Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Hitze- und Covid-Tour-de-Suisse
Und Küng klettert plötzlich wie eine Bergziege

Ausgepowert: Stefan Küng nach der Zielankunft auf der Moosalp.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Stefan Küng hadert im Ziel: «Ich war nicht darauf vorbereitet, aufs Gesamtklassement zu fahren!» Küng agiert auf der Bergetappe hinauf in den Walliser Ferienort Moosalp wie an den Tagen zuvor: In einer neuen Selbstverständlichkeit klettert er mit den besten Bergfahrern.

Erst kurz vor dem Ziel, es sind keine 15 Fahrer mehr dabei, lässt er die Favoriten ziehen. Weil er den Anstieg nicht rekognosziert hat – warum auch, als Zeitfahrspezialist? Entsprechend ärgert er sich: Zum Ziel hin wird die Strasse etwas flacher. «Hätte ich das gewusst, wäre ich drangeblieben», sagt Küng. So büsst er 39 Sekunden ein.

Küng fährt täglich, als wäre es sein letzter Renntag

Er ist sich sehr wohl bewusst, welche Chance sich ihm da unverhofft präsentiert: Zwei Tage vor dem Ende der Tour de Suisse ist er weiterhin in Schlagdistanz zu den besten Rundfahrern, als Siebter mit 49 Sekunden Rückstand auf Leader Jakob Fuglsang – und als klar bester Zeitfahrer in den Top 10. Was, wenn er am Samstag hinauf nach Malbun erneut mithält? Jene Steigung kennt er als schweizerisch-liechtensteinischer Doppelbürger sehr gut. «Ich setze mir keine Limiten mehr, habe keine Angst mehr vor diesen Tagen», sagt er.  

Carpe diem, lebe den Tag, scheint in dieser Woche Küngs Motto zu sein. Die Geburt des ersten Kindes ist längst überfällig – und damit Küngs Rennausstieg. Deshalb fährt er jeden Tag, als wäre es sein letzter.

Covid-Fälle in 11 von 22 Teams

Er wäre der einzige Fahrer, dem man das Ausscheiden gönnen würde. Obwohl diese Tour de Suisse genau das nicht mehr erträgt: weitere Rennaufgaben. Nachdem am Mittwoch erste Covid-Fälle unter den Fahrern aufgetreten sind und sich ein Team zurückgezogen hat, zeigt sich am Etappenstart in Locarno, dass das nur ein Vorbote für weitere schlechte Nachrichten war: 29 Fahrer treten nicht mehr zur ersten Bergetappe über den Nufenen an. 11 von 22 Teams verzeichnen Corona-Fälle – eigenartigerweise sind ausschliesslich Fahrer betroffen, aber keine anderen Teamhelfer. Die Equipen gehen unterschiedlich damit um. Drei ziehen die grösstmögliche Konsequenz und sich ganz aus der Rundfahrt zurück. Die übrigen 18 verbleiben im Rennen, total 93 Fahrer.

Am Start treffen sich Veranstalter, Vertreter der Teams, der Fahrer und des Weltverbands UCI. Alle sind sich einig, dass das Rennen weitergeht. Küng sagt stellvertretend: «Wir sind alle gesund und munter. Warum nicht weiterfahren?»

Unverhoffter, aber souveräner Leader: Jakob Fuglsang in Gelb am Nufenen.

Die UCI-Regularien schreiben keine Mindestanzahl von Teilnehmern vor. Aber natürlich würde sich bei weiteren Covid-Fällen irgendwann die Frage nach dem sportlichen Wert des Rennens stellen. So oder so hat das Virus einen Einfluss auf den Ausgang dieser Tour de Suisse: In Alexander Wlasow trifft es auch den am Vortag so souveränen neuen Leader. Auch Schweizer Fahrer sind betroffen: Marc Hirschi und Stefan Bissegger scheiden wegen positiver Tests aus, Silvan Dilliers Team Alpecin-Fenix zieht sich kollektiv zurück, und Reto Hollenstein darf nicht weiterfahren, weil sein Zimmerkollege positiv getestet wurde.

Ohne Wlasow braucht die Tour de Suisse in Locarno kurzfristig einen neuen Mann in Gelb: Doch erst muss dessen Leadertrikot mit dem Teamlogo versehen werden. Erst wenige Momente vor dem Startschuss erhält Jakob Fuglsang dieses ausgehändigt. Der Däne gibt im Rennen den souveränen Patron und verteidigt Gelb, er liegt weiterhin nur eine Sekunde vor dem Briten Geraint Thomas. «Es war schön, das Leadertrikot auf dem Podium zu erhalten statt wie am Morgen in Plastik verpackt im Bus», sagt Fuglsang auf der Moosalp.

Eiskalte Frauenstrümpfe im Nacken helfen

Die erste von zwei Bergankünften ist eine sehr defensive Angelegenheit. Die dezimierten Teams schlagen kein übermässig hartes Tempo an, zumal sie weiterhin von der Bruthitze geplagt werden. Die vielen Buckel, die bei den Fahrern zu sehen sind, rühren nicht von Haltungsschäden: Es sind mit Eiswürfeln gefüllte Frauenstrümpfe, die sich die Fahrer zur Kühlung im Nacken unters Trikot schieben.

Das regelmässige Tempo kommt auch den schwereren Fahrern entgegen, Küng in der Favoritengruppe – und Nico Denz in der Fluchtgruppe. Diese hat so viel Vorsprung, dass sie den Etappensieger hervorbringt. Denz leidet und tropft wie kaum ein Zweiter auf den 18 Kilometern hoch zur Moosalp. Doch im Endspurt ist er, der ebenfalls keine Klettererpostur hat, der Glücklichere und gewinnt. Er kann sich vielleicht sogar ein Stück der lokalen Spezialität für den Sieger gönnen: eine meterlange Cremeschnitte.