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«Die vorletzte Frau» von Katja Oskamp
Eine Liebe, zu wahr, um schön zu sein?

Katja Oskamp © Mathias Bothor / photoselection [No image is to be copied, duplicated, modified or redistributed in whole or part without the prior written permission from photoselection GmbH. Fon: +49 40 4232010. mail@photoselection.de]
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In Kürze:
  • Katja Oskamp wurde mit «Marzahn, mon amour» bekannt. Ihre Geschichten aus dem Leben einer Fusspflegerin wurden 2019 zum Bestseller.
  • In «Die vorletzte Frau» erzählt sie die Liebesgeschichte mit Schriftsteller Thomas Hürlimann.
  • Kritiker eilen ihm zu Hilfe und verteidigen ihn gegen sich selbst.

Sie ist unglücklich verheiratet, Mutter einer Tochter und schwärmt für ihren Dozenten am Literaturinstitut. Als die beiden zusammen in einer Bar sitzen, wird schnell klar, dass Tosch, der Dozent, sich ebenfalls auf eine romantisch-intellektuelle Situation mit der Erzählerin einlassen will. 19 Jahre Altersunterschied liegt zwischen den beiden. Und 19 Jahre werden sie ein Paar sein. «Tosch liebte meine Texte und meinen Hintern. Ich liebte Toschs Pranken und sein Lektorat.» Sie ist 30, er 49, und etwas später: «Er war fünfzig; die Ersatzteilphase hatte begonnen.»

Katja Oskamp erzählt in «Die vorletzte Frau» von einer Liebe, der niemand ausweichen konnte. Sex und Text ist das, was die beiden verbindet. Aber ihre Tochter und eine Katze lassen Tosch, den durchaus vergeistigten Professortypen, doch auch in Alltagssituationen mitmachen. Die andere Bettseite bei ihm bleibt aber von Büchern besetzt.

Und plötzlich wird Krebs bei ihm entdeckt. Es folgen Impotenz und Windeln, aber das Schreiben gibt er nicht auf. Im Zug muss das Manuskript im Rucksack auf die Toilette mitgenommen werden. Und sie kniet nur noch zwischen seinen Beinen, wenn sie mit einer Spritze versucht, einen Harnverschluss zu verhindern. Oskamp schreibt über Krankheit und Sexualität in einer frontalen Sprache, die ihresgleichen sucht.

Plötzlich ist sie Co-Kranke und Pflegerin

«Jemand sagt, ich habe mich entscheiden müssen, ob ich mein oder dein Leben führe.» Tosch rät der Co-Kranken, aber Unversehrten, beim Franzosen, dass sie sich für den Sex einen anderen Mann suchen soll. Als sie ihm beim Italiener berichtet, sie habe den Rat befolgt, beginnt ihnen das gemeinsame Leben durch die Finger zu rinnen. Wenn sie weint, dann meistens auf Essen. «Ich weinte in den Rotwein, auf den Salat, auf das Pfeffersteak, auf das Tiramisù und in den Espresso. Der Kellner sah sehr besorgt aus.»

Später, als sich die Liebe aus dem Leben der beiden geschlichen hat, ist er verletzend schnell in einer neuen Beziehung und feiert seinen 70. Geburtstag mit einer mehrtägigen Konferenz zu seinem Werk. «Bianca spielte jetzt meine Rolle, und sie spielte sie besser, denn sie war dreizehn Jahre jünger als ich, frisch verliebt und im Gegensatz zu mir gewillt, neben Tosch auf der Bühne zu stehen.» Während Tosch krank wurde, stellt die Erzählerin fest, dass sie in dieser Zeit alt geworden ist.

Sie gibt das Leben als Schriftstellerin auf, lässt sich zur Fusspflegerin ausbilden, arbeitet in einem Salon zwischen Plattenbauten in Berlin-Marzahn. Das ist autobiografisch. Oskamps Geschichten über ihre Kundschaft wurde 2019 zum Megaseller, «Marzahn, mon amour. Geschichten einer Fusspflegerin», ein Gesellschaftsroman von ganz unten. Wortwörtlich.

Thomas Hürlimann freut sich, dass er mitspielen darf

In «Die vorletzte Frau» schreibt Oskamp aufrichtig, intim und schonungslos eine herzzerreissende Liebes- und Trennungsgeschichte − wie sie nur dem Leben abgeschaut werden kann.

Ja, sie erzählt ihre Beziehung zum Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann. Einige Kritiker (nicht gegendert) eilten ihm nach Erscheinen zu Hilfe und verteidigten ihn gegen sich selbst. Der Roman klinge wie eine «Lebensbeichte» der Autorin und wie «eine Demütigung eines langjährigen Freundes». Es sei eine Enthüllung oder eine späte Abrechnung. Oder einfach gleich beides.

Das ist alles etwas lächerlich. Zumal Thomas Hürlimann Katja Oskamp eine Mail schrieb, wie in der «Zeit» zitiert, um möglichen Vorwürfen, sie könnte seine Persönlichkeitsrechte verletzt haben, zuvorzukommen. «Ich habe gegen dein Buch keine Einwände, im Gegenteil, es ist eine wundervolle Liebesgeschichte, und ich freue mich, dass ich mitspielen darf.»

Brachial, gnadenlos und richtig gut geschrieben

Das ändert nichts daran, dass der Roman unverschämt indiskret ist; aber so souverän damit umgehen wie Hürlimann? Kann nicht jeder. Vielleicht sind die Kritiker auch etwas durcheinander, weil hier eine Frau mit sich und einem berühmten Mann ins Gericht geht und richtig viel aus dem Schlafzimmer berichtet. Weil, ganz ehrlich, möchte man wissen, ob Thomas Hürlimann wirklich Handschellen zum Geburtstag bekommen hat? Nicht unbedingt. Dieses Bild muss man auch erst einmal wieder loswerden.

Die Empörung, dass Oskamp tut, was Knausgård, Frisch und im Übrigen auch Hürlimann selbst gemacht haben, das eigene Leben schamlos verwerten, ist auch etwas lustig. In erster Linie schont sich die Autorin selbst nicht. Sie macht sich genauso zum Material der Geschichte, würde sie einzig mit ihm abrechnen, es wäre ein langweiliger Text geworden.

Das ist brachial, das ist gnadenlos und das ist richtig gut geschrieben. Katja Oskamp ist keine Frau, die weichzeichnet. Und doch steht ein versöhnlicher Satz über dieser Liebesgeschichte, die sein musste, aber nicht für immer sein sollte. «Jemand sagt, es sei nicht klar, ob ich dich verlassen habe oder du mich.»

Katja Oskamp: Die vorletzte Frau. Park x Ullstein, 2024. 208 Seiten, ca. 32 Fr.