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Meinung

Kommentar zum Fall Lindemann 
Das Prinzip Vorverurteilung

Ermittlungen eingestellt: Damit ist Rammstein-Sänger Till Lindemann juristisch bis auf weiteres das, was er von sich immer behauptet hat – unschuldig.
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All jene Medien, die anklagend über den Fall berichteten, sehen sich jetzt von der Berliner Staatsanwaltschaft korrigiert. Zwar wurden Till Lindemann, dem Sänger der ostdeutschen Hardrockgruppe Rammstein, während Monaten schwerste Vorwürfe der sexuellen Belästigung gemacht, bis hin zum Verdacht, er habe seine Opfer mit Drogen betäubt.

Diese Kritik war von einer Vielzahl von Frauen in zahlreichen Medien vorgebracht worden, wobei die allermeisten Zeuginnen anonym blieben. Ihre Vorwürfe klangen aber so detailliert und fielen zugleich dermassen massiv aus, dass die Öffentlichkeit davon ausgehen musste, es müsse an ihnen etwas dran sein.

Ob das stimmt oder nicht, wissen wir auch jetzt nicht. Klar ist nur, das hat die Berliner Staatsanwaltschaft klargemacht: Die Vorwürfe reichen nicht aus, um rechtlich gegen Till Lindemann vorzugehen. Weil sich nämlich keiner von ihnen belegen liess. Womit der Sänger juristisch bis auf weiteres genau das ist, was er von sich immer behauptet hat: unschuldig.

Dazu ist Folgendes zu sagen: Auch wenn sich die Vorwürfe gegen den Musiker nicht zu einer rechtlichen Klage konkretisieren lassen, steht ausser Frage, dass die Rockkultur aus einem sexistischen, männerdominierten Selbstverständnis heraus operiert. Und das seit Jahrzehnten. Dass diese Praxis jetzt öffentlich hinterfragt wird, ist eine positive Nebenwirkung der Kontroverse.

Die Vorwürfe gegen Till Lindemann wurden von seriösen Zeitungen dermassen hartnäckig vorgebracht, dass sie einer Vorverurteilung gleichkamen.

Der Entscheid der Staatsanwaltschaft zeigt aber auch, wie unglaublich schwierig es ist, sexuelle Übergriffe zu belegen. Und ohne Beleg kann es keine Anklage geben. So gesehen, hat die Staatsanwaltschaft vorgemacht, dass sie sich nicht von blossen Verdachtsmomenten und öffentlicher Empörung leiten lässt. Und das ist gut so.

Im Gegenzug müssen wir Medienleute Kritik hinnehmen: Die Vorwürfe gegen Till Lindemann fielen so heftig aus und wurden auch von seriösen Zeitungen dermassen hartnäckig vorgebracht, dass sie einer Vorverurteilung gleichkamen. Deshalb zu verlangen, die Medien dürften erst dann berichten, wenn eine konkrete Klage vorliege, klingt moralisch integer. Aber die Forderung missversteht die mediale Aufgabe, über laufende gesellschaftliche Fragen zu debattieren. Etwa über das Machtgefälle zwischen Stars und Fans in dieser weltweit etablierten Rockkultur.

Dass die Berliner Staatsanwaltschaft jetzt gegen die Medien entschieden hat, belegt beiläufig etwas anderes, und es ist entscheidend: Trotz hohem öffentlichem Druck hat der Rechtsstaat funktioniert.