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24 Stunden am Knabenschiessen
Ein Tag an der grössten Chilbi der Schweiz

Eines ist jetzt schon klar: Die diesjährige Ausgabe des Knabenschiessens dürfte als die bisher sommerlichste in die Annalen eingehen. Ob es auch für einen Besucherrekord reicht, wird sich erst zeigen, wenn am Montagabend die Bahnen um 23 Uhr endgültig die Lichter löschen.

Wir haben das Knabenschiessen schon am Wochenende während 24 Stunden besucht. Lesen Sie hier von spannenden Begegnungen und einem Herbstfest, das sich fast wie Hochsommer anfühlte.

Das Tagi-Team verabschiedet sich

Damit endet unsere Live-Berichterstattung vom Knabenschiessen. Wie geht das Fest nun weiter?

Heute Sonntag ist noch bis 18 Uhr Schiessbetrieb, die Chilbibahnen und Stände sind bis 00.30 Uhr geöffnet.

Morgen Montag ist der Schiessstand noch einmal von 8 bis 10 Uhr geöffnet, der Aussstich findet um 11 Uhr statt. Etwa um 14.40 Uhr wird die neue Schützenkönigin oder der neue Schützenkönig geehrt; um 15.15 Uhr findet ein Umzug auf der Üetlibergstrasse statt.

Chilbibetrieb ist montags von 11 bis 23 Uhr.

Erste Bilanz ist positiv

Am frühen Nachmittag zieht Knabenschiessen-Sprecher Stefan Bachmann eine positive erste Bilanz. Ob es für die erhofften 4000 Schützinnen und Schützen reicht, ist zwar noch unklar. Dennoch sagt Bachmann: «Es könnten gute Zahlen werden.»

Bis am Mittag haben sich 3600 Teenager angemeldet, allerdings erscheinen nie alle. Anderseits läuft der Schiessbetrieb heute Sonntag noch bis 18 Uhr, und am Montag ist von 8 bis 10 Uhr die letzte Gelegenheit.

Die Chilbi sei bisher ausgesprochen friedlich verlaufen, so Bachmann weiter: «Gestern Abend war es pumpenvoll, obwohl gleichzeitig das Energy Air stattfand.» Bachmanns Eindruck: Viele Energy-Besucher seien nach Konzertende um 22.30 Uhr noch ans Knabenschiessen weitergezogen.

Gegen Ende des Fests habe es zwar die eine oder andere Auseinandersetzung gegeben, auch weil viel Alkohol geflossen sei, sagt ein Sicherheitsmann, aber die Stadtpolizei habe rasch eingegriffen. In der Einsatzzentrale der Stadtpolizei bestätigt man das: Aussergewöhnliche Vorfälle seien keine zu vermelden.

Das Albisgüetli ist auch ein Campingplatz

Was vielen Festfreudigen nicht bewusst ist: Das Albisgüetli ist am Knabenschiessen-Wochenende nicht nur Chilbi und Ort eines einzigartigen Schiesswettbewerbs, sondern auch ein ziemlich grosse Campingplatz.

Viele Schaustellerinnen und Schausteller und zahlreiche ihrer Angestellten übernachten hier in Wohnwagen und Campern. Es ist ein buntes Sammelsurium von ganz einfachen Anhängern bis zu riesigen Gefährten mit ausfahrbaren Elementen.

Wo die einen feiern, campen die anderen: Philipp Achermann in seinem Wohnwagen.

Hier treffen wir Philipp Achermann. Der eben 65 gewordene Neu-Rentner betreibt zusammen mit zwei Kumpeln, Urs Kunz (60) und Peter Fries (57) den «Hau de Lukas», eine heute fast verschwundene, aber uralte Chilbi-Attraktion. Die drei Hobby-Schausteller sind zum zweiten Mal am Knabenschiessen. Letztes Jahr logierten sie alle im Hotel, heuer ist Achermann mit seinem Wohnwagen dabei. «Ich bin sowieso ein Camper», sagt er, «da hat es sich angeboten.»

Wie es ihm gefällt? Super, erzählt der ehemalige Luzerner Kreiskommandant. «Man lernt Leute aus allen möglichen Ländern kennen, und die Schausteller sind ein herzliches, friedliches Völkli.» Ihn, den Neuling, hätten sie sofort aufgenommen.

