Kommt der Durchbruch im Brexit-Drama?Johnson ist ein Gefangener seiner martialischen Worte
Viel Zeit bleibt nicht mehr bei den Brexit-Verhandlungen. Welche Wahl trifft der britische Premierminister Boris Johnson nun für sein Land?
Für die kompromisslosesten Brexiteers ist keineswegs gesagt, dass sich London und Brüssel noch auf einen Freihandelsvertrag einigen werden. Klare «Signale, dass das Vereinigte Königreich nicht bereit ist, klein beizugeben», machte jetzt der nationalkonservative «Daily Telegraph» aus. Nicht zuletzt habe Regierungschef Boris Johnson diese Woche die Abgeordneten heimgeschickt in die Weihnachtsferien, statt das Parlament noch für ein paar Tage am Laufen zu halten. Andere Stimmen weisen freilich darauf hin, dass die Parlamentarier binnen 48 Stunden zurück nach Westminster gerufen werden können. Ein Regierungssprecher räumte sogar ein, dass das schon nächste Woche der Fall sein kann.
Bezeichnend an dieser Situation ist, dass Johnson auch das eigene Land rätseln lässt bis zum Ende. Nur keine Bereitschaft zum Einlenken zeigen, war ja immer sein oberstes Gebot.
«Wunderbare Zeiten»
Während EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum Wochenende trotz aller Meinungsverschiedenheiten «erhebliche Fortschritte» bei den Verhandlungen meldete, betonte der Brite lieber, die Lage sei ernst und ein Scheitern der Gespräche noch immer sehr wahrscheinlich. Was aber nicht weiter schlimm sei: Denn auch ein «No Deal» würde den Briten «wunderbare Zeiten» bescheren. Mächtig gedeihen würde sein Land, auf sich allein gestellt.
Dass Johnson selbst das glaubt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Allzu viele Experten, auch hohe Regierungsbeamte und die Bank von England, haben zunehmend dringlich vor einem «Sprung über die Klippe» gewarnt.
Johnson hat seinen Wählern immer versichert, dass es zu einem «No Deal» nie kommen werde.
Grenzprobleme, Versorgungsengpässe, Abwanderung von Investoren, Firmenzusammenbrüche und enorme Verluste an Wirtschaftskraft sind dem Regierungschef immer neu prophezeit worden. Ganz zu schweigen von den politischen Folgen – vom Verlust an Einfluss und Verbündeten (statt dem Zugewinn an Bedeutung) in der Welt.
In der Tat hat Johnson selbst seinen Wählern immer versichert, dass es zu einem «No Deal» nie kommen werde. Noch vor ein paar Jahren fand er, die Chancen für ein «No Deal»-Ergebnis beim Brexit stünden «eins zu einer Million». Kein Wunder: Stets hatten die Brexiteers ihren Landsleuten versichert, Deutschlands Auto-Produzenten und Frankreichs Winzer würden schon für weiteren reibungslosen Warenverkehr sorgen, über und unterm Ärmelkanal.
In ihrem Eifer übergingen sie allerdings Fragen zum wahren Kräfteverhältnis zwischen beiden Seiten und zum vorrangigen Interesse der anderen EU-Staaten an der Aufrechterhaltung ihres gemeinsamen Markts. Statt nüchtern abzuwägen, wie viel Zugewinn an Souveränität wie viel Verlust an Wohlstand unterm Strich rechtfertige, setzte man in London auf eine von Anfang an unrealistische Rhetorik nationaler Überlegenheit und zunehmend scharfer antieuropäischer Ressentiments.
Provokative Geste
Johnson selbst, der sein Land gern aufforderte, sich von seinen Ketten zu befreien, trug nach Kräften zu dieser Denkweise bei. Für ihn durfte Grossbritannien kein «Vasallenstaat der EU» bleiben. Zuletzt warnte er seine Landsleute, Brüssel wolle sie bestrafen, wenn sie sich den EU-Vorstellungen von fairem Wettbewerb nicht fügten. Gehorchen sollten sie nun schon wieder. Und das gehe natürlich nicht an.
In einer bewusst provokativen Geste wurden gar noch vier Kriegsschiffe mobilisiert, um Wehrbereitschaft bei einer für den «No-Deal»-Fall erwarteten «Invasion» von Fischerbooten aus der EU zu demonstrieren – und dies zur selben Zeit, da Johnson offenbar, wie die EU, bereits einer Lösung näher rückte am Verhandlungstisch.
Wie sich Boris Johnson aus dem Gespinst seiner eigenen martialischen Worte und Aktionen befreien und den Briten nun erklären will, warum auch ein glorios überhöhtes «Brexitannien» noch Verpflichtungen gegenüber der EU wird eingehen müssen: Das ist die grosse Frage, die sich ihm jetzt, kurz vor Ablauf der Verhandlungsfrist, stellt.
Wird er es tun? Nur wenige Insider auf der Insel glauben, dass Johnson blind ist für die Folgen eines «No-Deal»-Brexit. Aber ob er letztlich seiner Einsicht folgt und riskiert, dass ihn seine Hardliner beschuldigen, den Brexit «verraten» zu haben, steht auf einem anderen Blatt.
Dabei weiss der Premier, dass ihm sein Kabinett bei einer Entscheidung für einen Deal widerspruchslos folgen und dass ein rasch zurückgerufenes Unterhaus diesen Deal noch zu Weihnachten mehrheitlich absegnen würde. Als persönlichen Triumph, als Sieg über die EU verkaufen würde er eine Vereinbarung eh, ungeachtet ihrer Substanz.
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