Staatsoberhaupt Joseph AounLibanons Präsident aus dem Hinterzimmer
Das libanesische Parlament wählt den bisherigen Armeechef zum neuen Staatsoberhaupt. Dabei hat dieser gar nie offiziell kandidiert.
In seiner Heimatregion wurde schon der Dorfplatz geschmückt, und in Beirut druckten die ersten Copyshops Poster und Bilder des neuen Präsidenten Joseph Aoun. Aber die politische Elite von Libanon wäre sich selbst untreu geworden, hätte sie Armeechef Aoun am Donnerstagmorgen einfach so zum neuen Staatschef gewählt, obwohl das ganze Land fest davon ausgegangen war, nach 25 Monaten Vakanz endlich wieder ein Staatsoberhaupt zu bekommen. Die Parlamentarier haben in den vergangenen zwei Jahren zwölf Versuche unternommen und konnten sich nie auf einen Kandidaten einigen. Der Hafen explodierte, die Wirtschaft auch, die Hizbollah zog das Land in den Krieg, den Parlamentariern war es egal.
Auch am Donnerstag beschimpften sie sich in der ersten Sitzung gegenseitig als «entartet» und «ohne Ehre» – und liessen Aoun zunächst durchfallen. Erst im zweiten Wahlgang wurde der 60-Jährige zum neuen Präsidenten gewählt. Weil die Verfassung einen Armeechef als Präsidenten gar nicht erlaubt, aber mit Zweidrittelmehrheit geändert werden könnte, erhielt Aoun im zweiten Versuch diese Mehrheit: 99 von 128 Stimmen. Das gilt in dem Land quasi als rechtmässiger Bruch der Verfassung.
Bemerkenswerte Einigkeit
Für die chronisch zerstrittene Politik in Libanon ist das ein bemerkenswertes Ergebnis der Einigkeit, das von vielen Libanesen begrüsst wird. Aber auch einen Beigeschmack hat. Aoun hat seine Kandidatur nie öffentlich erklärt, er hat nie gesagt, was er vorhat. Er steht zwar keiner Partei nahe, ist aber dennoch ein Präsident, der aus den Hinterzimmern kommt. Ein Kandidat, den die US-Amerikaner, die Franzosen und die Saudis wollten.
«Joseph Amos Bin Farhan», hat ein libanesischer Parlamentarier auf seinen Stimmzettel geschrieben, in Anspielung auf den US-Nahost-Vermittler Amos Hochstein und den saudischen Emissär Zeid bin Farhan, die seit Tagen hinter den Kulissen für Aoun geworben haben. Und nach Angaben libanesischer Abgeordneter deutlich machten, dass nur mit dessen Wahl dringend benötigtes Geld für den Wiederaufbau der im Konflikt mit Israel zerstörten Regionen nach Libanon fliessen wird.
Nach dem gescheiterten ersten Wahlgang trafen sich auch die Vertreter der Hizbollah und ihrer Verbündeten mit Aoun, stellten wohl Forderungen, oder taten für ihre eigene Klientel zumindest so. Danach war der Weg für Aoun frei, dessen Wahl noch vor Monaten als ausgeschlossen galt, da er kein Mann des Establishments ist. Was aber ist er dann? Zumindest beliebt bei denen, die sich ein neues Land wünschen, wie der Reform-Abgeordnete Mark Daou, der in den sozialen Netzwerken seinen Stimmzettel postete und sagte, Aoun habe die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Die Erwartungen sind riesig: Einen dauerhaften Frieden mit Israel zu erreichen, wird Aouns erste grosse Aufgabe sein. Dazu: einen Ministerpräsidenten bestimmen, eine Regierung bilden. Die Wirtschaftskrise beenden, die zerstörten Regionen wieder aufbauen, das Vertrauen in den Staat wiederherstellen und die Stromversorgung.
Immerhin kämpfte er gegen Korruption
Ziemlich viel für einen Mann: Aoun gilt zumindest als Kämpfer gegen die Korruption in der Armee. Die ist unterfinanziert und schwach, konnte unter Aoun aber einige Erfolge gegen den sogenannten Islamischen Staat vorweisen und die Hizbollah und ihre libanesischen Gegner auseinanderhalten. Aoun hat Teile seiner Ausbildung in den USA absolviert, aber auch in Syrien. Der Kollaps des Regimes von Bashar al-Assad machte die Wahl von Aoun erst möglich, jahrzehntelang hatten sich Assads Regime und Iran in Libanon eingemischt, sollen sogar an der Ermordung eines Ministerpräsidenten beteiligt gewesen sein.
Was bleibt, ist die Hizbollah, oder was davon übrig ist, nach Monaten israelischer Angriffe. Die Terrorgruppe galt lange als Staat im Staate, als unangreifbar und bis an die Zähne bewaffnet. In seiner ersten Rede im Parlament sagte Aoun nun: Der Staat müsse das Gewaltmonopol zurückerobern. Es wäre ein historischer Neuanfang für Libanon.
Fehler gefunden?Jetzt melden.