derzeit 65 Jahre.» 40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner seien noch berufstätig, weiss Stünzi. «Wir haben hier also nicht nur Pensionäre.»
Die Nachfrage nach diesem alternativen Alterswohnprojekt mit Pioniercharakter war von Anfang an gross. Die Überbauung ist deshalb fast ausgebucht. «Im Moment ist nur noch eine 2½-Zimmer-Wohnung frei», sagen Beat Stünzi und Beat Vogt unisono, die selbst in der Siedlung Winkelhalden wohnen.
Aktienkauf und Miete
Doch wer kann sich diese Wohnungen überhaupt leisten? «Die Bewohnenden sind vielfach Leute aus dem Mittelstand, die etwas Kapital mitbringen», sagt Stünzi. Denn eine weitere überraschende Besonderheit der Siedlung ist ihre Besitzstruktur. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind Aktionäre und keine Stockwerkeigentümer. «Wir sind quasi alle Miteigentümer der ganzen Überbauung und nicht einer einzelnen Wohnung», sagt Vogt. Zusätzlich zur Investition in Aktien bezahlen die Bewohner eine monatliche Kostenmiete.
Im Zusammenhang mit der aktuell noch offenen 2½-Zimmer-Wohnung heisst dies konkret, dass neben dem Kauf von Aktien im Wert von 298’000 Franken jeden Monat eine Bruttomiete von 1800 Franken fällig wird. «Unser Finanzierungsmodell hat also einen gewissen Genossenschaftscharakter, aber ohne die dazugehörige Bürokratie», sagt Stünzi. Durch diese Form der Beteiligung soll dem übergeordneten gemeinschaftlichen Siedlungszweck mehr Gewicht gegeben werden.
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