Kurzzeit-Zertifikat für GeneseneAntikörper-Tests sind plötzlich salonfähig – aber warum?
Neu will der Bund Antikörper-Analysen als Covid-Nachweis akzeptieren. Ein Immunologe warnt vor deren Aussagekraft: «Ein so schlechter Schutz würde bei einer Impfung nie akzeptiert.»
Antikörper-Tests haben bei Ungeimpften ein ausgesprochen positives Image. Sie können schliesslich nachweisen, ob man eine leidige Sars-CoV-2-Infektion bereits hinter sich hat – idealerweise, ohne etwas davon gemerkt zu haben. Alle anderen Corona-Tests bedeuten im schlechtesten Fall hingegen, dass man infiziert ist und sich einschränken oder gar leiden muss.
Fachleute haben hingegen ein gespaltenes Verhältnis zu diesen serologischen Tests. In Studien sind sie zwar nützlich, für Einzelpersonen jedoch nur sehr eingeschränkt einsetzbar. Obwohl sie schon lange auf dem Markt seien, sei deren diagnostische Aussagekraft je nach Produkt sehr variabel, schreibt auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in einer Empfehlung zu Corona-Tests. Und fett gedruckt: «Für Aussagen bezüglich Fragen zur Immunität und ausserhalb von Studien werden serologische Tests zum aktuellen Zeitpunkt nicht empfohlen.»
Trotz positivem Test nur schlechter Schutz
Das BAG-Papier stammt von Ende Januar, war jedoch immer noch gültig, als der Bundesrat vergangenen Mittwoch sein Vorhaben verkündete, Antikörper-Tests künftig als Immunitätsnachweis zu akzeptieren, wenn kein PCR-Testresultat vorhanden ist. Das Dokument wurde am Freitag vom Netz genommen und soll nun überarbeitet werden. Die zwiespältigen Blutmessungen werden für das BAG nun also plötzlich salonfähig. Neu sagt das Amt auf Anfrage: «Antikörper-Tests können eine Aussage darüber geben, ob zu dem Zeitpunkt der Testung ein ausreichender Schutz gegeben ist.»
Die behördliche Neubewertung sorgt bei Fachleuten für Stirnrunzeln. «Die Aussagekraft der verschiedenen Tests unterscheidet sich», sagt Christian Münz, Immunologe an der Universität Zürich. Vor allem seien aber die Resultate jeweils schwierig zu interpretieren. Bei einem positiven Testergebnis könne der Infektionsschutz unter Umständen sehr niedrig sein, wenn der Antikörper-Gehalt knapp über dem Schwellenwert sei. «Ein so schlechter Schutz, wie er bei einer Impfung von niemandem akzeptiert würde», sagt er. Vermehrte Ansteckungen scheinen vorprogrammiert.
Wo die Schwellenwerte bei den einzelnen Tests angesetzt werden sollen, ist ohnehin fraglich. «Bei den meisten Sars-CoV-2-Antikörper-Tests wurde nie geprüft, ab welchem Resultat eine Infektion unwahrscheinlich wird», sagt Münz. Es gibt Anhaltspunkte aus Studien, doch gerade bei Genesenen ist die Immunantwort häufig besser, als man aufgrund der Antikörper-Mengen erwarten würde. Zudem ist nach einem schweren Verlauf die Antikörper-Reaktion bis zu dreifach stärker als nach milden Symptomen. Wie sich das auf die Wahrscheinlichkeit einer Reinfektion auswirkt, ist immer noch unklar. Grundsätzlich erwartet Münz, dass eine Sars-CoV-2-Infektion auch noch nach einem Jahr nachgewiesen werden kann.
Bund lässt Labors und Herstellern freie Hand
Der Bund umgeht das Problem der Schwellenwerte elegant, indem er es ausklammert und letztlich den Labors und Herstellern freie Hand lässt: «Es soll auf die Festlegung eines minimalen Antikörper-Titers für die Ausstellung eines Covid-Zertifikates verzichtet werden, da dies aufwendige Verfahren bedingen würde», schreibt er in einem Begleitdokument zur Anhörung der Kantone.
Dass einzelne Tests bei den Resultaten die gemessenen Antikörper-Mengen angeben, macht die Situation nicht besser. «Effektiv quantitative Werte gibt es fast nicht – es steht zwar eine Zahl, aber diese ist nicht wirklich quantitativ», schreibt Adrian Egli, Leiter klinische Mikrobiologie am Universitätsspital Basel. Auch er geht von grossen Qualitätsunterschieden zwischen den Tests aus.
Immerhin erwartet Egli nicht, dass es zu vielen falsch-positiven Resultaten kommen wird, also vermeintlichen Antikörper-Nachweisen bei Personen, die weder infiziert waren noch geimpft sind. Auch davor hatte das BAG in seiner ursprünglichen Empfehlung bei serologischen Tests gewarnt. Inzwischen seien so viele Menschen mit dem Sars-CoV-2-Virus infiziert worden, dass die Falsch-positiv-Rate tief genug sei, heisst es heute.
Für Fragezeichen sorgt auch die beschränkte Gültigkeitsdauer des Genesenen-Zertifikats. Wieso ist sie nach drei Monaten vorbei, wenn sonst neu ein ganzes Jahr gilt bei Genesenen, die dies mit einem PCR-Test belegen können? «Die neunzig Tage entsprechen etwa dem Zeitraum, in welchem die Antikörper-Menge sich halbiert», sagt Immunologe Münz. «Warum aber genau diese Zeitspanne für die Gültigkeit gewählt wurde, ist nicht klar.»
Der Grund für die Beschränkung liegt hingegen auf der Hand: Die serologischen Tests machen keine Aussage zum Zeitpunkt der Ansteckung, weshalb sie keine Festlegung der Dauer der Immunität ermöglichen. Immerhin können sich Genesene danach erneut testen lassen, wenn sie sich partout nicht impfen lassen wollen. Vorausgesetzt, die Antikörper-Menge war beim ersten Test genügend hoch, bestehen gute Chancen, dass das Zertifikat verlängert werden kann.
«Bei den meisten Sars-CoV-2-Antikörper-Tests wurde nie geprüft, ab welchem Resultat eine Infektion unwahrscheinlich wird.»
Grundsätzlich sollen für das Dreimonatszertifikat nur Antikörper-Tests akzeptiert werden, die in von Swissmedic zugelassenen Labors durchgeführt wurden. «Damit kann die Qualität sichergestellt werden», schreibt das BAG. Explizit ausgeschlossen sind die ungenaueren Schnelltests, sogenannte Lateral-Flow-Tests. Was den Preis der serologischen Tests betrifft, kalkuliert der Bund optimistisch: Er rechnet mit rund 70 Franken – inklusive Blutentnahme, Patientengespräch, Meldung an die Behörden. Die Basis dafür sind allerdings die Kosten für Antikörper-Tests, welche ärztlich verordnet oder durch die Behörden angeordnet wurden. Bei den Tests für die Genesenen-Zertifikate, die die Getesteten selber bezahlen müssen, können die Anbieter den Preis jedoch selbst festlegen.
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