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Ist der Spionagewal etwa ein Therapiewal?

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Dass er aus Russland kommt und sich heimlich über die Grenze in norwegische Gewässer gestohlen hat, bezweifelt niemand mehr. Einen «Spionagewal» haben sie den weissen Beluga zuerst getauft, der da vergangene Woche mit einem Mal inmitten norwegischer Fischer auftauchte und der seither ganz offensichtlich von den Norwegern ebenso wenig genug kriegen kann wie sie von ihm.

Schnell nämlich – Spionage hin oder her – entwickelte sich eine regelrechte Liebesbeziehung zwischen den Norwegern und ihrem mysteriösen Gast. Der Wal besucht immer wieder die Küste am Nordkap, schwimmt in den Hafen des kleinen Fischerdorfes Tufjord und vollführt kleine Kunststückchen für die Bewohner, lässt sich tätscheln oder holt Ringe vom Meeresboden herauf.

«Semion», nicht «Wladimir»

Der staatliche Rundfunksender NRK berichtet seither fast täglich und liess sein Publikum in einer grossen Umfrage über einen Namen für den Beluga abstimmen. Seither heisst der Wal Wladimir. Knapp dahinter lagen «White Russian» und «Joar», das ist der Vorname seines Retters, des Fischers Joar Hesten, der den Beluga von dem Gurtzeug befreit hatte, das ihm wohl in Russland von Menschenhand umgelegt worden war und an dem noch die Halterung einer Go-Pro-Kamera hing.

Das heisst: Zumindest war das sein Name bis zum gestrigen Dienstag. Da nämlich wartete die Fischereizeitung «Fiskeribladet» mit einer neuen Wendung in der Arktissaga auf. «Es kann nicht mehr ausgeschlossen werden», enthüllte das Blatt nämlich, «dass ‹Waldimir› in Wirklichkeit ‹Semion› heisst.» Und dass er – es kommt noch besser – gar kein Spionagewal sei, sondern ein Therapiewal. Einer, der in Russland mit benachteiligten Kindern gearbeitet hat.

Das wäre nun schon eine Wendung, die sich kein Hollywood-Drehbuchschreiber kitschiger hätte ausdenken können, für die das «Fiskeribladet» allerdings einen Kronzeugen aufbietet: Morten Vikeby war einst norwegischer Konsul in Musmansk, vor allem aber war er auch einmal Reporter für die Fischereizeitung gewesen – und hatte als solcher tatsächlich am 29. September 2008 eine grosse Geschichte über ein russisches Wassersportzentrum zwischen Murmansk und Karelien geschrieben.

Video: Wal vom russischen Militär ausgebildet?

Das Zentrum hatte damals einen Beluga-Wal aufgepäppelt, der zuvor offenbar von angriffslustigen Robben übel zugerichtet worden war. Ausbilder dort tauften den Wal Semion und brachten ihm ein paar Tricks bei. Zuerst zur Belustigung ihrer Kunden; sehr schnell aber kamen Schüler und Kinder mit psychischen Störungen angereist, und der Besuch beim Beluga wurde zum Teil therapeutischer Behandlungen.

«Ich habe den Wal wiedererkannt», sagte Morten Vikeby seiner alten Zeitung. Zumindest glaubt er es, mit hundertprozentiger Sicherheit kann auch er nicht dienen. Aber er verweist auf die Kunststückchen, die Tatsache, dass der Wal die Nähe von Menschen sucht, oder das Brustgeschirr: Mit einem solchen Geschirr habe Wal Semion damals Boote gezogen, in denen Kinder sassen. Auf der Webseite des «Fiskeribladet» kann man ein Video sehen, das Vikeby damals von dem Wal und den Kindern in Russland gedreht hatte. Norwegens offizielle Walbeobachter begrüssten in einer ersten Reaktion die neue Theorie, die aus einem feindlichen Spion einen Kindertherapeuthen macht. Eine «fantastische» Nachricht sei das, sagte Meeresbiologe Jørgen Wiig von der Fischereidirektion dem «Fiskeribladet»: «Wir brachten ihn bislang immer mit Spionage oder Krieg in Verbindung, und nun sieht es so aus, als sei er in Wirklichkeit ausgebildet, um Gutes zu tun.»

Norwegische Medien merkten an, dass bislang aus Russland niemand einen Beluga-Wal als vermisst gemeldet habe, auch keinen Semion.

Egal, ob nun Wladimir oder Semion: Norwegens Behörden bleiben bei ihrer Haltung, dass der Wal keine Küstenattraktion auf Dauer bleiben soll. Wie NRK berichtete, wird unter anderem überlegt, den Beluga nach Island zu transportieren; dort gibt es das weltweit erste von Menschen eingerichtete Walrefugium auf hoher See, dorthin sind auch gerade zwei aus einem chinesischen Delfinarium befreite Belugas unterwegs.

Die Nähe zu Menschen sei stets unnatürlich für einen Wal, sagte Meeresbiologe Wiig dem NRK: «Solche Wale können auch müde und dann aggressiv werden. Ausserdem kann er durch Boote verletzt werden.» Allerdings koste ein solcher Transport viel Geld, die Finanzierung sei noch nicht klar. Ex-Konsul Morten Vikeby findet derweil, der Wal solle zurück in das russische Sport- und Therapiezentrum. Norwegische Medien merkten allerdings an, dass bislang auch aus Russland niemand einen Beluga-Wal als vermisst gemeldet habe, auch keinen Semion.