Wertvolle SchenkungBescherung im Basler Kunstmuseum
Ein Gespräch mit Direktorin Elena Filipovic über ein Werk der Künstlerin Julie Mehretu, das dem Haus geschenkt wurde.
- Das «TRANSPaintings (crutch)» von Julie Mehretu ist ein Geschenk eines privaten Sammlers an das Kunstmuseum Basel.
- Kunstmuseum-Direktorin Elena Filipovic lobt Mehretus Integrität und politisches Engagement.
- Mehretu ist eine der bedeutendsten afro-amerikanischen Künstlerinnen. Ihre Werke erzielen bis zu zehn Millionen Dollar bei Auktionen.
«Bei diesem Bild handelt es sich um ein überaus grosszügiges Geschenk eines Werkes der Künstlerin Julie Mehretu durch einen privaten Sammler an das Kunstmuseum Basel», sagt Elena Filipovic, seit neun Monaten Direktorin des Basler Kunstmuseums. Bei einer gemeinsamen Besichtigung des frei im Raum stehenden Bildes im Neubau des Kunstmuseums Basel erzählt sie, dass sie die Arbeit der Künstlerin seit mehr als 15 Jahren genau verfolge und seit einigen Jahren auch persönlich gut bekannt sei mit ihr. «Ich schätze sie sehr auch als öffentliche Intellektuelle. Ihre Reden und Diskussionsbeiträge über Politik und Kunst sind sehr inspirierend.»
Julie Mehretu wurde 1970 in Äthiopien geboren, emigrierte dann mit ihren Eltern in die USA, wo sie zu einer der einflussreichsten Künstlerpersönlichkeiten der Gegenwart wurde. Auf ihrem Bild im Kunstmuseum Basel sind helle, gelblich getönte Lichtsäulen zu sehen, die vom unteren Bildrand emporwachsen und dann ineinander verschmelzen. Sie treten aus einem diffusen, mit bunten Markierungen übersäten Schattenreich heraus. Im Zentrum des abstrakten Gemäldes befindet sich ein rötlich-oranger Farbfleck, der einem wie eine Umarmungsgeste vorkommt.
«Julie Mehretu», erzählt Filipovic, «ist eine der wenigen US-amerikanischen Künstlerinnen mit afrikanischer Abstammung, die sowohl bei den Kritikern als auch auf dem Kunstmarkt unglaublich erfolgreich sind.» Als schwarze Frau mache sie abstrakte Kunst in einem Umfeld, in dem weisse männliche Künstler mit oft figürlichen Werken den Kunstmarkt dominierten. Mehretus grossformatige Gemälde erzielen auf Auktionen Spitzenpreise von fünf, ja sogar zehn Millionen Dollar.
Kunst für alle
«Für mich ist der Erfolg dieser Künstlerin eine Folge ihrer Integrität, ihrer Klugheit und ihrer Seriosität», so Filipovic. Sie erzählt von einer einzigartigen Wohltätigkeitsaktion der Künstlerin, die dem Whitney Museum of American Art in New York zwei Millionen US-Dollar geschenkt habe, damit Besucher unter 25 Jahren gratis ins Museum können. Es gehe Mehretu darum, Kunst möglichst allen Menschen zugänglich zu machen. «Von welchem Künstler, von welcher Künstlerin kennen Sie eine ähnliche Aktion?», fragt mich die Direktorin, die selber wegen klammer Kassen die Eintrittspreise ihres Museums im nächsten Jahr erhöhen muss.
Filipovic interessierte sich, wie sie erzählt, schon immer für den Aktivismus Julie Mehretus, für ihre Ideen, ein Museum zugänglicher zu machen, aber auch für ihre Überlegungen, was abstrakte Kunst heute sein kann. «Was wir auf ihren Bildern sehen, ist einerseits abstrakt und schön, aber dahinter verbirgt sich eine Realität, die manchmal extrem dunkel ist.» Denn Mehretus Abstraktionen basierten auf Medienbildern von Kriegen und politischen Krisen. «Ihre Bilder machen», so Filipovic, «bewusst, dass hinter einer schönen Fassade oft auch eine ziemlich hässliche Geschichte steckt.»
Julie Mehretus Gemälde im Kunstmuseum heisst «TRANSPaintings (crutch)» und ist in einen massiven Aluminiumrahmen gespannt. Das Werk gehört zu einer Serie von neun sogenannten «TRANSPaintings» aus dem Jahr 2023. In Klammern tragen sie Bezeichnungen wie Wiederkehr, Krücke, Kreuz, Schädel, Hand, Sitz, Maske, Traumdeuter und nackt. Sie bauen auf manipulierten und unscharfen Bildern des Krieges in der Ukraine auf, die mit Airbrush auf halbtransparentes Polyestergewebe aufgetragen wurden: ein Material, das ein gewisses Mass an Transparenz ermöglicht. Mehretu hat danach mit Siebdruckverfahren sowie Tinte und Acryl zusätzliche Schichten von Farbverläufen, Schatten, rhythmisch gesetzten Zeichen und Markierungen aufgetragen.
