Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Keith Richards im Interview
«Die Musik macht mich unsterblich, oder?»

THE TONIGHT SHOW STARRING JIMMY FALLON -- Episode 1858 -- Pictured: Musician Keith Richards poses backstage on Friday, October 20, 2023 -- (Photo by: Todd Owyoung/NBC via Getty Images)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Mr. Richards, anlässlich Ihres Geburtstags könnten wir kurz mal wieder über den Mythos sprechen, Sie seien unsterblich. Die Witze, die darüber kursieren, kennen Sie, oder?

Ja, ein paar habe ich im Laufe der Jahre gehört.

Zum Beispiel: «Für jede Zigarette, die du rauchst, nimmt Gott einen Tag deines Lebens weg und gibt ihn Keith Richards.»

Sehr schön. Ich selbst rauche ja seit drei Jahren nicht mehr.

Oder: «Wir sollten uns langsam Gedanken darüber machen, was für eine Welt wir Keith Richards hinterlassen wollen.»

Ich hoffe, Sie machen sich wirklich Gedanken darüber!

Fühlt sich das für Sie nicht auch makaber an?

Ach nein, ich finde das lustig. Dazu kommt, dass die Leute mit ihrer Verwunderung darüber, dass ich noch am Leben bin, zeitweise ja völlig recht hatten. Man darf nur nicht vergessen: Jeder von uns kann jederzeit einfach tot umfallen. Und vielleicht nur aus einem einzigen, einfachen Grund (räuspert sich): Die Zeit ist reif.

UNITED KINGDOM - DECEMBER 23:  KILBURN (NATIONAL)  Photo of ROLLING STONES and Keith RICHARDS, of the Rolling Stones, posed backstage at a Faces show  (Photo by Graham Wiltshire/Redferns)

Lassen Sie uns doch ein wenig über den Tod reden.

Ja, lassen Sie uns das Thema leicht und elegant streifen!

Als Sie 1943 nahe London zur Welt kamen, wurde England immer wieder von der Luftwaffe der deutschen Wehrmacht bombardiert.

Die Deutschen haben mich standesgemäss willkommen geheissen, was?

Der Tod war damals eine ständig präsente Möglichkeit. Hat sich das irgendwie in Ihren Charakter eingebrannt?

Schwer zu sagen. Ich war ja erst 18 Monate alt, als dieses ganze Kriegsding zu Ende ging. Aber es ist heute noch so – ein Knall oder eine Sirene können mich sehr erschrecken, wenn ich nicht darauf vorbereitet bin. Wenn ich zum Beispiel im Hotel den Korridor entlanglaufe und jemand in seinem Zimmer einen Zweiter-Weltkrieg-Film schaut und ich höre durch die Tür die Sirenen, dann gehe ich immer noch in Deckung. Duck and cover!

Aus anderen Gründen lauerte der Tod auch in Ihrem späteren Leben eine Zeit lang hinter jeder zweiten Ecke. Immer wieder starben gute Freunde oder Bandkollegen – Brian Jones, Jimi Hendrix, Gram Parsons und andere. Ist das für einen jungen Mann, der Sie damals waren, nicht eine extrem belastende Erfahrung?

Ja, das war es. In Fällen wie Brian Jones diente es aber auch als Warnung: Pass gut auf, dass du dich nicht in so eine Richtung entwickelst. Für Rockmusiker gab es da besonders in den 60er- und 70er-Jahren ein gewisses Berufsrisiko. Eine Menge Leute kaprizierten sich viel zu sehr auf die Drogen und liessen sich deshalb zu grässlichen Fehlern verleiten. Ich für meinen Teil fand das Zeug ja höchstens ganz interessant.

Es gibt lange Listen mit Ihren Nahtoderfahrungen. Leider fehlt die Zeit, sie alle einzeln durchzugehen.

Ach, ein kurzer Spaziergang über den virtuellen Friedhof vielleicht?

Die originellste Fasttod-Episode: Angeblich wurden Sie 1998 in Ihrer Bibliothek von einem herabfallenden Buch schwer getroffen.

Das ist die Wahrheit. Das Ding hätte mich fast dahingerafft. Es war Leonardo da Vincis Buch über die Anatomie des Menschen.

Bei allem Respekt, Mr. Richards: Das haben Sie sich doch ausgedacht.

Nein, nein, es stimmt. Ich habe mir dabei ein paar Rippen zerschmettert, die dann in die Lunge stachen. Aber ich habe auch das überlebt.

LONDON - AUGUST 20:  The Rolling Stones member Keith Richards performs on stage at Twickenham Stadium on August 20, 2006 in London, England.   (Photo by MJ Kim/Getty Images)

Sie wandten sich früh im Leben der Kunst zu. Auch eine Strategie, den Tod zu besiegen.

Ja, genau, die Musik macht mich unsterblich, oder?

In der Tat. Songs, Gedichte und Geschichten geben ja nicht nur denen eine Art ewiges Leben, von denen sie handeln, sondern auch ihren Schöpferinnen und Schöpfern.

Nein, so geht man ja nicht an die Sache heran. Natürlich merkte ich im Laufe der Jahre, dass ich auf das Publikum einen grösseren Eindruck mache, als ich es selbst je erwartet hätte. Aber das allein ist kein Grund und keine Motivation, Songs zu schreiben. Das tut man, weil man es kann, weil man es selbst interessant findet und einem irgendwann auch die Anerkennung zu gefallen beginnt, die man von anderen bekommt. Also macht man weiter.

