Britische RegierungschefinLiz Truss bleibt hart und ungerührt
Die britische Premierministerin setzt auf Steuersenkungen und Schulden. Experten sind entsetzt, bei den Tories herrscht Unruhe – und selbst die einflussreiche Rechtspresse geht auf Distanz zu ihr.
Die britische Premierministerin Liz Truss hat ein Abweichen von ihrer Politik radikaler Steuersenkungen und unbekümmerter Hochverschuldung kategorisch ausgeschlossen – obwohl dieser Kurs in den letzten Tagen die seit vielen Jahren schwerste Finanzkrise im Vereinigten Königreich ausgelöst hat.
Ihr Plan für Grossbritannien sei «genau der richtige Plan», erklärte Truss in einer Reihe von Interviews, nach sechstägigem Schweigen. Sie sei immer bereit gewesen, «schwierige Entscheidungen zu treffen«» und «unpopulär zu sein».
Manche Leute wollten leider nicht begreifen, dass aktuelle Wirtschaftsturbulenzen «ein globales Problem» seien und dass es auch in Grossbritannien Zeit brauche, neues Wachstum zu stimulieren, meinte die Tory-Regierungschefin. Für sie komme jedenfalls eine Kursänderung nicht infrage: «Ich muss tun, was ich für richtig halte hier.»
Ins Trudeln geraten
Tatsächlich hatten die vor einer Woche von Schatzkanzler Kwasi Kwarteng verkündeten Steuersenkungen im Wert von jährlich 45 Milliarden Pfund zu einer Kette dramatischer Ereignisse geführt – zumal Kwarteng nichts zur Ablösung der Schuld durch die Regierung sagen wollte und stattdessen gleich noch weitere Steuersenkungen unbestimmten Umfangs versprach.
Bereits nach Ankündigung der ersten Massnahmen war die britische Währung, noch dazu bei hoher Inflation, schwer ins Trudeln geraten. Zugleich stiegen Renditen für Staatsanleihen scharf an. Neue Hypothekenangebote wurden von den Banken massenhaft vom Markt genommen. Experten haben diese Woche eine Verdopplung der Hypothekenzinsen und einen Preissturz für Immobilien von 20 Prozent vorausgesagt.
Die Lebenshaltungskosten ziehen zugleich weiter drastisch an, nun auch wegen der Pfund-Schwäche und entsprechend verteuerter Importe. Am Mittwoch hatte die Nationalbank, die Bank of England, in allerletzter Minute dem Ankauf von Staatsanleihen im Wert von 65 Milliarden Pfund zugestimmt, als Renten-Fonds sich plötzlich am Rande des Bankrotts fanden.
Am Donnerstag warf der frühere Nationalbank-Gouverneur Sir Mark Carney der Regierung vor, sie untergrabe mit ihrer Politik die wirtschaftlichen Institutionen des Landes. Die Bank habe eingegriffen «zu einem Zeitpunkt, an dem das System funktionsunfähig zu werden drohte», sagte er.
Zuvor hatte schon der Internationale Währungsfonds (IWF) erklärt, er könne die Finanzpolitik der britischen Regierung «nicht empfehlen». Der IWF habe die jüngsten ökonomischen Entwicklungen im Vereinigten Königreich sehr genau – und offenbar sehr besorgt – verfolgt. Und am Freitag klagte der britische Rechnungshof, sein Urteil zu den Regierungsplänen sei «unerwünscht» gewesen. Ein anschliessendes Gespräch zwischen Truss und Kwarteng und dem Rechnungshof in No 10 Downing Street, das die Märkte beruhigen sollte, vermochte allerdings keine Lösung zu bringen. Eine frische Einschätzung der Experten, die nächsten Freitag an die Regierung gehen soll, will Truss danach erst einmal geheim halten sechs Wochen lang.
Oppositionsführer Sir Keir Starmer hat Truss bereits beschuldigt, die Kontrolle über die Wirtschaft total verloren zu haben. Zusammen mit den anderen Oppositionsparteien hat Starmers Labour Party die sofortige Einberufung des Unterhauses verlangt. Das Parlament ist wegen der «Parteitags-Saison» noch bis 11. Oktober in Ferien. Vom kommenden Sonntag an findet der viertägige Jahreskongress der Konservativen in Birmingham statt.
«Dieser Wahnsinn muss endlich aufhören»
Unter konservativen Politikern haben die jüngsten Entwicklungen und die Ungerührtheit der Premierministerin und ihres Schatzkanzlers derweil grosse Unruhe ausgelöst. Völlig unrealistisch finden viele Tories, dass Kwasi Kwarteng bis Ende November mit der Veröffentlichung seines Wachstumsplans und mit einem unabhängigen Prüfbericht zur Finanzierbarkeit gegenwärtiger und künftiger Neuverschuldung warten will.
Nervös macht Tory-Abgeordnete auch, dass einzelne Ministerien nun von der Schatzkanzlei aufgefordert worden sind, Einsparungen im öffentlichen Bereich ins Auge zu fassen, um die Märkte zu beruhigen. Noch im Juli hatte Liz Truss gelobt, dass sie auf keinen Fall Kürzungen der öffentlichen Ausgaben plane.
«Dieser Wahnsinn muss endlich aufhören», meinte zum kompromisslosen Kurs der Regierung jetzt der Tory-Abgeordnete Simon Hoare verzweifelt. Wenn Truss so weitermache wie bisher, fand sein Kollege Julian Smith, ein früherer Fraktionschef und Minister, werde sie «den Bürgern nur noch mehr Stress und Strapazen aufbürden» mit ihrer Politik.
Superreiche profitieren
Andere Tories sprachen die Befürchtung aus, mit ihren Steuersenkungen zugunsten der Superreichen im Lande habe Truss eh schon weite Teile der Tory-Wählerschaft verprellt, angesichts der jetzt absehbaren neuen Probleme. Selbst einflussreiche Teile der Rechtspresse, die die Regierungschefin bisher unterstützt hatten, setzten sich von ihr ab.
Einige Tories rieten Truss, ihren Schatzkanzler umgehend wieder zu entlassen. Andere prophezeiten, Truss selbst werde den kommenden Parteitag kaum überleben können. Die meisten halten sich aber noch zurück. Für viele ist es bislang undenkbar, eine gerade erst ins Amt gekommene Premierministerin schon wieder abzusetzen oder ihr in kommenden Wochen im Unterhaus die Unterstützung zu versagen – was sie auch denken mögen über ihre Parteichefin Liz Truss.
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