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Protest gegen Putins Ukraine-Feldzug
Geldstrafe für Kriegsgegnerin, die TV-News mit Plakat stürmte

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«Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen. Russen sind gegen Krieg.» – Mit diesen Sätzen auf einem Plakat hat Marina Owsiannikowa im Moskauer Staatsfernsehen für einen Eklat gesorgt.

In den Abendnachrichten «Wremja» des Ersten Kanals hielt sie das Transparent in die Kamera, lief hin und her, während Nachrichtensprecherin Jekaterina Andrejewa über Sanktionen des Westens sprach. «Nein zum Krieg!», rief Owsiannikowa, bevor die Sendung unterbrochen und ein anderer Beitrag eingeblendet wurde.

Der Vorgang gilt in dem fast militärisch geregelten Sendebetrieb des Staatsfernsehens mit kremltreuen und sehr gut bezahlten Propagandisten als beispielloser Vorgang. Von der 44-Jährigen, die in den sozialen Netzwerken international als mutige Heldin gefeiert wurde, fehlte am Dienstag vorerst jede Spur. Nach EU-Angaben war sie verschwunden. «Ihre Anwälte dürfen keinen Kontakt zu ihr aufnehmen», sagte ein Sprecher des EU-Chefdiplomaten Josep Borrell. 

Mittlerweile ist Owsiannikowa wieder aufgetaucht – vor einem Gericht in Moskau. Dort wurde sie zu 30’000 Rubel (rund 264 Franken) Geldstrafe verurteilt. Der prominente russische Journalist Alexej Wenediktow hatte zuvor ein Foto der Redakteurin mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude veröffentlicht.

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Zunächst war befürchtet worden, Owssjannikowa könnte nach einem umstrittenen neuen Gesetz wegen Diffamierung der russische Armee verurteilt werden. Dabei drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Die Angeklagte bekannte sich vor Gericht nicht schuldig. «Ich erkenne meine Schuld nicht an», sagte Owsjannikowa im Gerichtssaal, wie eine Journalistin der Nachrichtenagentur AFP berichtete. «Ich bin überzeugt, dass Russland ein Verbrechen begeht», sagte sie weiter. Russland sei «der Aggressor in der Ukraine», fügte sie hinzu.

«Den Wahnsinn beenden»

Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete den TV-Vorfall als «Rowdytum», die Senderleitung müsse sich darum kümmern.

Im Netz verbreitete sich zudem ein vor dem TV-Auftritt aufgenommenes Video, in dem die Frau sagt, sie schäme sich dafür, jahrelang Kreml-Propaganda verbreitet zu haben. «Was in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen.» Verantwortlich für die Aggression sei nur Russlands Präsident Wladimir Putin. Sie rief ihre Landsleute dazu auf, gegen den Krieg zu protestieren. «Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden.» Die Behörden könnten nicht alle einsperren.

Lob von der Opposition

Channel 1 ist einer der wichtigsten Sender des Landes, Dutzende Millionen Zuschauer, das Programm wird in alle Welt übertragen, auch in Deutschland wird er zum Beispiel von grossen Teilen der russischen Community via Satellit empfangen. «Wremja» ist das russische Pendant zur «Tagesschau», mit dem Unterschied, dass die Tagesschau nicht vom Bundesrat gesagt bekommt, was sie zu senden hat, während Wremja zu den wichtigsten Verbreitungswegen dessen gehört, was der Kreml für die Wahrheit hält. Die Anti-Kriegsproteste treffen das Regime hier an einem besonders wunden Punkt.

Sechs Sekunden ist also die Frau zu sehen, dann bricht die Übertragung ab und die Regie zeigt Bilder aus einem Spital. Doch die Botschaft ist in der Welt. Der kurze Ausschnitt verbreitet sich umgehend in sozialen Netzwerken. Russische Oppositionelle loben die Frau für ihren Mut.

Auch die unabhängige Zeitung Nowaja Gaseta greift die Aktion auf und zeigt einen Screenshot, dabei ist jedoch die Protest-Botschaft auf dem Plakat unkenntlich gemacht. Ein Gesetz verbietet es russischen Medien bei strengsten Strafen über den Krieg in der Ukraine direkt zu berichten. Stattdessen darf offiziell nur von einer «militärischen Spezialoperation» die Rede sein.

Nowaja Gaseta, schon in den vergangenen Tagen äusserst kreativ im Umgang mit der Zensur, beschreibt den Sachverhalt wie folgt: «Während der Sendung Wremja erschien hinter dem Rücken der Moderatorin eine Frau mit einem Poster, dessen Inhalt wir auf Anordnung der Medienaufsichtsbehörde nicht verbreiten dürfen.»

Die Frau ist jetzt in Polizeigewahrsam: Marina Ovsiannikova protestiert in der russischen Tagesschau gegen den Krieg. 

Nawalny-Lager bietet Unterstützung an

Owsiannikowa, die in dem Video eine Kette mit den Farben der Flaggen Russlands und der Ukraine trägt, erzählt auch, dass sie Tochter eines Ukrainers und einer Russin sei – «und sie waren nie Feinde». «Diese Kette an meinem Hals ist wie ein Symbol dafür, dass Russland den Bruderkrieg sofort stoppen muss und unsere Brudervölker sich noch versöhnen können.»

Nach ihrem Protest wurde ihr weltweit eine Welle der Anerkennung zuteil. Der Mitschnitt der Szene, in der sie mit einem handgeschriebenen Plakat hinter der Nachrichtensprecherin auftaucht, wurde am Dienstag vielfach unter anderem bei Twitter und bei Telegram geteilt. «Was Mut wirklich bedeutet», schrieb etwa Pianist Igor Levit dazu. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich bei ihr. Er lobte Russen, «die versuchen, die Wahrheit zu sagen».

Und auch das Lager des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny bedankte sich bei ihr, nachdem sie in dem Video kritisiert hatte, dass der Kremlgegner vergiftet worden sei. Bis heute leugnen Kreml und Russlands Staatsfernsehen, dass Nawalny 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte. Nawalny, der im Straflager sitzt und dem in einem neuen umstrittenen Prozess viele Jahre Haft drohen, hatte Putin persönlich für das Attentat mit dem verbotenen chemischen Kampfstoff verantwortlich gemacht.

Nawalnys Team kündigte an, die TV-Redakteurin zu unterstützen. Mann wolle die Strafen übernehmen, die gegen sie verhängt werden könnten, schrieb Maria Pewtschich von Nawalnys Team am Dienstag bei Twitter. Russische Journalisten dürfen nicht von Krieg sprechen, sondern nur von einer «militärischen Spezial-Operation». Da gab es noch die Hoffnung, dass es nur bei einer Geldstrafe bleiben könnte.

sz/sda