Punkband The Linda LindasEndlich – diese Mädchen bringen die Wut zurück
Man kann ja nicht immer nur verletzt und betroffen sein – manchmal braucht es einfach Wut. Eine Teenager-Band wuchtet sich damit zu viraler Berühmtheit.
Manchmal merkt man erst, wenn es donnert, dass es vorher still war.
Kurz bevor im März 2020 in Kalifornien der Lockdown verhängt wurde, hatte die damals neunjährige Mila de la Garza, sie ist Asian American, ein unschönes Erlebnis in ihrer Schule. Ein Mitschüler meinte zu ihr, sein Vater habe gesagt, er solle sich von Chinesen fernhalten.
Sie sei Chinesin, entgegnete sie. Darauf wich er vor ihr zurück. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass Mila Rassismus erfuhr, und das Erlebnis beschäftigte sie so sehr, dass sie es in einem Song verarbeitete. Schliesslich ist sie seit 2018 – da war sie sieben – Mitglied einer Band.
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Dazu muss man vielleicht wissen, dass ihr Vater ein Grammy-gekrönter Musikproduzent ist, Carlos de la Garza, unter anderem hat er mit Ziggy Marley gearbeitet, mit Bad Religion oder Jimmy Eat World. Milas Band nennt sich The Linda Lindas und besteht nur aus weiblichen Mitgliedern. Ausser Mila, die Schlagzeugerin ist und auch singt, spielt noch ihre vier Jahre ältere Schwester Lucia mit, Gitarre und Gesang. Bassistin ist eine Cousine der beiden, Eloise, 13. Sie singt auch. Und es gibt noch eine zweite Gitarristin, sie ist als einzige nicht Asian American, sondern Latina und heisst Bela. Sie ist die Älteste, schon 16 Jahre.
Wo war das wunderbar kraftvolle Gefühl der Wut nur die ganze Zeit abgeblieben?
Auch Bela singt, es singen also alle. Wenn es überhaupt singen ist, es geht schwer in Richtung brüllen, denn die Musikrichtung, der sich die vier verschrieben haben, sieht hohe Lautstärke vor.
Nun ist es in unserer Zeit nicht ungewöhnlich, dass Menschen mit Rassismus- oder Sexismus- oder anderen Diskriminierungs-Erfahrungen an die Öffentlichkeit gehen. Aber so wie diese vier Mädchen es tun, wundert man sich im Nachhinein, wo denn eigentlich die ganze Zeit dieses doch so wunderbar kraftvolle Gefühl abgeblieben war: Wut.
Man kann ja nicht immer nur verletzt, betroffen oder beleidigt sein – Wut gehört doch ganz elementar zum menschlichen Gefühlskanon mit dazu.
«Racist, Sexist Boy» heisst der Song, der von Milas Mitschüler inspiriert wurde. Zunächst sei aber noch erwähnt, dass dies weiss Gott nicht der erste Song dieser noch so jungen Band ist.
Sie haben sogar schon zu zwei Filmen Musik beigesteuert, zum einen den Song «Claudia Kishi», der gleich beim ersten Hören Lieblingslied-Qualität hat, für eine gleichnamige Netflix-Doku über die einzige Identifikationsfigur für junge Asian Americans in den Achtziger- und Neunzigerjahren: Claudia Kishi, eine coole, fiktive Figur in der Buchreihe «The Babysitters Club».
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Ausserdem coverten sie zwei Stücke für den Soundtrack von «Moxie», ebenfalls Netflix, eine Highschool-Komödie, bei der Amy Poehler Regie geführt hat. Unter den Songs war «Rebel Girl» von Bikini Kill. The Linda Lindas traten sogar schon als Vorband für Bikini Kill auf, diese legendäre Band aus der Riot-Grrrl-Bewegung, die in den Neunzigerjahren massgeblich weiblichen Punk nach vorne brachte.
Das war 2019 im Hollywood Palladium, also vor Corona, als da wirklich 3800 Leute reingingen. Damals hat es die Band erst ein Jahr gegeben. Natürlich werden da im Hintergrund die Eltern den einen oder anderen Faden gezogen haben. Der Vater von Eloise hat das Indie-Magazin «Giant Robot» mitbegründet, die Mutter von Bela macht Mode. Es ist ein kreatives, hippes Umfeld, in das die vier hineingeboren worden sind.
Aber dass man eine E-Gitarre ins Kinderzimmer gestellt bekommt, heisst ja noch lange nicht, dass man auch was daraus macht.
Im Mai spielten The Linda Lindas dann ihren neuen Song «Racist, Sexist Boy» im Rahmen eines kleinen Konzerts in der L. A. Public Library. Davon gibt es ein Video, das so leicht im Internet zu finden ist, dass es bislang fast eine Million Menschen gesehen haben. Und es hallt auch Wochen später noch nach, was an der Energie liegt, die diese vier kalifornischen Teenager da in die Welt entliessen wie einen Flaschengeist in die Freiheit.
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Die Kamera zeigt eine Totale der ganzen Band. Selbstbewusst stehen drei Mädchen mit Gitarren und Bass vor Milas Schlagzeug. Alle in Minirock, mit Turnschuhen der Marke Vans (ein erster Sponsor). «Das ist über ihn», sagt Eloise, die am Bass in der Mitte, auch ganz nett lächelnd. «Und über alle anderen rassistischen, sexistischen Jungen auf der Welt.» Die Wörter rassistisch und sexistisch spuckt sie mit Nachdruck ins Mikrophon.
Dann zählt Mila den Song an – klassisch punkgerecht: «One, two, three, four» – und los geht es. Drei Akkorde, die rauf, dann wieder runter gespielt werden, und vom ersten Ton an eine solche Druckwelle vor sich herschieben, dass einen die Vibrationen sogar bei mittlerer Youtube-Lautstärke noch gefühlt in den Sessel drücken. Die Haare der Mädchen fliegen im bedrohlich voranbolzenden Takt. Und als Eloise die ersten Worte rausschleudert, «Racist, Sexist Boy», und in jede Silbe flammende Verachtung legt, ist man zugleich ehrfürchtig und elektrisiert.
Ob der Mitschüler weiss, dass der Song von ihm handelt, interessiert die vier Mitglieder der Linda Lindas übrigens nicht, wie sie, die nun viele Interviews geben, wieder und wieder versichern. Sie sind längst weiter.
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Anstatt auf eine Entschuldigung zu warten, hat Mila aus dem unerfreulichen Umstand, rassistisch beleidigt geworden zu sein, zusammen mit ihren Bandkolleginnen etwas Bemerkenswertes gemacht. Und sie haben das Thema ja auch grösser gefasst und zum Rassismus gleich noch Sexismus mit dazu genommen. Sie sind seither in der Late-Night-Show von Jimmy Kimmel aufgetreten, ein Album ist angekündigt (beim berühmten Punk- und Hardcore-Label Epitaph Records).
Man wird von diesen vier Musikerinnen, die noch nicht ausgewachsen sind, noch viel hören.
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