Verblüffende Nicola SpirigLeidenschaftlich bis zum letzten Meter
Nicola Spirigs Abschied wird zum «Walk of Fame»: Sie durchläuft beim Halbmarathon am Greifensee noch einmal ihre ganze Karriere – ohne Wehmut.
Das letzte Mal im Ziel. Als Profi-Athletin. Das letzte Mal ein Sprint gegen die stärkste Konkurrentin. Das letzte Mal der Gedanke, wie schnell wohl? Das letzte Mal zehn Kameras, die einen erwarten. Das letzte Mal erklären, dass es ein Genuss war.
Nicola Spirig hat am Samstag ihre lange und erfolgreiche Karriere beendet, 25 Jahre Spitzensport so abgeschlossen, wie sie ihn 25 Jahre betrieben hat: mit einer «extrem hochstehenden Leistung». So sagt sie das nachher selber sehr zufrieden. Für ihren Abschiedswettkampf hat sie den Greifenseelauf in Uster ausgewählt, «weil ich dort meinen Fans etwas zurückgeben kann».
«Mir geht es gut, es war perfekt.»
Und das macht sie nach ihrem Halbmarathon dann auch. Kaum im Ziel kehrt sie wieder um, joggt die ewig lange Zielgerade hinunter, klatscht auf der rechten Seite alle ab und kommt auf der linken zurück. Das geniesst nicht nur sie, sondern auch alle Zuschauerinnen und Zuschauer, die ihre grössten Erfolge wohl nur im Fernsehen gesehen haben. Die Kleinsten des Leichtathletik-Clubs Uster stehen Spalier und schwenken Spirig-Fähnchen, es hätten auch ihre eigenen Kinder sein können, zwei der drei sind ebenfalls gelaufen. Wehmut kommt in diesen Momenten keine auf, sie sagt: «Mir geht es gut, es war perfekt.»
Die 43. Austragung des Greifenseelaufs wird damit eine spezielle, schon 2001 hatte mit New-York-Marathon-Siegerin Franziska Rochat-Moser eine Grosse des Schweizer Sports hier ihren Abschied gefeiert. Damals allerdings bei strömendem Regen und bei einem Farewell-Lauf.
Spirig und alle anderen rund 7500 Läuferinnen und Läufer haben mehr Glück: Bei frischen Temperaturen sind zwar schon viele Daunenjacken unterwegs, der Regen aber fällt anderswo, und zwischendurch wärmt sogar die Sonne ein wenig. Den Abschiedslauf der Hauptdarstellerin haben die Organisatoren um Markus Ryffel zum «Walk of Fame» gemacht, auf jeder der 21 Kilometertafeln ist einer ihrer Karriere- oder Lebensschritte beschrieben. Für die Triathlon-Olympiasiegerin von 2012 ist das eine Überraschung – eine, «die ich allerdings erst bei Kilometer 7 bemerkt habe», sagt sie.
Doch dann beginnt das Kopfkino zu laufen, als sie da liest, dass sie ab 2009 sieben grandiose EM-Titel gewinnt. Was wird auf den nächsten stehen, was hätte man noch draufschreiben können? 2012 ist klar: die Krönung, Olympiasiegerin. Noch eine 2012? Klar! Schweizer Sportlerin des Jahres. «Die Tafeln haben mich unheimlich motiviert», sagt sie hernach, «als es bei Kilometer elf hiess ‹2013, Hurra, Yannis kommt zur Welt›, gab mir das gleich den Schub, wieder zu den Führenden aufzuschliessen.»
Wer hat da nicht gleich das Bild des Zieleinlaufs in London beim Olympiatriumph vor Augen?
Die Zürcher Unterländerin schliesst nicht nur auf, sondern setzt sich mit der Äthiopierin Serkalem Mengiste ab und liefert sich mit dieser auf dem letzten Kilometer, auf den letzten Metern gar, ein spannendes Duell. Und natürlich, wer hat da nicht gleich das Bild des Zieleinlaufs in London bei ihrem Olympiatriumph wieder vor Augen? So knapp wie damals wird es allerdings nicht und so prägend für die Zukunft schon gar nicht.
Mengiste läuft schliesslich ein paar Sekunden vor ihr ins Ziel, Spirig aber überrascht sich noch einmal (und auch das zum letzten Mal?) mit einer persönlichen Bestzeit: 1:15:14 Stunden. Sie ist sich damit bis zuletzt treu geblieben, sie sagt: «Ich bin einfach der Wettkampftyp, wenn ich starte, nehme ich das auch ernst.» Dass sie nach Wochen, in denen sie das Training ein wenig reduziert hat, über so gute Beine verfügen würde, hat sie nicht erwartet. Verglichen mit ihrem Greifenseelauf-Sieg 2019 ist sie um über eine Minute schneller. Das hat ihr auch ihr Trainer Brett Sutton nicht mehr zugetraut.
Leidenschaft, Freude und Hingabe
Aber eben: Spirig beendet ihre Karriere mit der gleichen Leidenschaft, der gleich grossen Freude, mit der sie in den vergangenen 25 Jahren rund um die Welt Triathlon-Wettkämpfe von der (kürzesten) Sprint- bis zur (längsten) Ironman-Distanz gewonnen hat, mit der sie 1999 und 2000 schon an der Cross-EM aufs Podest gelaufen ist und der Leichtathletik-Schweiz ein wenig Hoffnung auf eine nächste Anita Weyermann gemacht hat. Und mit der sie schliesslich nach ihren drei Geburten (und auch einigen gravierenden Verletzungen) jeweils in «no time» wieder ihr Niveau erreicht hatte und zurück an der Spitze war.
Es ist das, was Spirig am meisten fasziniert hat: eine unmöglich scheinende Leistung zu erbringen. Die Komfortzone zu verlassen, sich über längere Zeit mit fast bedingungsloser Hingabe der Herausforderung stellen. Nur so ist erklärbar, wie sie nach ihren fünften Olympischen Spielen in diesem Frühsommer noch den Brocken «Sub8» in Angriff nehmen konnte, den Ironman mithilfe von Pacemakern unter acht Stunden zu schaffen. Auch das ist ihr gelungen – dank einem Team, das getickt hat wie sie. Dank ihrer inspirierenden Art.
Und dann hiess es auf der Kilometertafel 21: Finish und Neustart – alles Gute! Spirig hat sie als Geschenk mit nach Hause genommen, «das passt jetzt gut». Zuvor hat sie bereits die Annehmlichkeiten einer Zurückgetretenen genossen: Ein erstes Mal nicht auslaufen nach dem Wettkampf, «das muss jetzt nicht sein». Ein erstes Mal kein Regenerations-Shake nach den 75 Minuten Höchstleistung, «jetzt darf es gern ein Glas Wein sein». Und am Sonntagmorgen? Ein erstes Mal kein Training und deshalb ausschlafen? Nicola Spirig lacht. «Das sehen die Kinder wohl anders.»
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