Neue Analysen zur Corona-ImpfungNur Schweden rettete weniger Leben als die Schweiz in Westeuropa
Aktuelle Berechnungen zeigen, dass durch Impfstoffe weltweit fast 20 Millionen Covid-19-Tote vermieden wurden. In der Schweiz waren es 40’000 – ein europäischer Tiefstwert.
Laut einer im Fachmagazin «The Lancet Infectious Diseases» veröffentlichten Modellierung wurden zwischen Dezember 2020 und Dezember 2021 von potenziell 31,4 Millionen Covid-Todesfällen 19,8 Millionen durch Impfungen verhindert. Das entspricht einer Reduzierung um 63 Prozent.
Die Autoren der Studie untersuchten Daten aus 185 Ländern und Territorien. Verwendet wurden offizielle Zahlen oder Schätzungen zur Zahl der Corona-Toten sowie Statistiken zur Übersterblichkeit in jedem Land. Verglichen wurde dies mit einem hypothetischen Alternativszenario, bei dem es keine Impfungen gibt. Bei der Modellierung wurden unter anderem die unterschiedlichen Impfquoten und die Wirksamkeit der in verschiedenen Ländern eingesetzten Impfstoffe berücksichtigt. Zudem betrachteten die Forscherinnen und Forscher nicht nur die vermiedenen Todesfälle durch direkte Impfungen, sondern rechneten auch ein, dass sich in der Nähe von Geimpften weniger Menschen ansteckten.
Der Studie zufolge wurden die meisten Menschenleben in Ländern mit hohem und mittleren Einkommen gerettet: 12,2 Millionen der insgesamt 19,8 Millionen Leben. Das spiegelt den ungleichen Zugang zu Impfstoffen weltweit wider. Laut der Untersuchung hätten fast 600’000 weitere Todesfälle verhindert werden könnten, wenn das Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erreicht worden wäre, bis Ende 2021 40 Prozent der Bevölkerung eines jeden Landes zu impfen.
«Millionen von Leben wurden gerettet, indem Impfungen Menschen weltweit zur Verfügung gestellt wurden», sagte Studienleiter Oliver Watson vom Imperial College London. Aber: «Wir hätten mehr tun können.»
In der Schweiz wurden gemäss der mathematischen Modellierung 41’830 Leben durch die mRNA-Impfstoffe gerettet. Bis Ende 2021 gingen die Autoren hierzulande anhand von Übersterblichkeitsdaten von 15’000 Covid-Toten aus, es hätten ohne Vakzine also über 55’000 Todesfälle sein können.
Die Schweiz verzeichnete nach der Impfkampagne im Sommer 2021 die tiefste Impfquote in Westeuropa, dies machte weltweit Schlagzeilen. Nicht überraschend ist daher, dass mit 48 verhinderten Toten pro 10’000 Personen innerhalb von Westeuropa nur in Schweden durch die Impfung noch weniger Leben gerettet wurden als in der Schweiz. Zum Vergleich: Portugal verhinderte mit seiner fulminanten Impfkampagne bis Ende 2021 gemäss der Studie 133 Covid-Tote pro 10’000 Personen.
Unermüdlich für die Impfung eingestanden ist von Beginn weg Manuel Battegay, Chefarzt der Klinik für Infektiologie & Spitalhygiene am Universitätsspital Basel. Er hält die Resultate der «sorgfältig» gemachten Studie für plausibel. «Nach der Impfkampagne waren bei uns im Schnitt von 10 intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten 8 bis 9 Menschen ungeimpft, und dies aus einer ungleich viel kleineren Gruppe», sagt der Infektiologe.
Allerdings hält er die 40’000 geretteten Leben für die Schweiz als zu hoch geschätzt. Dies aus zwei Gründen. Erstens habe die Schweiz gegenüber den meisten anderen Ländern mit ähnlich hohen Corona-Wellen eine tiefere Sterblichkeit, insbesondere eine tiefere Spitalsterblichkeit, verzeichnet. «Dies ist durch die sehr gute stationäre und auch ambulante medizinische Betreuung in der Schweiz bedingt», sagt Battegay. «Zweitens dürfte über die Zeit gesehen unter den modelliert vermiedenen Todesfällen auch solche dabei gewesen sein, die sich auch ohne Impfung nicht ergeben hätten.»
Für Battegay ist aber klar, dass selbst wenn mit der Impfung nicht so viele Leben gerettet wurden, wie in der «Lancet»-Studie für die Schweiz angegeben, «so wäre die Belegung der Spitäler und die Belastung auf den Intensivstationen mit einer höheren Impfrate viel tiefer gewesen».
Christian Althaus zeigt sich von den detaillierten Berechnungen der Studie beeindruckt, hält die 40’000 geretteten Leben aber ebenfalls für ein oberes Limit. «Vor der Impfkampagne wies man bei etwa 20 Prozent der Bevölkerung Antikörper nach und beklagte rund 10’000 Todesfälle. Falls sich also die gesamte Bevölkerung ohne Impfschutz infiziert hätte, hätte man mit etwa 50’000 Todesfällen rechnen müssen», sagt der Berner Epidemiologe. Die Delta-Variante hätte diese Zahl wohl noch erhöht, die Omikron-Variante wiederum etwas reduziert. «Ich denke, dass durch die Impfung in der Schweiz bislang wohl etwa 20’000 Todesfälle verhindert wurden», so Althaus.
Nach offiziellen Angaben der WHO sind weltweit mehr als 6,3 Millionen Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben. Im vergangenen Monat veröffentlichte die Organisation aber eine Schätzung, der zufolge an den direkten und indirekten Folgen der Pandemie zwischen dem 1. Januar 2020 und dem 31. Dezember 2021 zwischen 13,3 und 16,6 Millionen Menschen gestorben sein könnten. Ohne Impfungen wären den Berechnungen der Imperial-College-Studie zufolge 31,4 Millionen Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus zu erwarten gewesen.
Infektiologe Battegay unterstützt eine umfangreiche Impfkampagne für den Herbst: «Impfungen werden weiterhin sehr wichtig sein, um das Leid zu reduzieren. Die Weiterentwicklung der Vakzine wird hoffentlich auch zu einem verbesserten Schutz vor einer Übertragung des Virus führen.»
Mit Material der Agentur AFP
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