Konzertkritik Pet Shop BoysLiebesschwüre bei zwei Promille
Sie können es immer noch: Die Pet Shop Boys verzauberten am Sonntag das Hallenstadion.
Auf der Bühne stehen zwei ältere Herren reglos da. Der eine ist kahl, der andere trägt Baseballmütze. Der Kahle singt, der andere spielt. Beide tragen einen weissen Überzug, halb Laborkittel, halb Morgenmantel, und so sehen sie auch aus – wie zwei einsame Männer in der Nacht.
Sie nennen sich The Pet Shop Boys, Jungs aus der Tierhandlung. Sie sind sehr englisch und sehr schwul. Das eine merkt man ihnen an, zum anderen stehen sie offen. Und so wurden sie von der Gay Community und ihren Tanzclubs von Anfang an gefeiert. Ihre laufende Tournee verspricht die Greatest Hits. Das Konzert dauert nicht ganz zwei Stunden, aber sie könnten noch viel mehr Hits spielen. Denn die Pet Shop Boys haben über 100 Millionen Platten verkauft.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Obwohl sie eine Weile weg waren, war das Hallenstadion innert Stunden ausverkauft. Dass es nicht so aussieht, hat damit zu tun, dass die Gruppe nur den halben Saal gemietet hat, deshalb ist die Halle auch bestuhlt.
Kitsch und Ironie, das perfekte Paar
Die beiden Briten, seit bald vierzig Jahren als Duo, wenn auch nicht als Paar zusammen, bringen das schwer Vereinbare zusammen als perfektes Paar: Kitsch und Ironie. Chris Lowe ruft eine Tanzmusik ab, die bald schwülstig klingt und dann wieder federnd leicht, peitschend oder verhalten, rhythmisch und sphärisch. Er verarbeitet alle möglichen Einflüsse, und trotzdem erkennt man den Sound der beiden von Anfang an.
Das hat entscheidend mit Neil Tennant zu tun, dem Sänger und Texter mit der charakteristisch hohen, dünnen Stimme, ein stoischer Melancholiker, der in seinen trügerisch einfachen Liedern von grossen Gefühlen singt und der Unfähigkeit, sie zu erleben. Tennant erzählt von der manischen Fröhlichkeit des Strichjungen («New York Boy») und dem verbrauchten Leben in der London West End («West End Girls»); erinnert an die Versprechen der Thatcher-Jahre – «Ich habe das Hirn, du siehst gut aus, lass uns Geld machen, haufenweise»; klagt über Liebesschwüre bei 2 Promille («You only tell me you love me when you‘re drunk»). Dabei klingt er wie ein moderner Hiob: Es passiert immer das Schlimmste, und man singt auch noch mit.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Es ist diese Kombination aus Apathie und Leidenschaft, Traurigkeit und Entfesselung, die dieses Duo ausmacht. Der eine singt, und der andere spielt, die beiden stehen nebeneinander und kommen sich trotzdem nicht näher, weil der Musiker eine Gemeinschaft feiert, die der Sänger nur als Sehnsucht erleben kann. Aber nur weil die Musik dermassen optimistisch klingt, kann sich der Sänger seinen Pessimismus erlauben. Die Musik sublimiert seine Verzweiflung zum Trauerflor.
Kahle, hoffnungslose Verse
Letzten Endes lässt sich die Botschaft dieses grossartigen, sich stetig steigernden, von einer virtuosen Lichtregie angeflackerten Konzertes in zwei Stücke fassen, das erste des Abends und das letzte vor den beiden Zugaben, «Suburbia» heisst das eine und das andere «It‘s a Sin». Das eine handelt von der Kindheit, das andere von der Pubertät. Und beide klingen trostlos.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Im ersten Song singt Tennant davon, was es heisst, in einer namenlosen Vorstadt aufzuwachsen, schüchtern, intelligent und einsam. Im zweiten Lied, welches das Duo und seine Begleiter in einer mitreissenden Version abbrennen und das zum Höhepunkt des Abends gerät, erinnert sich der Sänger an die Qualen der Schuld. Wie es damals war, als homosexueller Junge unter den Schuldgefühlen des Katholizismus heranzuwachsen.
Tennant, studierter Historiker mit einer Faszination für die österreichisch-ungarische Monarchie, besingt dieses Gefühl in kahlen, hoffnungslosen Versen: «When I look back upon my life / It‘s always with a sense of shame / I‘ve always been the one to blame / For everything I long to do».
Die Körper mögen sich befreit haben, die Gedanken bleiben eingesperrt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.