Sie wollen alle schiessen

Lange Schlange vor dem Schiessstand.

3100 Jugendlichen schossen letztes Jahr um die Wette, heuer hoffen die Veranstalter die 4000er-Marke zu knacken. Zum Vergleich: Vor zwanzig Jahren nahmen über 5800 Teenager am Wettschiessen teil, diese Marke wurde seither nie mehr erreicht.

Immerhin: Eine gute halbe Stunde nach Beginn hat sich vor dem Schiessstand eine lange Schlange gebildet, wer rein will, braucht etwas Geduld. Was aber niemanden zu stören scheint.

Etwa zehn Minuten hätten er und seine Tochter gewartet, erzählt ein Vater, der eben das Schiessticket gelöst hat. «Ging erstaunlich speditiv», sagt er, «aber jetzt müssen wir erst mal rein zum Schiessen. Das dauert dann wohl noch etwas.»

Morgenstimmung auf dem Albisgüetli

Es ist eine eigentümliche Stimmung am Sonntagmorgen, eine gute Stunde, bevor das Volksfest in die nächste Runde geht. Die meisten Buden sind noch verrammelt, an einigen Bahnen werkeln Mechaniker. Vereinzelt schlendern erste Besucher herum. Die Enterprise dreht eine erste Proberunde.

Und dort, wo sich abends Teenager lachend und kreischend in den Tütsch-Autos anrempeln, dudelt Markus Bürglers Drehorgel. Es ist Sonntagmorgen, Zeit für den traditionellen Gottesdienst auf der Scooter-Bahn.

Eveline Saoud, seit 2019 Chilbipfarrerin in Zürich, legt sich eine passend bestickte Stola um und begrüsst die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher. Die haben in den Scootern Platz genommen, viele stehen aber auch vor der Bahn.

Predigt in der Scooterbahn – und statt in Kirchenbänken sitzt man in Tütschautos.

Saoud wird begleitet von Priester Adrian Bolzern und Pfarrer Jürg Baumgartner. Die drei erzählen die Geschichte von David und der Bundeslade – passend zum Anlass, wie Saoud sagt: «Das war nämlich auch ein riesen Fest.» Und Feste müssten genau so leidenschaftlich sein wie jenes in Jerusalem, als die Bundeslade dort eintraf.

Pfarrer Baumgartner erinnert aber auch daran, dass nicht alle Menschen ans Knabenschiessen können, sei es, weil die Bahnen zu teuer sind oder sie zu krank: «Vergessen wir die Schwachen nicht.»

Es geht weiter

Die Chilbi ist noch bis um halb zwei Uhr geöffnet, das Tagi-Team aber verabschiedet sich für heute mit ein paar letzten Festimpressionen.

Das Vergnügen der einen, die Arbeit der anderen

Und während sich das Volk vergnügt, sorgen andere dafür, dass alles läuft. Etwa Philipp Kurmann, der an der «Polyp»-Bahn Passagiere einweist. Das ist nicht ganz simpel, die an fünf gebogenen Armen angebrachten Gondeln müssen einigermassen gleichmässig beladen werden.

Philipp Kurmann macht an einem Chilbitag 50'000 Schritte.

Bisher habe er aber nur gute Erfahrungen gemacht, sagt Kurmann, die Leute hören auf ihn. Dennoch: Es ist ein Knochenjob. Letztes Jahr habe er aus Spass einen Tag lang den Schrittzähler mitlaufen lassen. 50'000 Schritte zeigte das Gerät am Ende an. «Da weisst du was du gemacht hast», sagt der Einweiser, der seit 23 Jahren an Chilbis unterwegs ist.

Noch mehr Mutproben

Früher standen sie oft etwas verwaist herum, die Boxautomaten, wo man für einen Franken seine Schlagfestigkeit testen kann. Doch das hat sich geändert: Heute versammeln sich hier ganze Trauben von halbwüchsigen Jungs in Fussball-Trikots oder Albanien-Shirts, deren häufigstes Wort «Bro» ist.

Sie feuern sich gegenseitig an – und dass da ein Pressefotograf steht, lässt sie zu Hochform auflaufen. Warum sie das machen? Klare Sache, meint einer: «Da bist du sympathisch bei den Frauen.»