Die erste Nummer eins mit einem von Ihnen und Mick Jagger geschriebenen Song hatten die Stones im Februar 1965, da waren Sie 21.

Ganz am Anfang wollte ich eigentlich nur Musiker sein, Gitarrist. Eigene Stücke zu komponieren, hatte ich überhaupt nicht im Sinn. Aber wie so oft führt eines zum anderen. Irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich schlicht neuen Stoff brauchte, den ich spielen konnte. Ich liebe es immer noch, die Songs anderer Leute zu interpretieren, ich liebe meine alte Musik, meinen Blues, meinen Rhythm’n’Blues. Aber man bewegt sich ja immer weiter, und plötzlich schaut man sich um und realisiert, dass man an dieser grossen Sache auch aktiv mitbauen kann, anstatt nur hinterherzulaufen. Das war es, was mich irgendwann gereizt hat. Zudem ist Songwriting eine Disziplin, die praktisch keine Schattenseiten hat.

Wie meinen Sie das?

Schauen Sie: Wenn man einen schlechten Song schreibt, was soll schon gross passieren? Es gibt wahrlich Schlimmeres. Wenn man dagegen einen guten schreibt, kommen oft ungeahnte Dinge ins Rollen. Das ist immer wieder ein grosses Gefühl, und dann will man weitermachen. Ich bin ein Mensch, der sein Leben lang immer nach solchen Erregungszuständen gesucht hat.

«Es gibt Tage, an denen ich mich ein bisschen langsamer fühle.»

Das klingt jetzt nach Schmeichelei, aber auf dem neuen Album «Hackney Diamonds» ist Ihre Solonummer, «Tell Me Straight», einer der stärksten Songs, vielleicht der stärkste. Ist auch der Text von Ihnen?

Das freut mich. Und ja, das ist von vorn bis hinten ein echter Richards.

Er klingt nach Lebensbilanz: «Is the future all in the past? Lately it’s on, life’s moving too fast.» In welcher Stimmung haben Sie das geschrieben?

Ich habe mir nicht so viel gedacht, als ich es schrieb. Wie der Songtitel schon sagt: Mir ging es vor allem darum, die Leute zu bitten, ehrlich mit mir zu sein. Ach ja, und es geht auch um vergangene Liebschaften. Aber das würde jetzt zu weit führen.

Kürzlich haben die Stones ihre Tour für 2024 angekündigt. Wie immer werden Sie jeden Abend Ihre zwei Solonummern singen. Das Publikum wird auf die berühmte Ansage warten: «It’s great to be here. It’s great to be anywhere.»

Die ich übrigens vom grossen britischen Comedian Max Miller geklaut habe.

«Es ist wunderbar, hier zu sein. Egal wo, es ist überall wunderbar.» Stimmt das denn?

Oh ja. Und es kommt immer gut an. Obwohl es für mich manchmal wie ein Selbstgespräch ist, wenn ich das sage.

Wenn man Sie über die vergangenen Jahre bei Konzerten beobachtete, gab es Abende, an denen Sie extrem energiegeladen wirkten und die Gitarre fast überschwänglich spielen. Aber man sieht auch Konzerte, bei denen Sie eher erschöpft wirken und ihren Bandkollegen Ron Wood die meiste Arbeit machen lassen. Täuscht der Eindruck?

Nein, es stimmt. Jeder Abend ist anders, und es hat oft mit den banalsten Dingen zu tun. Zum Beispiel mit … dem Wetter! Oder damit, in welcher Form Mick gerade ist, und ob ich die Dinge dann eher vorantreibe oder sie ein wenig runterkühle. Es kommen viele Faktoren zusammen. Und es gibt einfach auch Tage, an denen ich mich ein bisschen langsamer fühle.

Mick Jagger and Keith Richards of British rock group The Rolling Stones, at Kings Bench Walk, after being released on  bail on drug charges.  (Photo by Keystone/Getty Images)

Nur theoretisch: Sollte Mick Jagger einmal mitten im Konzert ausfallen – könnten Sie dann in die Bresche springen und die Show zu Ende bringen?

Eine Rolling-Stones-Show? Vielleicht, wenn aus verschiedenen Richtungen Pistolen auf mich gerichtet wären. Im Ernst, wie kommen Sie darauf?

Nun ja, Sie sind ein toller Sänger und haben doch sicher spontan alle Songs im Kopf.

Ich könnte das bestimmt. Aber glücklicherweise und hoffentlich wird es nie zu dem Szenario kommen, das Sie hier entwerfen.

Die Band Kiss hat vor kurzem beim letzten Konzert ihrer Abschiedstour die eigenen digitalen Avatare vorgestellt, die nun an ihrer Stelle auftreten sollen. Abba haben etwas Ähnliches gemacht. Wäre das nicht auch eine Idee für die Stones?

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Klingt interessant. Aber Kiss? Denen ist wahrscheinlich nur das Make-up ausgegangen, oder?

Ihr alter Kollege, Freund und Rivale Mick Jagger wurde 2003 zum Sir geschlagen. Wäre der 80. Geburtstag nicht der passende Anlass, um Ihnen endlich auch den Titel zu verleihen?

Nein! Sir wäre mir auch nicht genug. Ich will ein Lord sein. Ein Lord!

Ärgert es Sie nicht, dass Jagger ein Sir ist und Sie nicht?

Nein, denn es ist völlig nachvollziehbar. Die königliche Familie steht fürs grosse Showbusiness – genau wie Mick Jagger. Wenn man es so sieht, ergibt es doch perfekten Sinn.