Studie zu QueerfeindlichkeitKüssen sich zwei Männer auf der Strasse, stört das die Hälfte der Bevölkerung
Eine neue Studie wirft ein schlechtes Licht auf die Akzeptanz queerer Menschen in der Schweiz. Nun fordern Organisationen einen besseren Schutz.

Herr und Frau Schweizer haben eine ambivalente Haltung gegenüber queeren Menschen. Zwar zeigen sie Verständnis für die sexuelle Orientierung, sprich, ob jemand schwul, lesbisch oder bisexuell ist. Sobald die Frage nach der sexuellen Identität im Raum steht, also trans oder nicht binäre Identitäten, sinkt die Akzeptanz aber deutlich.
Das zeigt eine Studie des Forschungsinstituts GFS Bern. Die Befragten gaben mit 41 und 39 Prozent weitaus häufiger an, gegenüber homosexuellen Personen eine sehr positive Haltung zu haben, als bei trans oder nonbinären Personen. Dort gaben dies 15 beziehungsweise 18 Prozent an.
Die Widersprüchlichkeit zeigt sich zudem darin, dass zwar eine klare Mehrheit akzeptiert, wenn Menschen ihre Sexualität ausleben. Sobald sich zwei Männer auf offener Strasse küssen, stört das allerdings rund die Hälfte der Bevölkerung. «Dies verdeutlicht eine gewisse Diskrepanz zwischen theoretischer Zustimmung zu Werten und praktischer Akzeptanz im Alltag», schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie.
Insbesondere ältere Männer, die religiös sind und politisch rechts stehen, sind gegenüber Anliegen queerer Menschen verschlossener. Frauen sind vergleichsweise offener dafür, mehr über queere Personen zu lernen. Dasselbe gilt für junge Menschen sowie jene, die sich eher linken Parteien zugehörig fühlen.
Ausserdem gilt: Wer queere Menschen persönlich kennt oder selber schon Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht hat, ist offener als jene, auf die weder das eine noch das andere zutrifft.
Gewalt: Schweiz steht international schlecht da
Neben der Bevölkerungsumfrage hat das Forschungsinstitut eine zweite Befragung in der queeren Gemeinschaft durchgeführt. Dort kam heraus, dass jede vierte queere Person in der Schweiz in den letzte fünf Jahren mindestens einmal körperliche oder sexuelle Übergriffe erfahren hat, die auf ihre Sexualität, Geschlechtsidentität oder Intergeschlechtlichkeit zurückzuführen sind.
Rund ein Drittel der Befragten meidet bestimmte Plätze oder Orte – aus Angst, diskriminiert oder angegriffen zu werden. Diese Zurückhaltung ist nicht unbegründet, wie auch die Bevölkerungsbefragung zeigt: Insgesamt 36 Prozent gaben darin an, dass Menschen ihre sexuelle Orientierung nur zu Hause und nicht in der Öffentlichkeit zeigen sollten.
Während das allein nicht automatisch auf eine Bereitschaft für Übergriffe und Diskriminierung schliessen lasse, zeige das breite Vorhandensein dieser Haltung, dass sichtbar andere Lebensentwürfe vielerorts nicht erwünscht seien, schreibt das GFS Bern.
Die Studie stützt sich auf eine Referenzerhebung in der EU und ermöglicht erstmals den Vergleich der Schweiz mit anderen europäischen Ländern. Markant dabei ist, dass queere Menschen in der Schweiz häufiger von Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen berichten als Befragte in der EU.
Besserer Schutz gefordert
Zahlreiche Organisationen haben nach der Veröffentlichung der Studie am Mittwoch gefordert, dass sich die Schweizer Behörden zu einem besseren Schutz queerer Personen bekennen. «Wir möchten – wie alle Menschen – selbstbestimmt leben. Frei von Hass und Gewalt. Doch wir stehen zunehmend im Fadenkreuz von Diskriminierung und Hetze», wird Urs Vanessa Sager von Interaction, dem nationalen Verein für intergeschlechtliche Menschen, in der Mitteilung zitiert.

Die Organisationen – darunter auch Pink Cross und Queeramnesty – fordern die Erweiterung der Diskriminierungsstrafnorm auf Transpersonen und Personen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale. Ein nationaler Aktionsplan gegen LGBTIQ+-feindliche «hate crimes» müsse zudem zeitnah und vollständig umgesetzt werden. Es brauche Sensibilisierungen in öffentlichen Institutionen, insbesondere im Gesundheitswesen, im Asylbereich, in Schulen und bei der Polizei.
Ausserdem brauche es regelmässige Präventionskampagnen gegen queerfeindliche Stereotype und Gewalt. Weiter müssten Helplines und Beratungsstellen für Betroffene von queerfeindlicher Gewalt institutionalisiert und ihre Finanzierung garantiert werden. Zudem müsse ein regelmässiges Monitoring durchgeführt werden – zur Messung der Wirksamkeit von Massnahmen.
Mit Material der SDA.
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