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Zwei Ethiker zur Impfpflicht
«Impfgegner sollen die Konsequenzen ihres Verhaltens direkt spüren»

«Leute mit Vorbehalten gegen die Impfung würden sich noch mehr in die Ecke gedrängt fühlen», sagt Christoph Rehmann-Sutter: Teilnehmer an einer Corona-Demo am 21. August 2021 in Olten SO.
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Terminierte Operationen werden verschoben, um Intensivbetten für Corona-Patienten frei zu halten, die Intensivstationen in der Schweiz laufen voll. Massnahmen wie Maskenpflicht werden schulklassenweise eingeführt, bisweilen müssen auch ganze Klassen wegen eines Massenausbruchs zu Hause bleiben. Der Impfschutz der mRNA-Impfstoffe lässt nach, während sich die neue Virusvariante Omikron in Windeseile über den Globus ausbreitet. Und die umstrittene Forderung nach einer Impfpflicht greift auch in der schweizerischen Bevölkerung um sich, in Deutschland ist sie vom kommenden Bundeskanzler Olaf Scholz bereits auf den Weg gebracht.

Doch Andrea Büchler, Präsidentin der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin, sagte jüngst in dieser Zeitung, eine Impfpflicht sei in der Schweiz kein Thema, werde es wohl auch in Zukunft nicht sein. Sie hält die hiesige Sensibilität, die hohe Wertschätzung von Selbstbestimmung und Freiheit, für zu ausgeprägt für eine Impfpflicht.

Wir haben mit zwei Philosophieprofessoren gesprochen, die erläutern, wieso sie dies aus ethischen Gründen etwas anders sehen, auch wenn sich juristische Schwierigkeiten auftun sollten. Impfpflicht ja, sagen beide, wenn die Lage so bleibt oder sich noch weiter verschärft. Allerdings befürwortet der eine spürbare, direkte, auch finanzielle Konsequenzen für Impfverweigerer, der andere lediglich indirekte.

Die Impfpflicht ist ein heisses Eisen, das vor der hiesigen Abstimmung zum Covid-19-Gesetz niemand hatte anfassen wollen. Wie lauten Ihre Voten?

Christoph Rehmann-Sutter: Aus der Verantwortung für andere Menschen heraus gedacht, gibt es eine moralische Impfpflicht. Wir sind ihnen gegenüber verpflichtet, sie vor Gefahren zu schützen. Und das können wir am besten mit dem Impfen. Ich bin aber nicht für Impfzwang, sondern für spezifische Pflichten. Damit meine ich: Ich begrüsse Tätigkeits- und ortsbezogene Impfpflichten, also etwa für medizinisches Personal oder für den Besuch kultureller oder sportlicher Veranstaltungen, Restaurants etc. – überall dort, wo sonst viele andere Menschen gefährdet würden. Das ist 2-G. Bei dieser Art der Impfpflicht braucht es keine Bestrafung ausser der De-facto-Strafe, weil man von bestimmten Dingen ausgeschlossen wird, eventuell sogar seinen Arbeitsplatz verliert.

Nikolaus Knoepffler: Auch für mich heisst Impfpflicht keineswegs Zwangsimpfung. Man wird ja auch nicht zwangsweise angegurtet im Auto. Aber als die Lage sich vor zwei Wochen aufs Neue zugespitzt hat und man die Präsenzlehre wieder kippte, wurde mir klar, dass die moralische Impfpflicht allein leider nicht reicht. Alle Appelle, alle Impfanreize führen nicht zur nötigen Impfquote. Und eine zahnlose Pflicht bringt nichts – ist keine Pflicht. Daher lautet mein ethischer Vorschlag: Impfgegner sollen die Konsequenzen ihres Verhaltens direkt spüren. Zum Beispiel sollen sie sich bei einer Covid-19-Erkrankung an den Behandlungskosten beteiligen. Oder: Impfunwillige unterschreiben eine Patientenverfügung, dass sie auf die Intensivpflege im Covid-Fall verzichten. Oder: Angesichts der Tatsache, dass Corona den Staat so viel kostet, zahlen sie grundsätzlich eine Extrasteuer für Ungeimpfte oder einen Extrazuschlag bei der Krankenkasse.

