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Freiwillige greifen zu den Waffen
In Jeans, Turnschuhen und mit einer Kalaschnikow

Nach ein paar Basics der militärischen Ausbildung gehts in den Abwehrkampf: Freiwillige wollen Kiew verteidigen. 
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Jurij K. hat in seinem Leben noch nie ein Sturmgewehr abgefeuert. Nun hält der 35-jährige Historiker etwas unsicher eine Kalaschnikow in der Hand und überlegt, wie er sie am besten bedient. Wie viele andere männliche Einwohner der ukrainischen Hauptstadt Kiew hat sich K. nach dem russischen Grossangriff einem Freiwilligen-Bataillon angeschlossen, um seine Stadt zu verteidigen (zum Newsticker). Nur wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffs hat der Krieg Kiew erreicht.

Gemeinsam mit einer Handvoll anderer Männer bewacht Jurij K. eine Brückenunterführung, die zum Regierungsviertel von Kiew führt. In der Nähe der Siegesstrasse hebt ein älterer freiwilliger Kämpfer unter Anleitung eines regulären Soldaten eilig einen Graben aus. In der Nacht hatte es einen Angriff auf einen Posten auf Kiews Hauptverkehrsader gegeben. Er konnte abgewehrt werden, doch rechnet das Militär mit neuen Angriffen.

Russische «Sabotagegruppen» in Kiew

In der Nacht zum Samstag wurde die Lage in der Hauptstadt zunehmend gefährlicher. In einem Gebiet nordwestlich des Zentrums waren Explosionen von Artillerie und Grad-Raketen zu hören, und auch im Zentrum selbst gab es Detonationen. Eine Rakete schlug nach Angaben von Bürgermeister Witali Klitschko in ein Hochhaus mit Wohnungen ein. Ob es Opfer gab, war zunächst unklar.

Vorbereitungen für den Einsatz in Kiew.

Klitschko sprach von einer «schwierigen Nacht». Reguläre Truppen waren demnach noch nicht in die Stadt vorgedrungen, allerdings berichtete der ukrainische Informationsdienst von heftigen Gefechten mit russischen «Sabotagegruppen». Der Bürgermeister verhängte eine strikte Ausgangssperre und warnte, alle, die sich während der Ausgangssperre auf den Strassen blicken liessen, würden als Feinde betrachtet.

Kiews Einwohner durchleben einen Alptraum. Wie viele andere verbrachte Julia Snitko die Nacht in dem aus Sowjetzeiten stammenden Luftschutzkeller ihres Wohnblocks. Die 32-Jährige ist hochschwanger und hatte bei jeder Explosion in einer nahegelegenen Militäreinrichtung Angst, dass die Wehen einsetzen könnten. «In der Nacht gab es mehr als eine Stunde lang riesige Explosionen, das war sehr anstrengend», sagt sie.

Als Erkennungszeichen tragen sie eine kleine gelbe Armbinde

Am Tag danach scheint die Sonne in Kiew, aber nur eine Handvoll Zivilisten wagt es, sich in die Warteschlange für Nahrungsmittel-Notrationen einzureihen. Plötzlich ertönt das Heulen einer Luftangriffssirene, und die Menschen rennen in den nächsten Schutzraum – auch Kiews U-Bahn wurde zu einem riesigen Luftschutzkeller.

Material fassen und dann die Hauptstadt verteidigen.

Nur die Soldaten und zivilen Freiwilligen der «territorialen Verteidigung» harren weiter auf den Strassen aus. In ihren Jeans, Jogginghosen, Turnschuhen oder bunt zusammengewürfelten Uniformen sind die Freiwilligen überall in Kiew zu sehen. Als Erkennungszeichen tragen sie eine kleine gelbe Armbinde, manchmal auch nur einen Streifen Klebeband um den linken Arm.

Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Generalmobilmachung aller Männer zwischen 18 und 60 Jahren angeordnet. Nach einer militärischen Ausbildung wird nicht mehr gefragt.

«Das reicht nicht, um Helikopter zu stoppen»

«Kommandeur Bob» versucht, seiner Gruppe freiwilliger Kämpfer noch rasch die Basics der militärischen Verteidigung zu vermitteln. Auf einem Parkplatz schwingt der 51-jährige Informatiker frustriert sein Sturmgewehr.

«Das reicht nicht, um Helikopter zu stoppen, auch gegen Panzer kann es nichts ausrichten», sagt «Bob». Die internationale Gemeinschaft müsse sein Land mit mehr und angemesseneren Waffen ausrüsten: «Wir müssen Moskau aufhalten, wir müssen diesen Feind aufhalten.»

«Ich habe bis heute noch nie eine Waffe in die Hand genommen»

Roman B. macht sich wenig Illusionen. «Ich habe bis heute noch nie eine Waffe in die Hand genommen», gesteht der 47-jährige Gleitschirm-Fluglehrer. «Aber was sollen wir machen? Wir werden unser Bestes versuchen». Sein Waffenkamerad Ruslan B. hat ebenfalls noch «nie gedient». Doch der Mechaniker ist wütend entschlossen: «Es ist mein Land – mein Land, verstehen Sie?»

Auch der Rentner Anatoli S. kann seine Wut auf Kreml-Chef Wladimir Putin nicht verhehlen. «Dieser Hitler versucht, die Macht zu ergreifen», sagt er, doch «wir haben keine Angst». «Ich bin 68 Jahre alt, aber morgen nehme ich jede Waffe an und werde schiessen.»

Auch dieses junge Paar hat sich bei den zivilen Freiwilligen der «territorialen Verteidigung» gemeldet.

AFP/cpm