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Flüchtlinge aus der Ukraine
Keine Arbeit, keine Perspektive: Das sind die grössten Baustellen beim Status S 

Ukrainische Kinder und Jugendliche erhalten in Kandersteg eine warme Mahlzeit.
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Bald ist es ein Jahr her, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Millionen Menschen sind geflüchtet, über 70’000 in die Schweiz. Der Bundesrat aktivierte erstmals den Schutzstatus S: Die ukrainischen Flüchtlinge erhalten Schutz ohne individuelles Asylverfahren. Anders wäre die Situation kaum zu bewältigen gewesen.

Der Entscheid führte allerdings dazu, dass nun Geflüchtete je nach Herkunft unterschiedlich behandelt werden. Hinzu kommt: Der Schutzstatus S ist auf eine rasche Rückkehr ausgerichtet, doch ein baldiges Ende des Krieges zeichnet sich nicht ab.

Was heisst das nun? Mit dieser Frage befasst sich eine Evaluationsgruppe unter Leitung des ehemaligen Aargauer Regierungsrates Urs Hofmann (SP). Im Herbst hat sie einen Zwischenbericht vorgelegt, der Schlussbericht folgt im Sommer. Klar ist schon jetzt: Vieles funktioniert gut, doch punktuell braucht es Anpassungen.

Das sind die drei grössten Baustellen:

Mangelnde Integration: Nur wenige arbeiten

Der Schutzstatus S ist rückkehrorientiert. Deshalb sind für Personen mit Status S im Gesetz auch keine Gelder zur Förderung der Integration vorgesehen. Die Schweiz hat aber ein Interesse daran, dass sie möglichst rasch arbeiten. «Ein offensichtlicher Widerspruch», sagt Kurt Fluri, FDP-Nationalrat und Mitglied der Evaluationsgruppe. Der Bundesrat hat aus diesem Grund Gelder für Sprachkurse gesprochen, 3000 Franken pro Person und Jahr, und den ukrainischen Flüchtlingen erlaubt, von Anfang an zu arbeiten. 

Doch bislang gelang die Integration in den Arbeitsmarkt nicht: Nur rund 15 Prozent haben eine Stelle gefunden. In vielen anderen Ländern sind es mehr. Am erfolgreichsten sind gemäss einer OECD-Statistik die Niederlande, wo 80 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge arbeiten.

Fachleute führen den Unterschied auf fehlende Gelder und mangelnde Unterstützung in der Schweiz zurück. So fordert etwa die Flüchtlingshilfe ein Jobcoaching. In den Niederlanden unterstützen Behörden und NGOs die Ukrainerinnen und Ukrainer bei der Jobsuche. Laut Femke Joordens vom lokalen Büro der UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR werden beispielsweise in den Unterkünften regelmässig Treffen mit Arbeitgebern organisiert. Zur hohen Erwerbsquote in den Niederlanden dürfte auch die ausgebaute Kinderbetreuung beitragen.

Schweizer Unternehmen sehen hauptsächlich mangelnde Sprachkenntnisse als Hindernis. In Befragungen gaben 30 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine an, gute Englischkenntnisse zu haben. Ein grosser Teil jener, die eine Arbeit gefunden haben, ist im Gastgewerbe tätig – oft nicht im Service, sondern in der Küche.

Ukrainische Flüchtlinge warten im Asylzentrum von Boudry NE auf ihre Registrierung.

Ungerechte Unterschiede: Reisen erlaubt

Vorläufig aufgenommene Personen – zum Beispiel Syrer oder Afghanen – dürfen nicht ins Ausland reisen. So steht es in einer Verordnung. 2021 hat das Parlament das Reiseverbot ins Gesetz geschrieben. Damit wäre auch Personen mit Schutzstatus S das Reisen untersagt – obwohl sich Ukrainerinnen und Ukrainer im Schengen-Raum visumsfrei bewegen dürfen.

Aus diesem Grund hat der Bundesrat das Gesetz bis heute nicht in Kraft gesetzt. Dem Vernehmen nach wird er demnächst zwar einen Teil in Kraft setzen, nicht aber das Reiseverbot. Mitte-Präsident Gerhard Pfister, der die Gesetzesänderung angestossen hatte, zeigt Verständnis dafür: «Die Prioritäten haben sich mit dem Ukraine-Krieg geändert.» Die Situation ist dennoch problematisch. Und das Reisen ist nicht die einzige Differenz: Ukrainerinnen kommen mit ihren Kindern, vorläufig Aufgenommene dürfen frühestens nach drei Jahren ein Gesuch um Familiennachzug stellen. Ukrainerinnen wohnen bei Gastfamilien, Geflüchtete aus anderen Ländern in Kollektivunterkünften.

Die Evaluationsgruppe unterscheidet drei Kategorien: 1. Unterschiede, die auf der Initiative Privater oder auf Sonderregelungen von Gemeinden beruhen, zum Beispiel Gratiseintritte für Schwimmbäder. 2. Unterschiede, die sich aus der konkreten Situation ergeben – etwa daraus, dass Ukrainerinnen visumsfrei im Schengen-Raum reisen dürfen. 3. Unterschiede als Folge rechtlicher Grundlagen.

Der verfassungsmässige Grundsatz der Rechtsgleichheit gebietet, dass sich die gesetzlichen Bestimmungen für verschiedene Personengruppen nicht ohne sachliche Gründe unterscheiden. Flüchtlingsorganisationen fordern nun, dass die vorläufige Aufnahme angepasst beziehungsweise durch einen echten Schutzstatus ersetzt wird – mit Verbesserungen etwa beim Familiennachzug. Die Evaluationsgruppe habe kein entsprechendes Mandat, sagt deren Leiter Urs Hofmann dazu. Ihre Erkenntnisse könnten aber die Grundlage bilden für eine neue Diskussion über eine Reform.

Kurz nach Beginn des Krieges: Zwei Ukrainerinnen kommen in Zürich an.

Fehlende Perspektiven: Wie geht es weiter?

Offene Fragen gibt es auch zur längerfristigen Perspektive. Personen mit Status S haben nach fünf Jahren Anspruch auf eine Aufenthalts­bewilligung B – allerdings nur, solange der Status S nicht aufgehoben wird. Bei vorläufig Aufgenommenen kann die Erteilung einer Aufenthalts­bewilligung B lediglich geprüft werden. Die Regelung sei für beide Gruppen unbefriedigend, sagt Hofmann. Auch hier dürfte die Evaluationsgruppe Änderungen vorschlagen.

Eine andere Arbeitsgruppe des Bundes befasst sich mit der Frage der Rückkehr. Der Bundesrat hat versichert, dass er den Schutzstatus S koordiniert mit der Europäischen Union aufheben wird. Kommt es dazu, werden die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht von einem Tag auf den anderen ihr Aufenthaltsrecht verlieren. Wie bereits in den 1990er-Jahren nach den Jugoslawienkriegen wird es gestaffelte Ausreisefristen geben – für Personen mit Kindern andere als für Personen ohne Kinder.

Die Arbeitsgruppe befasst sich auch mit den Fragen, wie viele Personen mit einer Arbeitsbewilligung über eine Drittstaaten­regelung bleiben könnten und ob Jugendliche eine begonnene Ausbildung beenden dürften. Für potenzielle Arbeitgeber kann das schon jetzt eine Rolle spielen. Der Bericht der Rückkehr-Arbeitsgruppe wird im kommenden Frühling erwartet. Aufgehoben wird der Schutzstatus S frühestens im März 2024.