Regierungskrise in GrossbritannienLiz Truss wankt – trotz spektakulärer Entlassung ihres Finanzministers
Die Premierministerin feuert ihren Verbündeten Kwasi Kwarteng und krempelt ihre Steuerpläne ein weiteres Mal um. Doch einflussreiche Tory-Politiker fordern ihren Rücktritt.
Londons rechtskonservative «Daily Mail» warnte am Freitagmorgen in fetten Lettern, Premierministerin Liz Truss habe «17 Tage, um ihren Job zu retten». Bis Ende Oktober würden Finanzmärkte und Tory-Fraktion ihr Urteil fällen über sie. Im weiteren Verlauf des Freitags beschloss Truss aber, dass sie keine 17 Tage mehr warten konnte. In einem spektakulären Akt enthob sie ihren Finanzminister und engsten Verbündeten, Kwasi Kwarteng, seines Postens, den er nicht viel mehr als einen Monat innegehabt hatte.
An einer eilends angesetzten Medienkonferenz erklärte die Premierministerin, an ihrer «Mission» zur Umkrempelung der britischen Wirtschaft zwecks neuen Wachstums habe sich nichts geändert. Allerdings sei ihr bewusst, dass sie auch für wirtschaftliche Stabilität zu sorgen habe im Land und nicht ganz so schnell vorgehen könne wie geplant. Darum werde sie nun doch die Körperschaftssteuer erhöhen.
Jeremy Hunt übernimmt Finanzministerium
Diese Steuer nicht zu erhöhen, war zuvor ihre und Kwartengs zentrale Forderung gewesen. Eine Antwort auf die Frage, welche Glaubwürdigkeit sie selbst nun noch habe, blieb sie schuldig. Sie habe «entschlossen gehandelt im nationalen Interesse», sagte sie nur. Zu ihrem neuen Finanzminister ernannte Truss den früheren Kultur-, Gesundheits- und Aussenminister Jeremy Hunt.
Hunt gilt als eher pragmatischer Politiker in der Konservativen Partei. Im Unterschied dazu repräsentierte Kwarteng eine Haltung, die allen Warnungen zum Trotz konservativer Orthodoxie die Stirn bieten wollte. Er und Truss hatten sich von radikalen Steuersenkungen und von Vergünstigungen für die Reichsten im Lande langfristig mehr Wachstum in Grossbritannien erhofft.
Ihre Massnahmen hatten allerdings, wegen ungedeckter Mammutverschuldung, zu immer neuen Turbulenzen und zeitweise zu Chaos auf den britischen Finanzmärkten geführt. Zunehmend unter Druck ihrer Abgeordneten, begann Truss diese Woche Kurskorrekturen vorzubereiten. Diesen hatte sich Kwarteng offenbar widersetzt. Noch an einer Konferenz des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington hatte der Finanzminister am Donnerstag darauf bestanden, dass es keine Änderungen an seinem Kurs geben werde.
Umgehend wurde Kwarteng von Truss zurück in die Regierungszentrale beordert. Er musste seinen Aufenthalt in den USA vorzeitig abbrechen und kehrte in der Nacht auf Freitag nach London zurück. Das erinnerte britische Kommentatoren daran, dass zur Zeit der grossen Währungskrise von 1967 der damalige Labour-Finanzminister Denis Healey gezwungen war, im Flughafen Heathrow kehrtzumachen, um in die Downing Street zurückzufahren, anstatt nach Manila zu einem IWF-Treffen zu fliegen.
«Kein gutes Zeichen» sei Kwartengs frühe Rückkehr, befand Lord Ed Vaizey, ein früherer Tory-Minister: «Das sieht mir nicht danach aus, als ob die Regierung noch Herrin der Lage ist.» Tatsächlich waren zu diesem Zeitpunkt immer mehr Tories zum Schluss gekommen, dass um eine dramatische Kehrtwende in Sachen Steuersenkungen kein Weg vorbeiführe.
Unterdessen fragt man sich in Westminster, ob Liz Truss nach den jüngsten Turbulenzen politisch überleben kann.
Er könne nur hoffen, sagte der Tory-Vorsitzende des finanzpolitischen Ausschusses des Unterhauses, Mel Stride, dass es umgehend zu einem «fundamentalen Neustart» komme in Downing Street. Und er könne der Regierung nur raten, das «so bald wie möglich» zu tun und damit «auf jeden Fall nicht bis zum Ende des Monats zu warten». Für den 31. Oktober hatte Kwarteng die Veröffentlichung eines detaillierten Finanzplans und eines Berichts des Rechnungshofs angekündigt. So lange zu warten, habe keinen Sinn, sagte Mel Stride.
Unterdessen fragt man sich aber in Westminster, ob Liz Truss die Ereignisse der letzten Wochen und die spektakuläre Entlassung ihres engsten Gesinnungsgenossen und langjährigen Freundes ihrerseits politisch wird überleben können. Immerhin teilte sie dessen Vorstellungen und Zielvorgaben vollständig. Kwarteng operierte in ihrem Sinn.
Laut Medienberichten wollen einflussreiche Tory-Politiker Truss selbst zum Rücktritt auffordern. (Hören Sie zum Thema den «Apropos»-Podcast-Beitrag «Wie lange kann sich Liz Truss noch im Amt halten?».) Ganz offen wird schon darüber diskutiert, wie schnell ihre Ablösung möglich sei. Für die Nachfolge werden ihren beiden Hauptrivalen im Kampf um den Parteivorsitz in diesem Sommer die besten Chancen eingeräumt: Ex-Finanzminister Rishi Sunak und Penny Mordaunt, aktuelle Ministerin für parlamentarische Angelegenheiten.
Vertrauen in Truss ist auf 9 Prozent gesunken
Beide zusammen könnten «im Team», auf den zwei Top-Posten der Regierung, das Chaos der letzten Wochen beenden, die Märkte beruhigen und den katastrophalen Absturz der Regierungspartei in der Wählergunst stoppen. Das ist nun die Hoffnung einer wachsenden Zahl konservativer Parlamentarier.
Der Popularitätsverfall bei den Tories ist in der Tat erheblich. Gemäss letzten Umfragen des People-Polling-Instituts unterstützen 53 Prozent der Wählerinnen und Wähler die oppositionelle Labour-Partei, und nur noch 19 Prozent sprechen sich für die Tories aus. Das Vertrauen in Premierministerin Truss ist auf gerade noch 9 Prozent gesunken. Dabei ist die Premierministerin erst seit 40 Tagen im Amt.
Truss-Anhänger wehren sich wiederum verzweifelt gegen eine Ablösung der Regierungschefin. Ex-Ministerin Nadine Dorries erklärte, die Attacken auf Truss seien ein «reines Komplott» ihres unterlegenen Rivalen Sunak. Das Ganze sei «ein Aushebeln der Demokratie». Manche Hinterbänkler glauben allerdings auch, dass es nicht ganz so einfach wäre, Truss abzusetzen – und dass sie noch einige Zeit im Amt sein wird.
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