Abfahrt in St. MoritzEin Rennen an der Grenze – Goggia bricht die Hand
Die Sicht ist schlecht, die Bedingungen sind schwierig, und doch wird im Engadin gefahren. Corinne Suter versöhnt sich als Dritte mit dem Heimrennen, zwei Italienerinnen dominieren.
Corinne Suter schüttelte den Kopf. Joana Hählen verwarf die Hände. Und Jasmine Flury sagte: «Nein, fair war das nicht.»
Mit der Abfahrt von St. Moritz verhielt es sich wie beim Loskaufen am Kiosk: Das Glück lag nicht in den eigenen Händen oder Füssen. Es schneite, es war neblig und finster, vor allem aber schneite es mal stärker und mal schwächer, hing mal mehr und mal weniger Nebel über der Strecke. Die Veranstaltung im Engadin verkam zumindest ein wenig zur Lotterie, durchgewürgt wurde das Rennen trotzdem.
An der Grenze seien die Verhältnisse gewesen, so lautete der Tenor. Und die Bilder mehrerer Fahrerinnen, die in halbaufrechter Position durch die Nebelschwaden sausten, wurden ihnen gewiss nicht gerecht.
«Gottenfroh» im Ziel zu stehen
Mit erstaunlich wenigen Unterbrüchen wurde das Rennen zu Ende gebracht, und gerade den Italienerinnen dürfte das mehr als recht gewesen sein. Deren vier klassierten sich in den besten 10, Elena Curtoni siegte vor Sofia Goggia.
Curtoni, die im Sommer durch ihre Hochzeit mit einem Matrosen und Segler aus Genua die italienische Regenbogenpresse bediente, gehörte dank ihrer frühen Startnummer 2 zu den Profiteurinnen des Tages, Gleiches galt für Jasmine Flury, welche das Rennen eröffnete und Vierte wurde. «Ich hatte gedacht, dass ich den Schneepflug spielen muss. Aber die Piste war gut, und zu Beginn war auch die Sicht okay. Heute war ich ein Glückspilz», sagte die Bündnerin.
Mit Nummer 7 kam Corinne Suter noch einigermassen gut weg, und das Kopfschütteln unmittelbar nach ihrer Fahrt wich rund eine Stunde später einem breiten Grinsen. Als Dritte stand sie auch im vierten Speedbewerb des Winters auf dem Podest, und womöglich kann nun auch der Beziehungsstatus zwischen der Olympiasiegerin und dem Heimrennen angepasst werden, der bis anhin doch als ziemlich kompliziert galt. Erstmals stieg Suter in St. Moritz aufs Treppchen, wo sie noch vor Jahresfrist nach zwei missglückten Super-G wortlos aus dem Zielraum gestapft war.
Als die 28-Jährige am Morgen per SMS Gewissheit erhalten hatte, dass der Rennstart – wenn auch auf verkürzter Strecke – bestätigt war, sei sie ein wenig erschrocken. «Ich hätte das nicht gedacht. Es war dann auch schwierig, es gab viele Schläge, und ich war einfach gottenfroh, als ich still im Ziel stand.»
Gut-Behrami wird ausgebremst
Suter, deren Selbstbewusstsein dieser Tage immer wieder spürbar ist, war die Schnellste in einem Schweizer Team, in dem die Gefühlslagen ziemlich divergierten. Joana Hählen war bedient, weil sie trotz fehlerfreier Fahrt nur 16. und vom Schneefall ausgebremst wurde. Besser lief es Lara Gut-Behrami, die vor 14 Jahren in St. Moritz ihr erstes Rennen gewann, auch damals bei Hudelwetter. Auch die Tessinerin, die durchtrainierter wirkt denn je, blieb ohne Makel, auch sie schien von den Verhältnissen nicht eben bevorteilt zu werden. Wobei sie keinerlei Ausreden suchte und die Durchführung des Rennens für vertretbar hielt. «Die Sicht war nicht gut, aber das galt für alle.»
Die Österreicherin Cornelia Hütter resümierte nach Rang 11, ungefährlich sei solch eine Abfahrt sicher nicht. «Man konnte uns diese Aufgabe wohl schon zumuten. Aber gerade für Fahrerinnen, die gegenwärtig nicht das grösste Selbstvertrauen haben oder von einer Verletzung zurückkommen, wird es eine Tortur, wenn sie keine Wellen und keine Schläge auf der Piste sehen.»
«Ich konnte die Hand kaum noch bewegen.»
Genau jene Verhältnisse scheinen prädestiniert zu sein für eine wie Sofia Goggia, die als Zweite knapp drei Zehntel auf Curtoni einbüsste. Ihre Darbietung gilt es besonders hervorzuheben, wurde das Rennen unmittelbar vor ihrem Start doch minutenlang unterbrochen, weil ein Pistenarbeiter nach einem Unfall abtransportiert werden musste.
Später musste Goggia ihrerseits musste starke Schmerzen aushalten, während der Fahrt verletzte sie sich nach einem Zusammenprall mit einer Torstange an der linken Hand und rief im Ziel sogleich nach einem Arzt. «Ich konnte die Hand kaum noch bewegen», sagte sie später. In der Klinik in St. Moritz wurde ein Handbruch diagnostiziert, umgehend wurde sie in ein Spital nach Mailand gebracht und dort auch gleich operiert.
Die so leidensfähige Goggia, die immer wieder von teils gravierenden Verletzungen zurückgekommen ist, die Heim-WM 2021 wegen einer Fraktur des Schienbeinkopfes im Knie verpasste und an den Olympischen Spielen in Peking mit angerissenem Kreuzband Silber in der Königsdisziplin holte, möchte am Samstag dennoch zur zweiten Abfahrt antreten. Es dürfte im Skizirkus wenige geben, die gegen das Blitzcomeback von der Draufgängerin wetten würden.
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