Poltern am Knabenschiessen

Vanja und ihre Poltermädels.

Das Fest lockt auch Polter-Gesellschaften an. Etwa Vanja und ihre sieben Freundinnen. Am Mittwoch heiratet Vanja – jetzt gilt es, noch ein paar Mutproben zu bestehen. Als wir sie treffen, verhökert sie gerade allerlei Krimskrams an Passantinnen und Passanten.

Vorher haben ihre Freundinnen sie auf den Freefall-Turm geschleppt. «War nicht so schlimm», lacht sie. Was noch folgt? «Keine Ahnung, die Mädels weihen mich nur häppchenweise ein.»

Immerhin: Allein ist Vanja nicht. Wir treffen in den nächsten Stunden noch mindestens zwei weitere Poltergruppen.

1453 Buben und Mädchen haben geschossen

Der Festplatz füllt sich nun mehr und mehr – der Schiessbetrieb hingegen ist für heute zu Ende. 1453 Buben und Mädchen haben bisher ihr Glück versucht, wie die Knabenschiessen-Pressestelle mitteilt.

Bisher liegen Linus Kreis aus Embrach und Nevio Mele aus Steinmaur in Führung. Beide haben mit 34 Punkten die zweithöchste Punktzahl erzielt. Morgen Sonntag können sich junge Schützinnen und Schützen – und Teenager, die es werden wollen – noch einmal von 11 bis 18 Uhr für den Ausstich qualifizieren. Letzte Chance ist dann am Montag von 8 bis 10 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht nötig.

Der Ausstich findet – falls mehrere Schützinnen und Schützen gleichauf liegen – am Montag um 11 Uhr statt.

«Richtig gut – bis man kopfüber hängt»

Lukas (l) und Joel haben die krasseste Bahn überlebt.

Das Knabenschiessen ist nicht nur Volksfest, sondern Mutprobe für Teenager. Zum Beispiel die Bahn nahmens «Maxximum 2 Energy»: Eine sich um die horizontale Achse drehende Gondel, die an einem langen Arm befestigt ist, der seinerseits vertikal dreht.

Vor der Bahn stehen Joel und Lukas und machen ein leicht mitgenommenes Gesicht. Die Maxx sei die krasseste Bahn am Knabenschiessen, finden die beiden 16-Jährigen, und sie haben sie überlebt. Wie es war? Joel grinst ein Zahnspangenlachen und erzählt: «Am Anfang war es richtig gut. Also so lange der Arm nur bis in die Waagrechte schwingt. Aber wenn er senkrecht steht und du kopfüber da oben hängst, hast du schon ein bisschen Angst.»

Ist ihnen schlecht geworden? Joel schüttelt tapfer den Kopf, derweil Lukas einräumt: «Schon ein bisschen.» Egal, the show must go on. Als erstes holen sie sich jetzt einen Hamburger. Sie haben es verdient.

Es geht auch nur mit Zuschauen. Dieser Mann ist fasziniert vom Kettenflieger.

Neo, der Büchsenschütze

Neo hat beim Büchsenschiessen gewonnen.

Wer nicht am Schiesswettbewerb mitmachen kann, der versucht es halt an einer der zahlreichen Buden, die mit allerlei buntem Ramsch und Kuscheltieren in allen Farben und Formen als Preis locken. Doch zu gewinnen ist gar nicht so einfach.

Es sei denn, man macht es wie der zehnjährige Neo, der mit einem riesigen Grinsen einen noch grösseren Koalabären vor sich herträgt. Wie er den ergattert hat? «Ganz einfach, ich habe alle Büchsen runtergeschossen», erzählt der Junge. Fünf Franken hat das seine Mutter gekostet.

Von den Chilbibahnen hält ihn das grosse Tier nicht ab. «Mami muss ihn dann amigs halten», meint er und stellt sich in die Schlange für die nächste Bahn.

«Das nächste Mal machst du 28 Punkte»

Alisha schiesst zum ersten Mal und ist ein wenig nervös.

Es riecht nach Schiesspulver, ab und an knallt ein Schuss. Das hier ist der eigentliche Kern des Volksfests: Der Schiesswettbewerb für Jugendliche, die dieses Jahr 13 bis 17 Jahre alt werden.

