Ausbau der Solarenergie«Lex Bodenmann»: Freipass für alpine Solaranlagen
Ständeräte wollen die Bewilligungspraxis radikal vereinfachen. Das heble die demokratische Mitsprache aus, kritisieren Landschaftsschützer. Im Parlament zeichnet sich Zustimmung ab.
Nun soll es ruckzuck gehen. Die Energiekommission des Ständerats will den Bau von Fotovoltaikanlagen im freien Gelände stark beschleunigen; das würde vor allem Standorte in den Alpen betreffen. Für solche Anlagen, die viel Winterstrom produzieren, sollen von Gesetzes wegen in Zukunft wichtige Erleichterungen gelten: Es braucht für sie keine Planungs- und Umweltverträglichkeitsprüfung, das Interesse an ihrer Realisierung steht über anderen Interessen von nationaler oder kantonaler Bedeutung, also etwa Landschafts- und Naturschutz.
Einzige Bedingung ist, dass Grundeigentümer und Standortgemeinden ihre Zustimmung geben und die Anlage jährlich mehr als 20 Gigawattstunden Strom produziert. Diese Grenze ist kein Zufall. Die zwei geplanten und viel diskutierten Walliser Solarkraftwerke liegen darüber: jenes in Gondo und jenes in Grengiols, das der frühere SP-Präsident Peter Bodenmann vorantreibt.
Der Ständerat wird den Antrag seiner Energiekommission in der Herbstsession dringlich behandeln. Der Nationalrat soll umgehend nachziehen, sodass das Geschäft bereits Ende September im Trockenen ist. Die Zeichen stehen auf Zustimmung, nicht nur in der SVP, FDP und der Mitte, sondern auch in der SP. «Das ist ein sehr guter Entscheid», sagt Fraktionschef Roger Nordmann. Er ermögliche, dass die ersten Anlagen bereits im Winter 2023/24 Strom liefern könnten – was allerdings nicht sicher ist.
«Der Vorschlag ist Ausdruck einer Panik- und Kriegspolitik.»
Doch das ökologische Lager spricht nicht mit einer Stimme. «Der Vorschlag ist Ausdruck einer Panik- und Kriegspolitik», sagt Raimund Rodewald, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz (SL). Damit würden das Raumplanungsgesetz, das Umweltschutzgesetz, das Natur- und Heimatschutzgesetz sowie die demokratische Mitwirkung mit einem Schlag ausgehebelt. Geschaffen werde eine «Lex Bodenmann». Rodewald befürchtet, dass für Wind- und Wasserkraft in der gleichen Logik ebenfalls ein solches «Durchbrecher-Gesetz» folgen werde. Im Minimum, so Rodewald, müsse das Parlament nun sicherstellen, dass trotz allem die «nationalen Landschaftsperlen» bewahrt würden und das Gesetz zumindest befristet werde.
Doch nicht alle Umweltverbände schlagen solche Töne an. Der WWF etwa weist auf «gewisse Unwägbarkeiten» hin. Der Verband hat zwar Verständnis dafür, dass die Politik kurzfristig auch Fotovoltaikanlagen auf Freiflächen bauen möchte. «Dass solche Freiflächen aber ohne Umweltverträglichkeitsprüfung realisiert werden sollen, erachten wir als risikoreich für die Umwelt», sagt Sprecher Jonas Schmid. Denn noch bestünden keine Erfahrungen mit grossen hochalpinen Anlagen. «Wir empfehlen daher den Projektanten, für solche Projekte so oder so eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.» Eine solche bündele alle nötigen Bewilligungen zum Bau und beschleunige dadurch das Verfahren. Zudem würden ordentliche Bewilligungen Investoren auch vor späteren Schadensansprüchen absichern. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass Projekte gar nicht finanziert würden.
Die Solar-Lobby jedenfalls weiss um die Brisanz des Vorschlags. «Es ist unschön, dass man zu so drastischen Mitteln greifen will», sagt David Stickelberger, Geschäftsführer vom Branchenverband Swissolar. Der Schritt scheine ihm aber «legitim und notwendig». Stickelberger verweist auf die drohende Strommangellage und die «Klimakrise, die sich bereits mit voller Wucht zeigt». Und er ruft in Erinnerung, dass die Politik den Ausbau der Fotovoltaik jahrelang gebremst habe.
Axpo will tiefere Grenze
Präsident von Swissolar ist Jürg Grossen. Der GLP-Chef will sich im Nationalrat für die Lösung einsetzen. Ökologische Bedenken hat Grossen nicht. Er verweist auf Studien der ETH und der ZHAW, wonach solche Anlagen sogar positive Effekte auf die Biodiversität haben könnten. «Und sie können bei Bedarf nach der kalkulierten Betriebszeit ohne weiteres demontiert und zurückgebaut werden.»
Positive Signale kommen auch von den Grünen, die in einem neuen Positionspapier den Bau solcher Anlagen explizit befürworten. «Die Stossrichtung stimmt», sagt Nationalrat Bastien Girod. Einen Freipass wollen die Grünen solchen Projekten aber nicht geben. Die Kantone sollten bei der Bewilligung und Priorisierung der Projekte auch auf allfällige irreversible ökologische Auswirkung achten, so Girod. Er hält also solche negativen Folgen für möglich. Es könne nicht sein, mahnt Nationalrat Bastien Girod, dass eine solche Anlage zum Beispiel in ein Biotop gebaut werde. Zudem soll die Anlage nach 25 Jahren Laufzeit doch noch das ordentliche Bewilligungsverfahren durchlaufen.
Die Stromwirtschaft reagiert ebenfalls positiv auf den Vorschlag. «Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung», sagt Axpo-Sprecher Martin Stucki. Positiv sei, dass die Anlagen von übergeordnetem Interesse und standortgebunden sein sollen, denn die stärkere Gewichtung der Energieproduktion bei der Interessenabwägung sei dringend nötig. Die Axpo hält den Schwellenwert von 20 Gigawattstunden Jahresproduktion für zu hoch, besser wären ihrer Ansicht nach 7,5 Gigawattstunden. Es gebe auch kleinere Anlagen in Infrastrukturnähe, die viel Winterstrom produzieren könnten.
Nationale Solarpflicht für Neubauten?
Die Umweltkommission des Ständerats will die Fotovoltaik mit einer weiteren Massnahme fördern: Ab 1. Januar 2024 sollen Bauherren im Grundsatz dazu verpflichtet werden, auf Neubauten eine Solaranlage zu erstellen. Diese sogenannte Solarpflicht besteht heute in den meisten Kantonen schon, Ausnahmen sind etwa Bern und der Aargau. Insofern will die Kommission hier eine Lücke schliessen.
Bereits Energieministerin Simonetta Sommaruga wollte eine Solarpflicht für Neubauten landesweit einführen, ist damit im Bundesrat aber aufgelaufen. Die Ständeräte stellen sich also gegen den Gesamtbundesrat. Bemerkenswert ist, dass sie als Standesvertreter den Kantonen eine einheitliche Lösung diktieren wollen. Der Entscheid indes war in der Kommission umstritten und kam nur dank des Stichentscheids von Präsidentin Elisabeth Baume-Schneider (SP) zustande. Swissolar zeigt sich über den Vorschlag erfreut, allerdings fordert der Branchenverband eine Solarpflicht auch auf bereits bestehenden Gebäuden, etwa im Falle von grösseren Renovationsarbeiten.
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