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Ausstellung über Le Corbusier
Er wollte halb Paris niederreissen und mit Hochhäusern ersetzen

Modell eines Gebäudes von Le Corbusier, ausgestellt im Zentrum Paul Klee. © Adrian Moser / Tamedia AG
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In Kürze:
  • Le Corbusier prägte die moderne Architektur und den Städtebau.
  • Das Zentrum Paul Klee zeigt eine Sonderausstellung zu seinem Schaffensprozess.
  • Kunst diente Le Corbusier als Experimentierfeld und inspirierte seine Architekturen.
  • Le Corbusiers Haltung zum Faschismus wird in der Ausstellung kritisch beleuchtet.

Allein das Wort: Wohnmaschine. So wird die «Unité d’habitation» auf Deutsch genannt, die der Architekt Le Corbusier 1947 erstmals in Marseille baute. Das brutalistische Betongebäude, hergestellt in Serie und optisch ein Vorläufer der Plattenbauten, sollte in den Nachkriegsjahren möglichst vielen Menschen Wohnkomfort bieten. Die Mietskasernen in den Städten waren überfüllt, die Lebensbedingungen schlecht.

Was also für heutige Mieterinnen und Mieter einer stuckaturverzierten Altbauwohnung wenig anheimelnd klingt, war damals Avantgarde. Das Zentrum Paul Klee (ZPK), das heuer sein 20-Jahr-Jubiläum feiert, zeigt nun in einer Sonderausstellung, wie der schweizerisch-französische Architekt, Künstler und Designer Le Corbusier die moderne Architektur und den Städtebau prägte. «Le Corbusier. Die Ordnung der Dinge» wirft dabei ein besonderes Schlaglicht auf seinen Schaffensprozess.

Le Corbusier war wohl der erste Architekt, der nicht nur in Fachkreisen, sondern auch bei einem breiten, internationalen Publikum Bekanntheit genoss. Hierzulande ist der 1887 in La Chaux-de-Fonds geborene Charles-Édouard Jeanneret, wie Le Corbusier bürgerlich hiess, in Form von Häusern präsent: Villen in La Chaux-de-Fonds oder am Genfersee sowie etwa der Pavillon in Zürich lassen sich nach wie vor besichtigen. Ausserdem prangte er jahrelang auf der gelben Zehnernote. Und erfand mit der schwarzledrigen «LC4» die wohl bequemste Liege der Welt.

Ein Mann mit Brille und Fliege in einem formellen Anzug.

Die Ausstellung im ZPK biete nun «eine Chance, das Werk, über das man schon so viel gehört hat, als Ganzes zu erleben», sagt der Kurator der Ausstellung, Martin Waldmeier. Wobei eben nicht Le Corbusiers Leistungen oder Errungenschaften in Form von Gebäuden im Fokus stehen, sondern vielmehr sein Denken, sein Entwerfen, sein Wirken. Dabei spiele die Ordnung eine wichtige Rolle, sagt Waldmeier. «Sie ist ein Grundthema von Le Corbusiers Denken.»

Ausstellungsraum im Zentrum Paul Klee mit Werken von Le Corbusier, einschliesslich farbiger Wände mit Gemälden. © Adrian Moser / Tamedia AG

Ordnung habe für Le Corbusier bedeutet, dass sich der Mensch in einer Welt voller Chaos einen Platz schaffe, sie bewohnbar mache. Sie sei für ihn nötig gewesen, um menschliche Grundbedürfnisse zu befriedigen – solche nach Licht, Schutz und Geborgenheit. «Erst dann kann sich der Mensch laut Le Corbusier mit höheren Dingen befassen.»

Die Kunst war für ihn ein freies Experimentierfeld

Klar gegliedert ist auch die Ausstellung selber. Rechts im grossen Saal erhält man Einblick in Le Corbusiers architektonisches Schaffen – seine städtebauliche Vision «Plan Voisin» beispielsweise: eine radikale Idee für eine Neugestaltung des Paris von 1925, die unter anderem den Abriss von historischen Quartieren vorsah.

Darin zeigt sich Le Corbusiers breites Verständnis von Architektur. «Er war der Meinung, sie müsse mit den gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen Schritt halten und sich in erster Linie mit den Bedürfnissen der Menschen beschäftigen», sagt Waldmeier. Der «Plan Voisin» ist aber auch eines von unzähligen Projekten, die nie realisiert wurden. «Le Corbusier war ein total utopischer Denker», sagt Waldmeier. «Er erlebte die Architektur oft als Ort der Niederlagen, wo er abgelehnt und kritisiert wurde.»

Die Kunst hingegen war für Le Corbusier ein freies Experimentierfeld. Diese weniger bekannte Seite von ihm, jene als bildender Künstler, lernt man auf der linken Seite des Ausstellungsraums kennen. Zu sehen sind etwa aparte Aquarell- und Tuschemalereien: Architektur- und Landschaftsstudien, die der junge Le Corbusier auf seinen Studienreisen durch ganz Europa anfertigte. Mit diesen bewarb er sich bei Architekturbüros, bevor er 1917 nach Paris zog, um mit seinem Cousin Pierre Jeanneret wenige Jahre später ein eigenes Architekturbüro zu gründen.