Im Schiessstand Nummer 25 liegt Alisha und guckt konzentriert Richtung Scheibe. Die 12-Jährige schiesst zum ersten Mal am Knabenschiessen. «Bisch nervös?» erkundigt sich der Instruktor. Alisha nickt, am Anfang habe sie immer «es bitzli Schiss». Seelenruhig erklärt er ihr, worauf sie achten muss, und lässt sie ein paar Mal leer abdrücken.

Schliesslich fragt er: «Wollen wir schiessen?» Wieder nickt das Mädchen. «Also, ein Mal abdrücken, dann den Finger wieder wegnehmen, ok?» Alisha konzentriert sich, es knallt, sie guckt mit grossen Augen. «Habe ich getroffen?» Hat sie nicht. Mache nichts, sagt der Instruktor. Nächster Versuch. «Scheibe 25, gäll?»

Jetzt klappt es. Am Ende erzielt Alisha 8 Punkte. «Das ist jetzt nicht viel, aber du hast ein gutes Gefühl», tröstet sie der Instruktor. «Nächstes Mal machst du 28 Punkte.»

Es ist heiss, viel heisser als sonst

Noch hält sich der Andrang an der Chilbi in Grenzen. Gut möglich, dass die Zürcherinnen und Zürcher bei den herrschenden Temperaturen lieber noch einmal in den See springen oder in die Badi gehen und erst später ans Knabenschiessen. Aktuell zeigt das Thermometer in Zürich Affoltern über 29 Grad, in Fluntern fast 27.

Zwischen den Bahnen staut sich die Hitze, der Schweiss rinnt. Wie aussergewöhnlich die Temperaturen sind, zeigt ein Rückblick auf die Knabenschiessen der letzten Jahre, für diese Zeitung zusammengestellt von Meteo Schweiz.

10./11.9.2022: 19/21 Grad

11./12.9.2021: 24/23 Grad

12./13.9.2020: 26/27 Grad

7./8.9.2019: 19/13 Grad

8./9.9.2018: 23/26 Grad

Für heute Samstag und morgen Sonntag erwartet Meteo Schweiz bis zu 30 Grad, was eine Abweichung von 8 Grad von der Norm bedeute. Solche Temperaturen seien «ausserordentlich für September und liegen beispielsweise an den Stationen Zürich-Affoltern oder Kloten in den Top-Ten», schreibt Eugen Müller. Leiter Prognoseteam und Flugwetterzentrale.

Das macht auch den Männern und Frauen in den Kassenhäuschen zu schaffen. «Wir haben zwar eine Klimaanlage, aber die reicht nicht», sagen die Kassierinnen einer Bahn. Ein Mitarbeiter einer Schiessbude sitzt derweil direkt vor einem kühlenden Ventilator. «Damit geht's», sagt er. Aber gleich daneben sei es schon sehr warm.

Ein Verkäufer in einem Schoggifrucht-Stand sagt, er sei froh, stehe er im Schatten: «Und ich bekomme etwas Kälte aus der Theke ab, das hilft. Wir müssen unser Angebot ja kühlen, damit es essbar bleibt.»

Er hat den härtesten Job am Knabenschiessen

Ardit ist heute «Flatterbandhalter».

Hinter Ardit kreischen die Chilbibesucher, es riecht nach Raclette und Bratwurst. Aber der 18-Jährige steht stoisch an der Tramhaltestelle Strassenverkehrsamt. Seine Aufgabe: Ein rot-weisses Flatterband zu halten, das die Festbesuchenden davon abhalten soll, vor die zu- und wegfahrenden Busse zu laufen.

«Scho chli blöd» sei dieser Job, und heiss obendrein in den langen Hosen, findet Ardit. Aber er könne seinen Dienst halt nicht aussuchen. Dann ergänzt er grinsend: «Aber wenigstens kann ich sünnele.» Ob er später noch an die Chilbi geht, weiss er nicht. Zuerst gilt es, die restlichen vier Stunden hinter sich zu bringen, die sein Dienst noch dauert.

Als wir ihn gegen 18 Uhr, kurz vor Dienstschluss, noch einmal treffen, ist ihm die Lust auf Chilbi vergangen. «Erst mal schlafen», meint er.