Neues Präsidium für den KantonsratDer höchste Zürcher ist ein Exot – und schwächt die Bürgerlichen
Mit SVP-Politiker Jürg Sulser wurde erst zum zweiten Mal in 100 Jahren ein Mann aus dem Bezirk Dielsdorf zum Ratspräsidenten gewählt. Er hatte gleich einen kleinen Eklat zu bewältigen.
Die Macht ballt sich im kommenden Amtsjahr im nördlichen Teil des Kantons. Nachdem Natalie Rickli (SVP) und Martin Neukom (Grüne), die beide aus Winterthur stammen, zur Präsidentin respektive zum Vizepräsidenten des Regierungsrats gewählt worden sind, hat das Kantonsparlament am Montag seinen «Bock» gewählt, also das dreiköpfige Ratspräsidium. Dieses besteht neu aus Personen aus dem Zürcher Unterland und dem Stammertal.
Der Otelfinger SVP-Politiker Jürg Sulser ist nun ein Jahr lang Kantonsratspräsident und damit der protokollarisch höchste Zürcher. Seine beiden Vizes sind Martin Farner (FDP) aus Stammheim und Romaine Rogenmoser (SVP) aus Bülach. Die Parteizusammensetzung ergibt sich jeweils turnusgemäss und entsprechend den Parteistärken.
Mässiges Resultat
Sulser erzielte mit 139 Stimmen ein mässiges Resultat. Nur vier Gewählte erhielten in den letzten 20 Jahren weniger Stimmen.
Ob es mit seinem Wohnort zu tun hat? Jürg Sulser ist aufgrund der Herkunft ein Exot an der Spitze des Kantonsparlaments. In den letzten 100 Jahren wurden nur zwei Männer (und keine Frau) aus dem Bezirk Dielsdorf in diese Position gewählt. Der andere war Markus Kägi aus Niederglatt, der das Amtsjahr 1995/96 präsidierte. Er wurde später Regierungsrat. Vom 63-jährigen Otelfinger Sulser ist diese Ambition nicht überliefert.
Wunsch: Vollzähliges Parlament
In seiner Antrittsrede räumte der SVP-Politiker und Transportunternehmer Sulser ein, dass sich eine junge Linke aus der Stadt womöglich nicht von ihm repräsentiert fühlt. Beide verbinde aber, sagte er, dass sie den Kanton gestalten wollten und dafür einständen, was sie für richtig hielten.
Sulser verzichtete auf die üblichen Aufforderungen zur Ratseffizienz, wünschte sich aber, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier plastisch sprechen statt technokratisch. Und noch einen Wunsch hatte er, nämlich dass der Rat mindestens einmal vollzählig anwesend ist. Am Montag waren immerhin 175 von 180 Gewählten im Ratssaal in der Bullingerkirche.
Impfgegnerinnen demonstrieren
Eine erste Bewährungsprobe bewältigte Sulser mit Bravour. Impfgegnerinnen und -gegner um den abgewählten Kantonsrat Urs Hans rollten vier Transparente von der Tribüne hinab, was Sulser sofort unterbinden liess.
Ein Mitarbeiter der Parlamentsdienste konnte drei der Transparente von unten her ergreifen, das vierte rollten die Demonstrantinnen rechtzeitig wieder ein. Sie wurden von den anwesenden Kantonspolizisten hinausbegleitet.
Sulser verabschiedete die bisherige Ratspräsidentin Sylvie Matter (SP) aus Zürich mit dem Lob, sie sei absolut unparteiisch gewesen. Etwas Mitleid hatte er mit ihr, weil sie diverse Monsterdebatten hat bewältigen müssen. So habe die Diskussion um die Pistenverlängerungen am Flughafen länger gedauert und mehr Turbulenzen verursacht als ein Mittelstreckenflug.
Der SP-Co-Fraktionspräsident Tobias Langenegger wusste es genauer: 364 Minuten seien es gewesen, sagte er bei der Würdigung Matters, die er abwechselnd mit Fraktionskollegin Sibylle Marti vortrug. Diese schlug vor, Matters Notizbüchlein mit den vielen Skizzen dem Staatsarchiv zu übergeben – Gymilehrerin Matter hatte ihr Präsidialjahr in den sozialen Medien dokumentiert, wobei ihre originellen Notizen hervorstachen.
Die neuen Führungspersonen des Kantons sind nicht nur nördlicher ausgerichtet, sondern auch rechter. Mit Sulser, dem Freisinnigen Martin Farner, der 132 Stimmen erhielt, sowie Romaine Rogenmoser ist der Bock in der Hand der Bürgerlichen. Die prononcierte SVP-Politikerin mit dem walliserdeutschen Einschlag erhielt nur 107 Stimmen. Sie hatte in der Präsidialzeit von Benjamin Fischer zwei Jahre lang in der fünfköpfigen Leitung der kantonalen SVP gesessen.
Vorteil wechselt zur Klimaallianz
Die bürgerliche Dominanz im Ratspräsidium ist für die rechte Ratsseite aber nicht nur Segen, sondern auch Fluch. Denn seit dem Übertritt von Isabel Garcia von der GLP zur FDP herrscht im Kantonsrat in gewissen Fragen ein Patt von 90:90 Stimmen.
Das Ratspräsidium stimmt aber jeweils nicht mit, weshalb im letzten Amtsjahr die Bürgerlichen (SVP/EDU, FDP, Mitte) leicht im Vorteil waren. In den nächsten drei Amtsjahren hat nun die sogenannte Klima- und Fortschrittsallianz (SP, GLP, Grüne, EVP und AL) einen kleinen Vorsprung.
Eine Ausnahme ist, wenn sich die ausgezählten Stimmen aufwiegen. Dann fällt das Ratspräsidium den Stichentscheid. SP-Ratspräsidentin Sylvie Matter konnte dreimal dafür sorgen, dass die linke Ratshälfte obsiegte.
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