Das letzte Konzert der KummerbubenDie Schweiz wird diese Band noch vermissen
Die Kummerbuben haben nach 20 Jahren zum finalen Konzert geladen. Und aufgezeigt, warum es ihnen nicht ganz zum «Glanz & Gloria»-Ruhm gereicht hat.
- Sänger Simon Jäggi beendet nach zwanzig Jahren seine Musikerkarriere mit einem letzten Konzert seiner Band Kummerbuben.
- Die Kummerbuben prägten die helvetische Mundartmusik mit eigenwilliger Musik.
- Die Band schrammte mit ihrer Musik knapp am Grosserfolg vorbei.
- Drei Bandmitglieder haben bereits eine neue Band gegründet: The Loupettes.
Irgendwann, mitten im Schlussbouquet des finalen Konzerts, wackelt dann doch kurz die Stimme: Kummerbuben-Sänger Simon Jäggi will gerade seiner Freude Ausdruck verleihen, dass man nach zwanzig Jahren Musikmachen in Freundschaft auseinandergehe, und kommt dabei ins Leer-Schlucken. Schlagzeuger Tobi Heim, der schon den ganzen Abend über einen emotional gebeutelten Eindruck macht, gerät ins Schluchzen, und dem Publikum entweicht ein kollektives «Jööö!».
Kurz darauf – um Punkt 23 Uhr am Sonntag des 15. September 2024 – sind die Kummerbuben dann endgültig Geschichte. Eine Band, die sich rühmen darf, die helvetische Mundartmusik in neue Bahnen gelenkt zu haben: weit weg von Bern-Bümpliz, über den schmucken Louenesee hinaus, die saftigen Magerwiesen und sonnigen Berggipfel umkurvend, hinein in die schattigen Schluchten und Tobel des Landes. Da, wo die wilden Bäche schäumen und wo es die Sennen nicht mehr ganz so lustig haben.
Herr Jäggi mag nicht mehr
Während des letzten Konzert-Dreistünders in der ausverkauften Mühle Hunziken wird noch einmal offenbar, welch musikalische Kostbarkeit hier gerade verloren geht. Und vor allem, was für ein Bühnen-Charismatiker mit Simon Jäggi da die Segel streicht.
Alles, was er auf der Bühne tut, tut er mit einer fast schon majestätischen Noblesse, die alles überstrahlt, was die ewigen Leuchttürme des Schweizer Mundart-Milieus so auf die Bühnenbretter zu bringen imstande sind oder waren. Wie er sich zu der eigentlich nicht betanzbaren Musik bewegt, wie charmant er seine Textvergesser überspielt oder mit welch uneitler Heiterkeit er die ungünstigen Wendungen der Bandgeschichte Revue passieren lässt: Das alles ist sehr, sehr feine Abendunterhaltung.
Doch Simon Jäggi mag nicht mehr. Zu miserabel sind mittlerweile die Bedingungen im Musikgeschäft. Zu mager die emotionale Soll-und-Haben-Bilanz. Und zu gross die Lust, sich noch einmal mit gleicher Inbrunst etwas ganz anderem zuzuwenden. Deshalb hat dieser Simon Jäggi nun also – nach seinem Soloprojekt Birdman Jäggi – auch sein zweites musikalisches Prunkstück begraben. Und er hat einen Abend lang aufgezeigt, warum dieses Band-Ende durchaus zu beklagen ist. Aber auch, warum den Kummerbuben dann eben doch nie der helvetische Grosserfolg vergönnt war: Vermutlich war das alles ein bisschen zu gut, zu verworren, zu dunkel, zu sehr die Erwartungen umspielend, um die Deutschschweizer Massen zum einhelligen Gutfinden zu bewegen.
Zwischen Idée Suisse und Film noir
Mit allem, was die Kummerbuben taten, sind sie im Dazwischen gelandet. In einer leicht unbequemen Spagat-Positur zwischen Idée Suisse und Film noir, zwischen Maiensäss und AJZ, zwischen Festzelt und Untergrund-Bar. Die Berner haben es nie darauf angelegt, Lieder zu schreiben, die Bern zum kollektiven Chorgesang auf der Gurtenwiese animieren. Auch an ihrem Abschiedskonzert gibt sich das Publikum wenig textsicher. Womöglich auch, weil sich ebendiese Texte eher nicht auf Ludmilla oder Julia reimen, sondern mit Hauptdarstellern aufwarten, deren Lebensstränge meist die schlechtestmöglichen Wendungen nehmen.
Das Schlusskonzert ist ein Streifzug über die gesamte Band-Topografie dieser Sechserschaft, die sich vor zwanzig Jahren in einem Berner Übungsraum verabredet hat, um Tom-Waits-Lieder nachzuspielen. Es war keine dieser Möchtegerncombos, bei denen der Sänger bereits nach drei Liedern Tom-Waits-Seins heiser ist und sich einen warmen Ingwertee auf die Bühne bestellen muss. Das dargebrachte Müsterchen aus dieser Epoche zeigt, dass in dieser Gruppe genug kreative Unberechenbarkeit und versoffenes Temperament schlummerten, um selbst Tom Waits glaubhaft zu huldigen.
