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«In einem Zug» von Daniel Glattauer
Das Geheimnis der dauerhaften Liebe? Es gibt keins

Der Autor Daniel Glattauer steht mit Brille und kurz geschnittenem Haar an einem Geländer, gekleidet in ein blaues Hemd und ein dunkles Jackett.
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Eigentlich will Eduard Brünhofer seine Ruhe. Eigentlich hasst er es, in einem Zugabteil angesprochen, gar in ein Gespräch verwickelt zu werden. Eigentlich möchte er auch nicht als «der Schriftsteller» erkannt werden. Na ja, vielleicht ja doch. Ein bisschen geschmeichelt ist er schon, wenn es mal passiert. Zumal wenn es mit einer Dame «frühen mittleren Alters» passiert, die klug und interessiert zu fragen weiss und ihn aus der Reserve lockt. So, dass er sich auf ihre Fragen einlässt, auf immer schwierigere, sogar peinliche, private Fragen.

Warum er, der mit Büchern über die Liebe berühmt geworden ist, nicht mehr über die Liebe schreibt. Ob das mit dem Erlöschen der Leidenschaft in seiner Ehe zu tun habe. Woran er gedacht habe, wenn er Sexszenen geschrieben habe. Was seine Frau davon halte. Wie es möglich sei, Jahrzehnte zusammenzuleben, ohne sich miteinander zu langweilen, sich gegenseitig in seiner Freiheit einzuschränken oder eben permanent fremdzugehen. Wie also eine Langzeitbeziehung überhaupt funktionieren könne.

Eduard windet sich, wundert sich, wieso er auf derartige Fragen überhaupt eingeht, und sucht nach Antworten, nicht nur für Catrin (längst duzen sich die beiden), auch für sich selbst. Nach der Wahrheit. Was ist das Geheimnis einer glücklichen Ehe? Dass es keines gibt? Dass man es einfach über die Jahre geschafft, Höhen und Tiefen bewältigt hat und immer noch zusammen ist?

Ein Schreckenskatalog unbrauchbarer Männer

So weit ist Catrin eben gar nicht gekommen – ihre Erfahrung mit «Männern ihrer Altersreichweite» fasst sie für Eduard und uns in einem Katalog des Schreckens zusammen. Alleinstehende Männer etwa sind ausnahmslos zu vergessen – «geistig träge, dümmlich, dämlich, ungebildet, stumpfsinnig, schwachköpfig, hirnrissig. Oder sie haben zwar Niveau, müssen aber gerade die Trennung von ihrer Frau verkraften, dann kann man mit ihnen bestenfalls abends ins Konzert gehen, zur tragischen Sinfonie von Schubert. Oder sie haben zwar die Trennung von ihrer Frau verkraftet, aber nicht die von ihren Kindern, denen die Wochenenden gehören, zum Uno-Spielen, Ketchup-mit-Pommes-und-Burger-Essen, Fantasyfilm-Schauen, Kino, Sky-Apple-TV, Netflix, die ganze Palette für grüne Gesichter und viereckige Augen. Catrin kann aber gern mitkommen. Nein danke.» Es gibt noch ein paar weitere, ebenso unannehmbare Kategorien.

Das wahre Ausmass der Intrige enthüllt sich erst am Ziel

Zu mehr als zu Kurzzeitbeziehungen hat es Catrin deshalb nicht gebracht, und umso neugieriger ist sie auf Eduards Geheimnis, das aber entweder keins ist oder er nicht teilen will – denn ganz tief in sein Eheleben will er sich, schon um seine Regina zu schützen, nicht schauen lassen. Ohnehin hat Catrin etwas anderes vor mit diesem Gespräch im Zug zwischen Wien und München. Das begreifen die Leser nach und nach. Das volle Ausmass der Inszenierung – oder Intrige – enthüllt sich erst am Zielbahnhof, aber sie stellt weder für den Übertölpelten noch für das Publikum eine wirkliche Enttäuschung dar.

Daniel Glattauer, dieser Unterhaltungsroutinier mit Tiefsinn, hat wieder einmal geschickt die Fäden des Plots gezogen, sein Sinn für Dialogregie, für Timing und für Pointen ist verlässlich. Der Reiz seines Kultromans «Gut gegen Nordwind» allerdings, der fehlt dem neuen Buch, da hilft auch das nette Merchandising des neuen Verlages nicht – beigelegte Zugfahrkarte plus ein Spiel mit Fragen, die man möglichen Zufallsreisebekanntschaften stellen kann.

Muss ihm fehlen – denn in dem E-Mail-Roman von 2006 zündete eine neue Liebe bei den Protagonisten im Kopf, allein durch die Erotik der Sprache, und die zündete auch bei der Lektüre. Hier jedoch blickt ein Mann, der all das schon hinter sich hat, nostalgisch und auch etwas geschwätzig zurück, und es fallen ihm, angestachelt von der Dame «frühen mittleren Alters», allenfalls gedrechselte Liebesweisheiten ein à la: «Die Vorstellung ist kräftiger als die Erfahrung. Die Vorstellung lebt von der Fantasie. Die Erfahrung macht sie zunichte.» Also: statt eines knisternden Feuers die Huldigung an die Asche. Immerhin: Der Roman heisst nicht nur «In einem Zug» und spielt von Anfang bis Ende in einem solchen, er liest sich auch so.

Buchcover von «In einem Zug» von Daniel Glattauer, zeigt eine nachdenkliche Person, die aus einem Zugfenster in die grüne Landschaft blickt.