Biden in BrüsselKlassentreffen der Demokratien gegen Putin
Drei Gipfel der Geschlossenheit: Europäer, Amerikaner und Japaner wollen Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine stoppen und versprechen Kiew mehr Hilfe.
Der Deutsche Olaf Scholz kam zu spät für das traditionelle Familienfoto im Nato-Hauptquartier und verpasste wegen wichtiger Regierungsgeschäfte in Berlin auch die Begrüssungsworte von Jens Stoltenberg, dem Generalsekretär des Bündnisses. Und das zum Auftakt eines Tages, an dem es vor allem um Bilder und Symbole der Geschlossenheit gehen sollte.
Der Brite Boris Johnson war zwar da, doch niemand wollte mit dem Premier aus London reden, der verloren um sich schaute, während die anderen Staats- und Regierungschefs sich begrüssten. Wahrscheinlich hatten einige nicht vergessen, dass er gerade noch das Votum seiner Landsleute für den Brexit mit dem Freiheitskampf der Ukrainer verglichen hatte.
Abgesehen von den kleineren Bildstörungen klappte es ganz gut mit der Geschlossenheit, die der Westen am Tag der drei Gipfel gegenüber Wladimir Putin und seinem Krieg gegen die Ukraine demonstrieren wollte. Der russische Präsident habe einen grossen Fehler gemacht, einen «Krieg gegen einen souveränen und unabhängigen Staat zu beginnen», sagte der Nato-Generalsekretär zu Beginn des langen Tages. Putin habe den Widerstand der Bevölkerung in der Ukraine und die Kampfbereitschaft der Streitkräfte unterschätzt. Die Nato werde der Ukraine weiter beistehen und die Verteidigung der Bündnismitglieder entlang der Ostflanke verstärken.
Putins Falle
Besonders entschlossen zeigten sich Balten und Polen: «Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln», sagte Estlands Premierministerin Kaja Kallas. Putin dürfe diesen Krieg nicht gewinnen. Der russische Präsident versuche, dem Westen Angst zu machen, damit dieser der Ukraine nicht helfe: «Wir sollten nicht in diese Falle gehen und alles tun, um diesen Kriegsverbrecher zu stoppen.»
Kurz nach zehn musste Jens Stoltenberg mit dem Hammer des Vorsitzenden mehrmals auf den lang gezogenen runden Tisch klopfen, bevor die Staats- und Regierungschefs der 30 Mitgliedsstaaten Platz nahmen. Wieweit die Nato auf die Wünsche von Präsident Wolodimir Selenski einzugehen bereit sein würde, das war die eigentliche Frage des Tages.
Per Video wiederholte Selenski in einem dringenden Appell an die Nato, Kampfflugzeuge und Panzer zu liefern: «Sie haben mehr als 20’000 Panzer», sagte der Präsident. Die Ukraine habe nur um ein Prozent davon gebeten. Das Bündnis machte der Ukraine aber nur vage Zusagen: «Die Nato-Verbündeten haben ihre Unterstützung verstärkt und werden die sich weiterhin verteidigende Ukraine fortwährend politisch und praktisch unterstützen», heisst es in der Schlusserklärung.
«Wir liefern Ausrüstung, das ist unsere Antwort.»
Kein Wort zu Panzern und anderem schwerem Kriegsgerät. Nicht alles wird offen verhandelt. Die USA erwägen dem Vernehmen nach jedenfalls die Lieferung von Antischiffsraketen. «Wir haben den leidenschaftlichen Appell zur Kenntnis genommen», sagte Jens Stoltenberg am Ende des ersten Gipfels an diesem Tag. Die Nato-Staaten hätten substanzielle Hilfe geleistet, darunter auch Waffen, «um Flugzeuge abzuschiessen oder Panzer zu zerstören». Die Nato stehe aber auch in der Verantwortung, einen Grosskrieg zu verhindern, der die Verbündeten in den Strudel ziehen kann: «Wir liefern Ausrüstung, das ist unsere Antwort.»
Drei Gipfel an einem Tag, das hat es in Brüssel noch nie gegeben. Nach dem Nato-Treffen kamen die sieben grössten Industriestaaten (G-7) noch am Hauptquartier der Militärallianz zu einer kurzen Runde zusammen. Der Japaner Fumio Kishida war extra für dieses eine Treffen angereist. Der Kanadier Justin Trudeau hatte immerhin zwei Termine, also bei der Nato und bei der G-7. Steigende Energie- und Lebensmittelpreise, die Gefahren für die globale Wirtschaft waren dort das dominierenden Themen.
Verkehrschaos in Brüssel
Wenn über 30 Staats- und Regierungschefs in verschiedenen Formationen zusammenkommen, kann der Fahrplan schnell durcheinandergeraten. Mit einiger Verspätung setzte sich am frühen Nachmittag der Tross vom Nato-Hauptquartier am Stadtrand ins nahe Brüsseler Europaviertel in Gang. Am Himmel der Lärm der Polizeihelikopter, auf den Hauptverkehrsachsen Kolonnen von schwarzen Limousinen mit Eskorten und dazwischen gesperrte Strassen.
Stargast Joe Biden fuhr als Letzter los und liess die Europäer etwas warten. Eine Premiere, dass ein US-Präsident einen Gipfel aller Staats- und Regierungschefs der EU mit seiner physischen Präsenz ehrt. Ein Klassentreffen der Demokratien, belagert von Autokraten zwischen Moskau und Peking. Ja, China war immer wieder ein Thema, hinter und vor den Kulissen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Bundeskanzler Scholz und auch US-Präsident Joe Biden berichteten über Telefonate mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping.
Er habe nicht gedroht, sondern klargemacht, was die Folgen wären, wenn China Russland helfen würde, sagte Biden. China verstehe, dass seine wirtschaftliche Zukunft mit dem Westen verknüpft sei und nicht mit Russland. Zum Besuch bei den Europäern war der US-Präsident nicht mit leeren Händen angereist. Biden kündigte an, 100’000 Flüchtlinge aus der Ukraine zu übernehmen. Wichtiger vielleicht sind Gaslieferungen, die der US-Präsident heute Freitag zusammen mit EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen verkünden will. Die USA wollen der EU mit Flüssiggas helfen, möglichst rasch die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren.
Demokraten behaupten sich
Am frühen Abend wurde der US-Präsident auf dem roten Teppich im Europagebäude von EU-Rats-Präsident Charles Michel empfangen. Er habe auf den ausserordentlichen Nato-Gipfel gedrängt, um die «totale und vollständige Geschlossenheit» der Demokratien gegenüber immer einflussreicheren Autokratien zu demonstrieren, sagte Biden. Der russische Präsident habe es von Anfang an darauf angelegt, die Nato zu zerstören und die Europäer zu spalten: «Sein Ziel war es, zu zeigen, dass Demokratien im 21. Jahrhundert nicht funktionieren können und die Autokratien künftig herrschen werden.»
Wladimir Putin habe aber genau das Gegenteil erreicht, die Nato zusammengeschweisst und vereint wie nie zuvor. Es werde aber einen langen Atem brauchen, mahnte Biden. Vorerst scheint die Demonstration der Einigkeit jedoch gelungen.
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