Interview mit Martin Schmidt«Jetzt hat Tuchel Spieler, die zu seiner Genialität passen»
Martin Schmidt nennt Thomas Tuchel seinen Freund und Ziehvater. Vor dem Champions-League-Final erklärt der Walliser, wie der heutige Trainer von Paris St-Germain funktioniert.
Nein, Martin Schmidt hat diese Woche keine Bewerbung an den FC Basel verschickt. «Obwohl FCB-Präsident Bernhard Burgener und ich ja beide unsere Wurzeln in Naters haben», wie der 53-jährige Walliser Trainer mit einem Lachen feststellt. Und obwohl der FCB noch ohne Cheftrainer für die kommende Saison dasteht.
Stattdessen hat sich Schmidt seit seiner Entlassung beim FC Augsburg im März in der Bekleidungsfirma engagiert, die er mit seinen Schwestern besitzt. Und er war viel in Italien, «auf den Spuren des Fussballs». Nach zehn Jahren in Deutschland würde ihn die Serie A reizen – oder auch Spanien.
Aber Zeit genommen hat sich Schmidt nicht, um seine Karriereplanung zu besprechen. Sondern, um über Thomas Tuchel zu reden, mit dem er von 2010 bis 2014 in Mainz ass, den er seinen «Ziehvater» nennt und der heute als Trainer von Paris St-Germain im Final der Champions League steht.
Sie sind mit Thomas Tuchel seit Ihrer gemeinsamen Mainzer Zeit befreundet. Wie dürfen wir uns Ihre gemeinsamen Abende vorstellen?
Wir haben damals viel zusammen gekocht. Ich bin am Grill gestanden – und er war für den Salat zuständig. Für ihn war schon damals gesundes Essen ganz wichtig, während ich ein paar Würste gebraten habe. Vor allem aber haben wir viel Fussball geguckt. Und wenn wir einen Champions-League-Abend hatten, hast du seine Gier bemerkt. Er hat immer gesagt: «Geschafft hast du es erst, wenn du unter der Woche spielst.»
Und jetzt steht er im Final der Champions League. War Ihnen schon damals klar, dass er das Zeug dazu hat?
Mir war immer klar, dass der Thomas das schafft. Und wenn ich ihn jetzt sehe, wie er an der Seitenlinie da auf seiner Kühlbox sitzt, dann ruht er in sich. Das sehe ich ihm an. Er ist an der Schwelle zu einem Ziel, für das er lange alles investiert hat.
Auf Aussenstehende wirkt Tuchel immer etwas abweisend.
Er war nie extrovertiert. Er hatte es nicht nötig, in einem dicken Chlapf durch die Stadt zu fahren und den Chef rauszuhängen. An freien Tagen war er auf dem Tennis- oder auf dem Spielplatz mit den Kindern. Da war der Fussball dann weit weg. Er war immer entweder Trainer, Vater oder Kumpel. Das hat er nie vermischt. Da zeigt sich seine sehr strukturierte Persönlichkeit.
Leidet sein Bild in der Öffentlichkeit auch darunter, dass er in Dortmund Nachfolger des Menschenfängers Jürgen Klopp geworden ist?
Er ist vielleicht nicht Everybody’s Darling wie Klopp, der nach dem Spiel noch zu den Fans geht und feiert. Für Tuchel ist es Teil seines Jobs, wenn er nach dem Spiel vor die Journalisten muss. Da kann er auch mal seine belehrende Seite zeigen. Und danach ist er weg. Er sagt: «Ich habe eine Frau und zwei Kinder. Die brauchen mich auch.» Er ist nicht der Typ für Socializing oder Small Talk, er eckt auch mal an.
Tuchel wirkt sehr asketisch.
Asketisch ist ja keine Beleidigung, das ist ein Kompliment. Richtig essen, gesund essen, das war ihm immer sehr wichtig, die eigene Fitness auch. Er hat schon früh bei seinen Teams Vollkorn- oder Dinkelteigwaren eingeführt. Glutenfreies Essen rein, Süssgetränke raus. Er ist immer neue Wege gegangen. Heute hört sich das normal an. Aber vor zehn Jahren, als in Deutschland noch Schokokuchen in der Kabine stand, gab das zu reden.
«Wir hatten Spielfelder, die wie eine Banane ausgesehen haben.»
Auch auf dem Platz?
Er war Vorreiter neuer Trainingsformen. Wir hatten Spielfelder, die wie eine Sanduhr geformt waren, um die Spieler in die richtigen Zonen auf dem Feld zu bringen. Andere sahen aus wie einen Banane. Und wir haben dabei mit Kommazahlen gearbeitet! 15,6 Meter mal 31,3 Meter. Oder nein, doch 31 Meter. Und dann hat er noch einmal nachgemessen und selbst Hütchen und Stangen versetzt. Es ist kein Zufall, was er erreicht hat im Fussball. Er ist ein Taktikgenie.
Überdenkt er den Fussball manchmal?
Das ist in Mainz ab und an passiert. Die Spieler waren dann ein Stück weit überfordert von dem, was er ihnen abverlangt hat. Denken hemmt auch im Fussball, das hat er bemerkt. Also hat er wieder etwas zurückgeschraubt. Später in Dortmund konnte er schon stärker an den taktischen Schrauben drehen. Und in Paris hat er jetzt die richtigen Spieler für seine Genialität.
Ist es Zufall, dass gleich drei von vier Halbfinalisten in der Champions League von Deutschen trainiert werden?
Paris hatte im Viertelfinal ja auch riesiges Glück. Wenn er da ausgeschieden wäre, würden wir ein ganz anderes Gespräch über Thomas führen. Aber es ist schon spürbar: Vor zehn Jahren musstest du Spanisch reden und Ballbesitzfussball spielen lassen. Heute sind deutsche Trainer auch im Ausland begehrt. Auch ich erhalte Avancen aus anderen Ländern, bei denen ich mich frage: Warum melden sich die jetzt bei mir? Deutsche Trainer bringen ihrem Team eine physische und mentale Härte, die gerade in dieser speziellen Corona-Zeit wichtig ist.
Und mit welcher Taktik wird Tuchel seine Pariser gegen die Bayern spielen lassen?
Er wird sich auf sein Spiel konzentrieren. Und er wird seinen Spielern drei Tage lang erklärt haben, wo die Schwachstellen der Bayern liegen. Er hat sicher Trainingsformen kreiert, die genau darauf ausgelegt sind, dass Jérôme Boateng nicht der Schnellste ist – und dass Alphonso Davies lieber im gegnerischen Strafraum auftaucht als im eigenen.
Und wenn er gewinnt, werden Sie ihm gratulieren.
So, wie ich ihm auch zum Geburtstag gratuliere. Der Gewinn der Champions League wäre ja auch so etwas wie ein Geburtstag. Aber ich werde mich auch melden, wenn er nicht gewinnt.
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