An den bunten Stillleben der 1920er-Jahre ist zu erkennen, welche Ideen Le Corbusier mit dem Purismus verfolgte – einer avantgardistischen Stilrichtung, die er zusammen mit dem französischen Künstler Amédée Ozenfant entwickelte. Die karge Strenge, die flächigen Farben, die geometrischen Formen: In der Malerei probierte Le Corbusier Stilmittel aus, die er in der Architektur aufnahm.

Abstrakte Gemäldeszene mit geometrischen Formen und lebendigen Farben, darunter Blau, Rot und Weiss, mit Struktur- und Maschinenelementen.

Auch wie er nach dem Zweiten Weltkrieg von einer rechteckigen Bauweise abwich und sich für asymmetrische, organische Formen zu interessieren begann, lässt sich in der Schau nachvollziehen. So ist etwa eine Skulptur zu sehen, in der sich das geschwungene, muschelförmige Dach der Kapelle Notre-Dame du Haut von Ronchamp spiegelt, die zwischen 1950 und 1955 erbaut wurde.

Konstruktionszeichnung einer modernen Kirche mit geschwungenen Formen und hohem Turm.

Le Corbusier habe sich mit der Architektur auf künstlerische Weise auseinandergesetzt, sagt Kurator Martin Waldmeier. «Er sah sich nicht nur als Häuserbauer, sondern stellte sich Fragen, die auch einen Maler umtreiben.» So habe er etwa über Themen wie Formen, Farben, Raum oder die Wirkung von Licht nachgedacht. Dieser «künstlerische Approach» spiegle sich auch in seinen Bauten. «Viele könnte man als begehbare Skulpturen bezeichnen.» Auf der anderen Seite habe ihm die Kunst auch Impulse für die Architektur gegeben.

Holzskulptur in der Le Corbusier Ausstellung im Zentrum Paul Klee.

Mittig im Ausstellungsraum schliesslich befindet sich der Teil «Recherche». Der Arbeitsalltag von Le Corbusier steht hier im Zentrum, der sich für sein Schaffen in Paris zwei Ateliers leistete: eines für die Architektur, eines für die Kunst.

Fast schon ansteckend in ihrem visionären Furor wirken seine Vortragszeichnungen, die erstmals in der Schweiz zu sehen sind: Kohleskizzen mit grobem Strich auf grossformatigen Papierbögen, nicht selten ergänzt durch Leitsprüche, fachliche Quintessenzen sozusagen. So skizzierte Le Corbusier etwa seine Idee für ein neues Paris und kritzelte neben den Entwurf (leicht erzürnt, stellt man sich vor): «L’académisme dit: Non!»

Handzeichnung einer Skyline mit dem Eiffelturm und der Inschrift ’l’académisme ah non!’

Die Kunstakademie ist dagegen: An der Elite rieb sich Le Corbusier, der ein leidenschaftlicher Redner war, aber selber keine akademische Ausbildung zum Architekten besass, immer wieder. «Er schoss scharf gegen die Kunstakademie und bezeichnete sie als reaktionär und unbrauchbar», sagt Waldmeier.

Ohne selber eine berufliche Qualifikation vorweisen zu können, habe er die radikalsten Visionen proklamiert – die damals sehr breit abgelehnt worden seien. Einen Auftrag zur Stadtplanung hat Le Corbusier erst spät bekommen: Die indische Stadt Chandigarh, die er von Grund auf neu baute, blieb der einzige. Eine Videoinstallation gibt Einblick, wie heute dort gelebt wird und wie sich die Planstadt verändert hat.

Die Anmassung und die Provokation schienen Le Corbusier anzutreiben. Seine extremen Ideen wurden stets auch als Affront empfunden. Tatsächlich haftete seinen unrealisierten stadtplanerischen Entwürfen etwas Totalitäres an. Er wollte im Auftrag des Staats Wohnraum für Millionen von Menschen schaffen, ohne dass die Bevölkerung am Prozess beteiligt wurde.

Und der Faschismus?

Heute ist es nicht unbedingt Le Corbusiers Werk, das umstritten ist – 17 seiner Bauten gehören zum Unesco-Welterbe –, sondern vielmehr seine Person. Die Ausstellung thematisiert auch seine politische Einstellung, seine Verbandelung mit dem französischen Vichy-Regime etwa, das mit dem nationalsozialistischen Deutschland kollaborierte. Inhaltlich stützt sich das ZPK dabei auf eine Studie, welche die Stadt Zürich 2012 in Auftrag gab.

Der Historiker Jean-Louis Cohen zeigt darin auf, wie unstetig und verworren Le Corbusiers Ansichten waren. Und dass er sich in seiner Jugend zwar antisemitisch äusserte, aber nie Anhänger des Nationalsozialismus war. Die Nähe zur faschistischen Mussolini-Regierung habe er nicht aus ideologischen, sondern einzig aus opportunistischen Gründen gesucht, schreibt Cohen: Weil der Faschismus «einen planvollen Ansatz des Städtebaus und der Architektur» unterstützte.

Man könnte befürchten, dass solche Aufarbeitungen zu Alibiübungen einer Schau verkommen, die den Künstler und Architekten ansonsten vorbehaltlos bejubelt. Hier allerdings ist das Setting ein anderes: Man bestaunt keine Gebäude oder Kunstwerke, sondern sieht dem wichtigsten Impulsgeber der modernen Architektur in der Schweiz beim Denken und Entwerfen zu. Und kommt ihm dabei richtig nahe.

Zentrum Paul Klee, Bern, 8. Februar bis 22. Juni 2025