In Paris trotz Fieber gespieltIst Zverev ein verantwortungsloser Lümmel?
Alexander Zverev sorgt für Diskussionen, weil er in Paris mit Fieber gespielt hat. Doch das Hauptproblem im Tennis sind die Corona-Reglemente.
Alexander Zverev, wieder er. Der Deutsche hatte schon Ende Juni für Aufregung gesorgt. Damals tauchte ein Video von ihm an einer Party in Monte Carlo auf, nachdem er öffentlich versprochen hatte, sich nach der Adria-Tour in Quarantäne zu begeben. Selbst Bundestrainerin Barbara Rittner kritisierte den 23-Jährigen und sprach ihm Verantwortungsgefühl und Vorbildfunktion ab.
Und nun ist der jüngere der Zverev-Brüder am French Open also krank zum Achtelfinal gegen Jannik Sinner angetreten, obwohl er sich gemäss Corona-Protokoll vorgängig beim Turnierarzt hätte melden müssen. Wenig überraschend fallen die Reaktionen in den sozialen Medien heftig aus. «Scheinbar hat Zverev anstelle eines Hirns nur eine Murmel im Kopf», schreibt eine Dame auf Twitter. Und das ist beileibe nicht das Böseste, was im Internet zu lesen ist.
Er wollte nichts verheimlichen, sonst hätte er sich nicht Nasentropfen auf den Platz bringen lassen.
Ist Zverev ein derart verantwortungsloser Lümmel, wie er nun dargestellt wird? Die Frage lässt sich nicht mit einem klaren Ja beantworten. Denn Tennis ist ein unbarmherziger Sport; du hast auf dem Platz keine Unterstützung, es gibt kein Unentschieden, in jedem Match stellt sich die Frage «ich oder er?» respektive «ich oder sie?» Wer wie die Roland-Garros-Teilnehmer mindestens zur erweiterten Weltspitze gehört, hat sich über viele Jahre Mechanismen antrainiert, ohne die kein Blumentopf zu gewinnen ist: Schmerzen ausblenden, Schwächen vertuschen, nichts unversucht lassen.
Zverev, dessen Eltern eine Covid-19-Erkrankung durchmachten, hat nicht bewusst gegen Regeln verstossen, sondern nur getan, worauf er programmiert ist. Er wollte nichts verheimlichen, sonst hätte er sich nicht Nasentropfen auf den Platz bringen lassen und an der Pressekonferenz freimütig erzählt, dass seine Körpertemperatur im Vorfeld 38 Grad betragen hatte. Auf Eurosport thematisierten der Kommentator und Boris Becker nicht, ob es wegen der Ansteckungsgefahr legitim sei, dass Zverev antrat. Sie lobten die Weltnummer 7 vielmehr für ihren Kampfgeist trotz offensichtlicher Beschwerden.
Die Topspielerinnen und -spieler lebten schon vor dem Ausbruch der Pandemie in einer Blase, abgekoppelt von der Weltbevölkerung.
Eines gilt es zu verstehen: Die Topspielerinnen und -spieler lebten schon vor dem Ausbruch der Pandemie in einer Blase, abgekoppelt von der Weltbevölkerung. Das ist zumindest im Fussball, im Golf und in der Formel 1 nicht anders. Die Stars und Sternchen werden hofiert, verwöhnt, bevorzugt behandelt. Sie müssen nur mit dem Finger schnippen, dann rennt der Coach, der Masseur, der Sparringpartner. Ein gutes Beispiel für den verlorenen Realitätsbezug lieferte am US Open Kristina Mladenovic. Sie wollte nicht verstehen, dass sie in Quarantäne verweilen musste, weil Kollege Benoît Paire, mit dem sie Karten gespielt hatte, positiv getestet worden war. Sie fühle sich «wie eine Gefangene», jammerte die Französin in New York. Sie wäre am liebsten sofort nach Hause geflogen, obwohl sie für die anderen Passagiere womöglich ein Risiko dargestellt hätte.
Man mag das alles nicht gut finden, aber es ist die Realität. Die Probleme sind quasi systembedingt. Sie könnten freilich durch striktere Reglemente behoben werden: Beim Eintritt ins Stadion könnte jedes Mal ein Corona-Test durchgeführt und die Temperatur gemessen werden. Wer positiv ist oder 37,5 Grad übertrifft, darf nicht antreten. So hätten in Paris bestimmt einige Matches nicht stattgefunden. Aber wäre das wirklich sinnvoll? Denn zumindest auf dem Platz hat Zverev niemanden gefährdet, selbst wenn er an Covid-19 leiden sollte.
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