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Doch wie bei vielen Coverbands hat auch hier irgendwann die Muse an die Garderobentür geklopft und die Lust geweckt, etwas Eigenes zu kreieren: Inspiriert vom damaligen Pro-Helvetia-Kulturförderschwerpunkt, die Schweizer Volksmusik einer neuen Betrachtung zu unterziehen, begannen die Kummerbuben, im Fundus der Schweizer Volksmusik nach Nummern abseits der unbeschwerten Schunkellieder zu kramen. Nach Liedern eben, die sich in den Abgründen der Bergwelt abspielten, im Reich der streunenden Charakterlumpen, der handgreiflichen Gutsmatronen oder der romantischen Dorf-Tunichtgute.
Dabei zeigten sie keinen unnötigen Respekt vor der musikalischen Erbmasse. Sie formten die gefundenen Lieder und Texte zu wilden, betrunkenen Anarcho-Polkas um, zu einer Musik, bei der man gern einen über den Durst trinkt.
Antithese zum grassierenden Volksmusik-Pop
In Rubigen sind es diese Lieder, die am lautesten bejubelt werden. Lieder, in denen die Kummerbuben klingen wie ein Tom Waits im Schattentobel oder wie eine feuchtfröhliche Balkan-Begräbnis-Punkkapelle, die sich bloss im Dialekt vertan hat. Das ist so meilenweit weg vom heute grassierenden Gaudi-Volksmusik-Pop von Bands wie Stubete Gäng oder Trauffer. Ja, es ist quasi eine umstürzlerische Antithese dazu – ein weiterer Erklärungsansatz dafür, warum aus Ruhm und Reichtum letztendlich doch nichts geworden ist.
Einmal war man immerhin nahe dran, wie Simon Jäggi am Schlussabend erklärt: 2008 durften die Kummerbuben in der SRF-Sendung «Die grössten Schweizer Hits» mit punkigen Variationen alter Schweizer Volkslieder die Bodensee-Arena zum rhythmischen Klatschen animieren. Doch vermutlich sei seine etwas zu aktionistische Bühnenperformance daran schuld gewesen, dass nicht nur die SRF-Kameramenschen leicht überfordert gewesen seien, sondern das ganze Schweizer Fernsehsessel-Volk.
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Im selben Jahr sorgte die Band dann immerhin für einen der schönsten TV-Momente des Jahrzehnts: Aus bis heute nicht vollends geklärten Gründen wurden sie von TeleBärn in die Sendung «Musigstubete» ins Golfrestaurant Wylihof zu Luterbach eingeladen. Zuvor waren die Ländlergiele Hubustei und andere Örgeli-Trios und Jodlerchörli zugange gewesen. «Es wott es Froueli z Märit ga» hiess das Lied, das die Kummerbuben darbrachten, mit Stromgitarre, Sax, Kontrabass und einem wilden Schlagzeug, im zünftigen Polka-Takt und mit einer Wucht, die den Wylihof und dessen Gäste in den Grundfesten erschütterte. Es war, als rüttle hier eine Schar subversiver Saboteure an den Toren der heilen Volksmusikwelt.
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An all dies wird zum Band-Finale in der Mühle Hunziken erinnert. Und es wird natürlich auch die klangliche Reifung im Alterswerk der Buben nachgezeichnet. Es gibt charmetriefende Alpen-Chansons, abgründige Post-Punk-Wucht, Ausflüge ins Reich der Theatermusik und der apokalyptischen Kummermusik, es werden Gaststreicher aufgeboten, Bläsersätze, und sogar der abtrünnige Mario Batkovic kehrt noch einmal zu seiner ersten Stammband zurück.
Manchmal klingen die Kummerbuben dabei wie die unehelichen, zottigen Kinder von Züri West oder wie die gröblicheren, anarchistisch erzogenen Halbbrüder von Patent Ochsner. Halbbrüder, die man dann aber eher bei einem Bier im «Dead End» antrifft als beim Rotweintrinken zur Edoardo-Bennato-Langspielplatte.
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Was wird bleiben? Die Kummerbuben haben die Irritation und das Kunststück vollbracht, dass uns das Nahe auf wunderliche Weise fremd erschienen ist. Indem sie mit ihrer Musik auf die dunklen Seiten ennet dem Alpengaudi verwiesen haben. Und als sie im Finale ihren hübsch swingenden Schlager «Fründe» anstimmen und das Publikum in einem fast schon feierlich-magischen Moment kollektiv den nicht ganz unkomplizierten Hook mitpfeift, kommt die Ahnung auf, dass die Hits ja eigentlich vorhanden gewesen wären. Die Schweiz hat es nur nicht in gebührendem Ausmass gemerkt.
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Zum Trost gibts zum Finale einen nicht enden wollenden Schlussapplaus, und Simon Jäggi gleitet auf den Händen des Auditoriums popstargleich durch die Mühle. Das hat sich der Mann so was von redlich verdient.
PS: Die gute Nachricht zum Schluss: Drei Kummerbuben haben bereits eine Nachfolgeband gegründet. Sie heisst The Loupettes, am Frontmikrofon ist eine Sängerin, und die ersten Klangschnipsel klingen so, als könnte damit dann doch noch einmal zur Welteroberung angesetzt werden.
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