Leitartikel zum WahlsonntagBitte keine Experimente – die Schweiz wählt Stabilität
Die grosse Wahlsiegerin SVP profitiert von der herrschenden Unsicherheit. Den Grünen wird auch der eigene Erfolg zum Verhängnis.
Die Schweiz – eine Gegenwelt.
Draussen toben Kriege, drängen demokratiefeindliche Populisten an die Macht, terrorisieren Extremisten die Zivilbevölkerungen. Drinnen, da soll alles so bleiben, wie es ist. Da zählen Stabilität und Bewahrung; bitte keine Experimente!
Der deutliche Sieg der SVP ist das Resultat eines verbreiteten Sicherheitsbedürfnisses in der Bevölkerung. Wenn im Sturm des Weltgeschehens auch für die Schweiz Gefahr droht, dann verspricht die Wahl der Volkspartei Konstanz und Ordnung.
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An diesen Stabilitätsansprüchen muss sich die SVP messen lassen. Mit ihren aufwieglerischen Tendenzen, der Wir-gegen-alle-anderen-Mentalität und der Lust am Konflikt strapaziert sie jedoch die politische Konsenskultur. Das verunmöglicht häufig Kompromisse im Parlament. Mehr noch: Die grossen ungelösten Probleme des Landes – allen voran die hohen Gesundheitskosten, die Altersvorsorge, das Verhältnis zur EU und die Energiewende – verharren ohne nennenswerte Lösungsvorschläge der grössten Partei.
Es ist die Verantwortung der SVP, in Zukunft Lösungen aktiv (und mehrheitsfähig!) zu gestalten.
Will die SVP die Schweiz zu dem sicheren Ort machen, den sie ihren Wählern in diesem Wahlkampf versprochen hat, gehört dazu nicht nur die Opposition gegen alles Fremde, sondern auch gesicherte Lebensgrundlagen im Alter oder geregelte Handelsbeziehungen zu den wichtigsten Wirtschaftspartnern. Es ist die Verantwortung der weitaus stärksten Kraft im Land, hier in Zukunft Lösungen aktiv (und mehrheitsfähig!) zu gestalten. (Politexperte im Wahlinterview: «Wir erleben einen Rechtsruck – mit einem entscheidenden Unterschied zu 2015»)
Dass die SVP trotz dieser realpolitischen Unterlassungssünden die grosse Wahlsiegerin ist, liegt primär an ihrem untrüglichen Gespür für die Befindlichkeiten der Bevölkerung und an ihrer Stärke, die Anhänger zu mobilisieren. Zuerst heizte sie den Wahlkampf mit ihrem Einsatz gegen «Gender-Gaga und Woke-Wahnsinn» an – einem Thema, das hochgradig polarisiert.
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Dann setzte die SVP konsequent und erfolgreich auf das Thema Zuwanderung. Ein Albtraum für alle anderen Parteien, denn hier rächt sich deren eigene Feigheit. Sie verweigern sich aus Angst (wovor eigentlich?) seit Jahren einer aktiven Zuwanderungsdebatte. Und überlassen das Feld allein der SVP, die den diffusen Ängsten in der Bevölkerung mit trügerisch einfachen Lösungen begegnet.
Deren Erfolg mit der Themensetzung sollte der politischen Konkurrenz endlich eine Lehre sein. Die Schweiz ist jenes Land Europas, dessen Bevölkerung proportional am stärksten wächst. Diese Entwicklung wird politisch bislang mangelhaft reflektiert – das Land braucht einen kreativen Ideenwettbewerb dazu. Wie verdichten wir nachhaltig? Nach welchen Kriterien steuern wir die Zuwanderung? Wie sehen unsere bevölkerungsreichen Städte der Zukunft aus? Wie können wir das Potenzial der inländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser nutzen? Und welche raumplanerischen Massnahmen braucht es? Solche und ähnliche Fragen verdienen eine angstfreie Auseinandersetzung.
Der grüne Alarmismus nutzt sich ab.
Das virulente Sicherheitsbedürfnis widerspiegelt sich auch im Ergebnis der grossen Verliererin. Gerade in einer Zeit multipler Krisen dürfte sich der weltuntergänglerische Alarmismus der Grünen abgenutzt haben, während ihr permanenter Ruf nach Veränderungen abschreckend wirkt. Im Unterschied zu den einfachen Lösungen der SVP sind ihre Forderungen in der Klima-, der Energie- und der Umweltpolitik anstrengender, weitreichender für die Bevölkerung und insofern mit grösseren persönlichen und gesellschaftlichen Unsicherheiten verbunden.
Hinzu kommt der Erfolg des zentralen grünen Anliegens: Der Klimawandel bedarf entschiedenen Handelns – das ist inzwischen Konsens in breiten politischen Kreisen. Die Konkurrenz bietet hingegen moderatere Lösungen. Das wirkt sich verhängnisvoll aus für die noch immer als Ein-Themen-Partei wahrgenommenen Grünen. Auch die späte und zaghafte Distanzierung von den Aktionen der nervigen Klimakleber sowie der argumentativ schwierig zu vermittelnde Widerstand gegen alpine Solaranlagen dürften die Grünen Sympathien gekostet haben.
Der Aufstieg der Grünen verläuft – wie jener der SVP – seit je nicht linear, sondern in Wellen. So konsolidieren sie ihre Macht auf kontinuierlich höherem Niveau. Und stets auch in Wechselwirkung mit dem Erfolg der SP, die dank dem Fokus auf den Kaufkraftverlust diesmal Wechselwähler überzeugt haben dürfte. So gesehen passt das jetzige grüne Minus, nach dem Erdrutschsieg vor vier Jahren, doch auch in ein historisches Muster.
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