Weitere Verschärfungen aufgegleistDer Bundesrat tendiert zu einer 2-G-Pflicht
Regierungsmitglieder zeigen sich offen für einen Ausschluss von Ungeimpften von vielen Lebensbereichen. Damit wollen sie einen Lockdown abwenden.

Seit Wochenanfang dürfen Männer und Frauen, die nicht genügend geimpft oder von Covid-19 genesen sind, in der Schweiz nicht mehr in viele Discos und Bars. Bald aber könnten die Ungeimpften nicht nur vom Nachtleben ausgeschlossen werden, sondern auch von zahlreichen weiteren Bereichen des öffentlichen Lebens. Vieles deutet darauf hin, dass die 2-G-Regel bald deutlich ausgeweitet wird. Was vergangene Woche noch als Tabu galt, könnte bereits kommende Woche Realität werden.
Welche Orte betroffen sein werden, ist vor der Bundesratssitzung vom Freitag offen. Wie schon bei den jüngsten Verschärfungen wird die Landesregierung aller Voraussicht nach ihre Vorschläge öffentlich machen und Kantone und Verbände dazu konsultieren.
Infrage kommt, dass Ungeimpfte beispielsweise auch von Restaurants, Theatern, Museen, Fitnessclubs, Schwimmbädern, Konzerten oder Sportstadien ausgeschlossen werden. Die meisten solchen Einrichtungen dürfen sie derzeit noch mit einem aktuellen negativen Corona-Test betreten.
Parmelin spurte vor, Keller-Sutter zog nach
Wie weit eine 2-G-Pflicht Sinn ergibt, dürfte nicht nur öffentlich viel zu reden geben, sondern auch im Bundesrat am Freitag und an einer zweiten Sitzung kommende Woche. Doch im Siebnergremium dürfte Gesundheitsminister Alain Berset mit dem Vorhaben im Grundsatz nicht mehr auf breiten Widerstand stossen.
Bereits am vergangenen Wochenende hatte Bundespräsident Guy Parmelin, obschon als SVP-Mitglied tendenziell eher massnahmenkritisch, vorgespurt. In der «Samstagsrundschau» des Schweizer Radios bezeichnete er eine 2-G-Pflicht als denkbar, sollten die Fallzahlen weiter steigen.
Am Dienstag dann warnte die wissenschaftliche Taskforce, dass die Schweizer Intensivstationen bald überfüllt seien, wenn die fünfte Welle nicht rasch gebrochen werde. Und dass die bisherigen Massnahmen dafür wahrscheinlich nicht ausreichten.
Die Warnung der Taskforce hat im Bundeshaus offensichtlich etwas ausgelöst. In der «Rundschau» am Mittwoch sprach sich Karin Keller-Sutter gegen einen Lockdown aus. Die FDP-Bundesrätin zeigte sich aber offen für 2-G: «Man wird sicher darüber diskutieren müssen, ob 2-G ausgeweitet wird.»
Wenig Widerstand gegen die Einschränkungen für Ungeimpfte ist auch von Viola Amherd und Simonetta Sommaruga zu erwarten.
Offen ist, ob der Bundesrat neben 2-G auch weitere Massnahmen in die Konsultation gibt, so auch – als Option – einen zwei- oder dreiwöchigen Lockdown. Über diese Varianten haben am Donnerstagmittag zuerst der «Nebelspalter» und dann auch der «Blick» unter Berufung auf mehrere anonyme Quellen berichtet.
Kantonsarzt: Massnahme kommt einen Monat zu spät
Es gibt allerdings Zweifel daran, dass mit 2-G die Fallzahlen rasch gesenkt und dadurch mit einigen Wochen Verzögerung auch die Spitäler entlastet werden können. 2-G sei zwar vernünftig und hilfreich, sagt etwa Thomas Steffen, Kantonsarzt von Basel-Stadt, allerdings wäre die Schweiz mit dieser Massnahme einen Monat zu spät dran. Das Virus sei inzwischen zu stark verbreitet, die Fallzahlen zu hoch, als dass 2-G allein reichen würde, um die aktuelle Dynamik zu brechen.
Steffen plädiert darum dafür, dass schweizweit 2-G plus Masken im Freizeitbereich eingeführt wird. So wie das sein Kanton bereits vom Bundesrat gefordert hat. Am Wochenende hatten im Gespräch mit dieser Zeitung schon die beiden Epidemiologen Marcel Salathé und Antoine Flahault davor gewarnt, bei 2-G auf Masken zu verzichten. Die Taskforce ging am Dienstag noch weiter. Sie schlug 2-G plus eine Testpflicht für gewisse Veranstaltungen in Innenräumen vor. Konkret sprach sie von Risikoaktivitäten, bei denen keine Maskentragpflicht möglich ist. Eine Ausnahme würde einzig für jene Geimpften gemacht, die bereits die dritte Dosis erhalten haben.
«Für eine rasche Besserung braucht es zusätzliche flächendeckende Massnahmen.»
Allerdings reicht es gemäss Steffen nicht, wenn die Verschärfungen auf den Freizeitbereich beschränkt bleiben. «Für eine rasche Besserung braucht es zusätzliche flächendeckende Massnahmen», sagt der Kantonsarzt: vor allem eine Homeoffice-Pflicht. Die aktuelle Empfehlung des Bundesrates für Arbeiten von zu Hause bringe kaum etwas. Auch an Kapazitätsbeschränkungen bei Veranstaltungen komme man wohl nicht mehr vorbei.
Weiter plädiert Steffen für Masken an allen Schulen ab der 3. oder 5. Klasse. Auch regelmässige Massentests müssten an allen Schulen durchgeführt werden. Die gleiche Forderung erhob am Donnerstag der Dachverband der Schweizer Schülerorganisationen. Die Taskforce schreibt dazu, dass es für eine deutliche und schnelle Reduktion der Fallzahlen auch Massnahmen brauche, um Übertragungen bei Kindern und Jugendlichen zu verringern.
Im Vergleich zu den Einschränkungen in Nachbarländern ginge all dies immer noch relativ wenig weit: Deutschland hat Anfang Dezember ein Massnahmenpaket beschlossen, das über 2-G hinausgeht. Inzwischen stagnieren die Fallzahlen zumindest. Thorsten Lehr, Professor an der Universität des Saarlandes und Spezialist für Corona-Simulationen, geht aber nicht davon aus, dass mit den aktuellen Massnahmen eine deutliche Reduktion der Fallzahlen möglich ist.
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Deutschland setzt auch auf Einschränkungen für Ungeimpfte bei privaten Treffen. Kantonsarzt Steffen empfiehlt dem Bundesrat für den privaten Bereich ein anderes Vorgehen. Wie schon an Weihnachten vor einem Jahr müsse er eine klare Botschaft platzieren, dass jetzt Vorsicht angebracht sei. «Letztes Jahr hat dies sehr gut funktioniert», sagt Steffen. «Wenn die Gesellschaft sich wieder zusammenrauft, kann Weihnachten erneut dazu beitragen, dass sich die Situation beruhigt.»
Dieser Artikel wurde am Donnerstagabend durch neue Informationen über die Bundesratspläne ergänzt.
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