Lob für Chinas «kompromisslose und rigorose» Reaktion
In China geht die Zahl der neuen Coronavirus-Fälle deutlich zurück. Doch was macht die Abschottung ganzer Städte mit den Menschen?
Am Tag, als das 25-köpfige Team seine Untersuchung zur Lungenkrankheit Covid-19 in China begann, meldete das Land knapp 2500 neue Fälle. Als die Experten neun Tage später ihren Besuch beendeten, wurden nur 400 Neuerkrankung gezählt. «Die Abnahme der Fälle ist real», steht in dem Bericht, den das Team nun vorgelegt hat. Vom 16. bis 24. Februar waren Wissenschaftler aus acht Ländern in China unterwegs, um sich persönlich ein Bild von der Epidemie und dem Umgang mit ihr zu verschaffen. Die Leitung hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO, die meisten Mitglieder stammten aus China.
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Die wichtigste Erkenntnis, mit der die Wissenschaftler zurückkehrten, lautet: In China geht die Zahl der neuen Fälle deutlich zurück – und zwar schon seit Längerem. Der Höhepunkt des Ausbruchs war bereits Ende Januar erreicht. Am Montag meldete China nur 200 neue Infektionen mit dem Coronavirus. Möglich wurde das Zurückdrängen des Erregers unter anderem durch ein massives Personalaufgebot. 1800 Teams von Epidemiologen – jedes hatte mindestens fünf Mitglieder – waren im Einsatz. Täglich suchten sie nach Zehntausenden Menschen, die Kontakt zu einem Infizierten gehabt hatten, um sie zu testen und zu beobachten.
In China wurden etwa 50 Millionen Menschen von der Aussenwelt abgeschottet
Der Bericht legt nahe, dass ihnen so gut wie keine Kontaktperson entging. Vor allem aber geht der Rückgang der Infektionen auf das rigorose Vorgehen Chinas zurück: «Die womöglich ambitionierteste, schnellste und aggressivste Anstrengung zur Krankheitseindämmung in der Geschichte», nennt es der Bericht. Dazu gehörten Reiseeinschränkungen in weiten Teilen des Landes und die Abriegelung ganzer Metropolen. Etwa 50 Millionen Menschen waren von der Aussenwelt abgeschottet.
Was macht diese Situation mit den Menschen? Das Team zeigt sich überzeugt, dass es unter den Chinesen ein «grosses Engagement» für diese kollektiven Massnahmen gab. Zweifel oder Kritik kommen in dem 40-Seiten-Papier nicht vor. Mehr noch, der Bericht sieht die Volksrepublik in einer Art Vorreiterrolle. Chinas «kompromisslose und rigorose» Reaktion liefere der Welt wichtige Lehren, heisst es. Denn letztlich seien die Massnahmen effektiv gewesen. Weiter schreiben die Autoren: «Ein grosser Teil der Weltgemeinschaft ist sowohl in der Geisteshaltung als auch materiell nicht bereit, solche Massnahmen zu ergreifen».
Die Autoren raten daher anderen Ländern eher zu klassischen Massnahmen des Seuchenschutzes. Staaten, die bereits Fälle entdeckt haben, sollten ihre Pläne für den Notfall aktivieren, potenziell Erkrankte schnell untersuchen und Kontaktpersonen rasch unter Quarantäne stellen. Weitergehende Massnahmen wie Schulschliessungen und das Verbot von Grossveranstaltungen könnten geplant und simuliert werden.
Dabei ist die Quarantäne ganzer Orte auch ausserhalb Chinas kein Tabu mehr. Italien hat zehn Orte im Norden des Landes abgeriegelt; insgesamt 50'000 Einwohner dürfen die Gemeinden nicht verlassen oder Besucher von aussen empfangen.
Psychologen warnen vor Angst und Kontrollverlust im Fall einer Massenquarantäne
Doch eine Diskussion über die sozialen, politischen und ethischen Implikationen solcher drastischen Aktionen gibt es derzeit nur in Ansätzen. Im British Medical Journal warnten die Psychologen James Rubin und Simon Wessely vom Londoner King's College davor, dass eine Massenquarantäne wie in China Nebenwirkungen haben kann. Dazu gehören Angst und ein Gefühl des Kontrollverlusts bei denen, die von der Aussenwelt ausgeschlossen sind. Ihnen droht darüber hinaus die Stigmatisierung. Und dort, wo sich Menschen nicht mehr selbst ein Bild von der Lage machen können, entstehen Gerüchte. Das alles kann dazu führen, dass Vertrauen verspielt wird.
«Es existieren unterschiedliche Auffassungen, wie sinnvoll es ist, solch drastische Massnahmen zu ergreifen», sagt Daniel Lorenz, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Katastrophenforschungsstelle der Freien Universität Berlin. Schränken sie das Leben sehr ein, sei es auch möglich, dass Personen versuchen, diese Massnahmen zu umgehen oder Krankheitssymptome zu verstecken. Dies wiederum kann bedeuten, dass die effektive Überwachung des Virus schwieriger wird.
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