Neue Musik von Jürg HalterHier verzweifelt gerade einer an der Welt
Achtung Niemand heisst das neue Musikprojekt des Berner Sprachkünstlers Jürg Halter. Wer unter Poesie etwas Sanftes versteht, könnte darob reichlich irritiert sein.
Es gibt im Dokumentarfilm «One Love», der 2006 über den damals noch im Hip-Hop-Milieu tätigen Jürg Halter gedreht wurde, eine gleichzeitig köstliche wie symbolisch wertvolle Szene: Halter gelangt auf der Suche nach seinem rappenden Idol Snoop Dogg in ein eher schlecht beleumundetes Viertel von Los Angeles, eines, in dem Männer das Sagen haben, an deren Körpern grosse Muskeln prangen und in deren Hosen grosse Pistolen stecken, kurz: ein Distrikt, in welchem herumstreunende Hip-Hopper von solchen Mannen auch schon mal über den Haufen geschossen werden.
Doch Jürg Halter wird in Los Angeles nicht totgemacht, er wird – nachdem er sich als «rapper from Switzerland» zu erkennen gegeben hat – von den Quartier-Banditen als Kuriosität verlacht, lang anhaltend und schallend.
Schon damals war dieser Jürg Halter also ein unverstandener Heimatloser. Ein frei schwebendes Teilchen im Kulturbetrieb. Und vielleicht ist es genau dieses Fehlen jeglicher Andockstellen, was diesen bleichen Berner irgendwie interessant macht.
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«Ich bin es gewohnt, anzuecken, das war schon immer so. Es gibt schon genug Anbiederungskünstler in diesem Land, die in ihren Schublädchen alles richtig machen.» So liess sich Jürg Halter bereits vor etwas mehr als zehn Jahren zitieren. Nun scheint es, als wolle er den Akt des Aneckens selbst zur Kunst erheben.
Gesellschaftskritik mit Personenschutz
Denn in der Disziplin des Geisterscheidens hat Jürg Halter in letzter Zeit eine kleine Meisterschaft entwickelt. Er rumpelt durch die Kulturwelt als erbitterter Gesellschaftskritiker, als Welterklärer mit Wahrheitsanspruch, als moralisches Korrektiv, als Ideologie-Zertrümmerer. Er tut dies mal lustvoll, mal mit Personenschutz, nachdem die LGBTQ-Szene ein Bild von ihm als Provokation gedeutet hatte und eine Ausstellung von ihm zu sabotieren trachtete.
Nun wirft er uns also wieder einmal einen neuen Kunstbrocken zur Verdauung zu. Er, von dem schon gesagt wurde, dass er alles kann, aber nur ein bisschen. Der Ex-Rapper, der als Lyriker glänzte und den Berner Buchpreis einheimste. Er, der als Romanautor den «Literaturclub» in ein radikales Gut- und Schlechtfind-Lager spaltete, der mit Stephan Eicher und Sophie Hunger musizierte. Er, der von Endo Anaconda fast schon väterlich begleitet wurde. Er, der Schriftbilder zu Kunst stilisiert und im sozialen Medienrummel immer gerne die eigene Kunst-Bubble pikst. Dieser Jürg Halter also ist nun wieder zur Musik zurückgekehrt.
Achtung Niemand heisst sein neues Projekt, für das der Umstrittene einmal mehr unumstrittene Lieblinge des hiesigen Musik-Untergrunds für sich gewinnen konnte: So haben auf seinem Album Leute wie der 2022 verstorbene Schlagzeuger Fredy Studer mitgewirkt, der einstige Lunik-Produzent Luk Zimmermann oder der Multiinstrumentalist Milan Slick (u. a. Beat-Man, Birdman Jäggi). Sie zimmern dem Poeten ein mal atmosphärisches, mal groovendes Musikumfeld zwischen Bar-Jazz, New Wave und Film-noir-Soundtrack, in das Halter seine Poesie setzt.