Ist eine Impfpflicht nicht unethisch, freiheitsberaubend – und gar eine Gefahr fürs Solidaritätsprinzip: Werden Übergewichtige, Raucherinnen und Bewegungsmuffel auch bald haftbar gemacht im Krankheitsfall?

Knoepffler: Ein klassischer Fehlschluss! Adipöse bringen nicht das Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenzen, sind auch nicht ansteckend. Was während der Pandemie geschah, ist eine absolute Ausnahme: viele Tote, Lockdowns, zerstörte Existenzen, geschlossene Schulen, traumatisierte Kinder. Da gehts um die Gesundheit und Freiheit der meisten. Ausserdem spielt zumindest in Deutschland die Idee der Mithaftung – sogar in gesellschaftlich irrelevanten Fällen: So müssen, Stichwort Gurtpflicht, unangeschnallte Unfallopfer einen Teil der Krankenhauskosten übernehmen, und Versicherungen haben ein Regressrecht.

Rehmann-Sutter: Ich sehe keine ethischen Gründe, Impfpflichten abzulehnen. Die anderen Menschen in der Familie, in der Gesellschaft sind auf eine hohe Impfquote angewiesen – zunehmend. Nicht nur Vulnerable sind durch Ungeimpfte gefährdet, sondern alle, weil das Virus sich ständig weiterentwickeln und übertragen kann und alles lähmt. Jeder ist mitverantwortlich, denn fast keiner lebt als Einsiedler. Für mich spricht lediglich ein pragmatischer Grund gegen ein allgemeines strafrechtlich oder bussentechnisch relevantes Impfgebot: nämlich der, dass so etwas kontraproduktiv sein könnte. Die Leute mit Vorbehalten gegen die Impfung würden sich noch mehr in die Ecke gedrängt fühlen und Schlupflöcher suchen. Vergessen wir nicht: Manche haben gleichfalls moralische Gründe für ihre Verweigerung, wenn auch aus meiner Sicht vielleicht verschrobene. Zudem darf man die vielen verschiedenen Gruppen nicht in einen Topf werfen.

«Es hätte mich überrascht, wenn die Schweiz als Pionierin einer Impfpflicht vorangeschritten wäre.»

Nikolaus Knoepffler

Beruht diese Verweigerungshaltung auf dem helvetischen Charakter, wie es öfters heisst?

Knoepffler: Die viel zitierte Sache mit der alpenländischen Widerständigkeit halte ich für ein dummes Vorurteil, auch wenn besonders in Bayern, Österreich und der Schweiz eine Impfverweigerung gepflegt wird. Was aber sicher stimmt: Die Schweiz hat eine viel längere Freiheitstradition als Deutschland oder Österreich. Es hätte mich überrascht, wenn ausgerechnet die Schweiz als Pionierin einer Impfpflicht vorangeschritten wäre.

Rehmann-Sutter: Dem stimme ich zu. Es gibt ja Impfskepsis in fast allen Ländern, nicht nur in der Schweiz. Es gab sie, seit es überhaupt Impfungen gibt. Man müsste aus diesen früheren Erfahrungen, die übrigens gut dokumentiert sind, lernen, wie man heute besser miteinander kommunizieren könnte. Ein wichtiger Faktor in verschiedenen Ländern ist das fehlende Vertrauen in Medizin und Behörden. Es nützt daher nichts, wenn diese immer dasselbe nochmals sagen, einfach immer lauter. Dadurch entsteht keine Solidarität. Man müsste vielmehr versuchen, Vertrauen zu schaffen. Dazu muss man auch Ängste ernst nehmen. Man muss Dialoge führen mit Menschen, die andere Erfahrungen haben – ohne damit den rechten Parteien in die Hände zu arbeiten.