In Europa noch wenig bekannt
Noch geniesst Julie Mehretu nicht grosse Bekanntheit in Europa. Nach Retrospektiven im LACMA Los Angeles (2019), dem Whitney Museum of American Art in New York (2021) und dem Walker Art Center in Minneapolis (2021/22) zog nun aber der Palazzo Grassi in Venedig nach: «Julie Mehretu: Ensemble» ist Mehretus bisher bedeutendste Ausstellung in Europa, die noch bis zum 6. Januar 2025 dauert. Kommenden Sommer wandert die Ausstellung weiter in das Museum der Kunstsammlung Westfalen in Düsseldorf, wo sie vom 10. Mai bis 12. Oktober zu sehen ist.
Der Palazzo Grassi gehört seit 2006 zum Kunstimperium des französischen Milliardärs François Pinault, der auch eine grosse Zahl von Mehretus Bildern für seine riesige, auf 30’000 Werke geschätzte Kunstsammlung erworben hat. In der Ausstellung, in der die Künstlerin auf drei Jahrzehnte ihres Schaffens zurückblickt und ihr Werk im Dialog mit Werken befreundeter Künstlerinnen und Künstler zeigt, sind nicht weniger als 17 von 55 Werken Mehretus aus der Pinault Collection, wovon das früheste aus dem Jahr 2007 stammt.
In dieser Schau gibt es unter anderem Werke des inzwischen 80-jährigen David Hammons zu sehen, über dessen «Bliz-aard Ball Sale», einem als Kunstaktion inszenierten Verkauf von rasch schmelzenden Schneebällen, Elena Filipovic im Jahr 2017 ein Buch verfasst hat. Oder Gemälde von Jessica Rankin. Oder von Nairy Baghramian, einer aus dem Iran stammende Künstlerin, die in Berlin lebt und 2016 den Zurich Art Price erhielt.
Die Ausstellung zeigt, wie sich die Kunst Mehretus in den letzten 25 Jahren entwickelt hat. Ihre frühen Werke kann man als Zeichnungen umschreiben, auf denen sich Strichkompositionen dynamisch auf einer weissen Leinwand ausbreiten. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends erscheinen dann Architektur- oder Stadtpläne auf ihren Bildern, die in einem mehrschichtigen Prozess übermalt werden, bis nur noch Ausschnitte davon zu sehen sind. Schliesslich kollabiert diese scheinbare Ordnung, die Pläne verschwinden, und bei manchen Bildern meint man einer Explosion beizuwohnen, welche die Zeichen und Markierungen auf der Leinwand wie in einer Zentrifuge zerstäubt.
Inspiration im Futurismus
Bei dem Grad an Abstraktion, den diese Bilder erreichen, bei den Spuren, Markierungen, Zeichen, die an Kalligrafie oder Hieroglyphen erinnern, gibt es allerdings kaum noch etwas zu entschlüsseln. Auf einigen Bildern kann man zwar eine Heiligenfigur ausmachen, ein Gesicht oder eine Hand. Aber im Grunde findet man sich hier einer Malerei gegenüber, die Stimmungen und Atmosphären aufruft, die auf Rhythmen setzt, ja manchmal wie musikalische Notate aussieht. Mehretu selbst hat wiederholt über die Bedeutung des Futurismus und des abstrakten Expressionismus für ihre Kunst hingewiesen und zählt Wassily Kandinsky, Paul Klee, Jackson Pollock, Cy Twombly oder Marc Rothko zu ihren Vorbildern.
Die Künstlerin möchte, dass man sich in ihre Bilder vertieft oder in sie hineingehen soll. Oder dass man sie umkreisen, ja umtanzen soll, wie im Falle der «TRANSPaintings», die in den massiven Aluminiumrahmen von Nairy Baghramian aufgespannt sind. Für ihre Bilder sei diese Präsentation halb Tortur, halb Prothese, lässt sich Mehretu im Katalog des Palazzo Grassi zitieren. Übermenschlich wirken die Aluminiumkrücken, die auf zwei Stelzen auf dem Boden stehen, die auch Beine sein könnten, und die mit der Decke verbunden sind, wie wenn der Arm eines Riesen ihren Stand sicherte.
Das halb transparente «TRANSPaintings (crutch)» im Basler Kunstmuseum versetzt einen nicht in eine melancholische Stimmung wie viele der früheren Mehretu-Gemälde, sondern lässt auch so etwas wie Hoffnung aufkeimen. Denn das Transluzente der Gemälde in dieser frei im Raum stehenden Skulptur animiert die Besucherinnen und Besucher dazu, ihren Standort zu wechseln, verschiedene Blickwinkel zu testen, den wechselnden Lichteinfall zu erleben oder das Bild regelrecht zu durchschauen, in dem man mit einem Partner beim Umkreisen des bemalten Polyestergewebes mit Schatten und Licht spielt.
Das Werk von Julie Mehretu im Kunstmuseum Basel | Neubau ist noch bis zum 16.2.2025 zu sehen, eingebettet in eine Präsentation von Werken, die alle als Schenkungen in die Öffentliche Kunstsammlung Basel gelangten.
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