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«Wir sind gute Menschen» heisst das Album, auf dem der Berner die Doppelmoral zum Thema macht, das eigene – linke – Umfeld kritisch spiegelt und auf jene zeigt, die sich in verkachelten politischen Konflikten kritiklos hinter eine Seite scharen wie Fans einer Fussballmannschaft. Als «poetische Lieder, um besser mit dem Leben, dem Lieben und der Lieblosigkeit klarzukommen» bezeichnet er seinen neuesten Output. Doch wer unter Poesie etwas sanft Beobachtendes versteht, ein lyrisches Verschnörkeln der oft so garstigen Welt, der hat die Rechnung nicht mit Jürg Halter gemacht.
Quälende Liebe
Seine Poesie ist stellenweise anklagend, ätzend, zynisch, dystopisch. Es ist die Epik von einem, der an der Welt verzweifelt, dem die Menschen fremd geworden sind, weil er sie als Fehlkonstruktion der Natur ausgemacht hat: «Langweilige schöne Menschen / Wandern in teuren Kleidern / gelangweilt durch schöne Räume / leben unsere langweiligen Träume», dichtet er einmal.
Doch die Anklage ist nur eine Seite – die schlechtere – dieses wetterwendischen Albums. Andere Lieder sind sanfter, handeln von Trennung und Entfremdung. Und wenn es dann doch mal um die Liebe geht, dann hat sich diese bereits weit über das Endstadium hinausgequält, dorthin, wo sogar die Sehnsucht schon erloschen ist. «Du fehlst / Du fehlst so sehr / Aber ich fühle es nicht / mehr.»
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In der Rolle des sanften Defätisten ist Halter zuweilen brillant. Zum Beispiel im Track «Nach Paris». Hier gehts um Abschied, eine Reise, ein Auflösen des Gewesenen. Ein andermal schlenkert seine Poesie sonderbar unentschlossen zwischen Tagebuchaufsatz und Lyrik: «Mein Puls geht schneller / Da ich nun erstmals spüre / wie sehr ich diesen einen Menschen wirklich liebe / will es mich augenblicklich böse zerreissen / Deine Jacke gleitet von meinen Schultern / Ich seh in die Tiefe / ohne zu fallen / sprich / ich fliege.»
Singende Schriftsteller
Ja, die musizierenden Schreiber und Dichter. Sie sind rar im Unterhaltungsbetrieb. Zu Popstar-Ehren hat es jedenfalls noch keiner von ihnen gebracht. Philippe Djian, der einst von Stephan Eicher auf die Konzertbühnen bugsiert wurde, mauserte sich ebenso wenig zum grossen Publikumsverführer wie Michel Houellebecq. Dieser trat sogar einmal am Paléo Festival in Nyon auf, und da auch er – wie Jürg Halter – des Singens nicht mächtig war, flüchtete er sich in einen von psychedelischer Musik umrahmten Rezitierstil. Als Gesamtkunstwerk war das ganz reizvoll.
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Das Gesamtkunstwerk Jürg Halter dahingegen hat keine Stimme, die einen sonderlich in den Bann zieht. Sie klingt meist schwerblütig-nölend, sein Deutsch schlenkert irgendwo zwischen Rammstein und Schweizer Nationalrats-Hochdeutsch. Und doch finden sich auf diesem Album ganz und gar verführerische Momente. Dramaturgische Emphasen, in denen Musik und Text zur wuchtigen Einheit werden. Und ja, sogar ein Fünkchen Trost hält Jürg Halter für seine unvollkommene Spezies bereit. Das klingt dann so: «Vermutlich leben wir zum ersten Mal / Wie soll da alles auf Anhieb klappen / sag?!»
Achtung Niemand: «Wir sind gute Menschen». Nächste Konzerte: 6. 4. Le Singe, Biel; 20. 4. Helsinki Club, Zürich; 18. 5. Stauffacher, Bern.
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