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Immo-Königin im Interview
Verschärfen Sie mit Ihren Business-Apartments die Wohnungsnot, Frau Graf?

Anja Graf, CEO Visionapartments fotografiert am Firmensitz in Zuerich.
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Sie gehört zu den schillerndsten Wirtschaftsfrauen der Schweiz. Anja Graf, 46, brach mit 17 das Gymnasium ab, führte eine Modelagentur und gründete mit 21 ihre Immobilienfirma Visionapartments, die heute 2500 Businesswohnungen vermietet, davon über tausend in der Region Zürich. Zurzeit steht sie wieder als Investorin in der Start-up-Sendung «Die Höhle der Löwen» auf dem Privatsender 3plus im Scheinwerferlicht.

Frau Graf, Sie waren vor 25 Jahren selber Start-up-Unternehmerin. Hätten Sie damals bei der «Höhle der Löwen» eine Chance gehabt?

Auf jeden Fall! Wichtig ist, dass man selber von seiner Geschäftsidee überzeugt ist – nur dann kann man auch andere überzeugen. Und das war schon damals eine meiner grossen Stärken.

Hätten Sie überhaupt gewollt, dass ein Investor einsteigt und mitredet?

Das ist die andere Frage. Viele Gründer haben keine Wahl, weil sie Geld brauchen. Ich war nicht darauf angewiesen.

Sie konnten 1998 dank eines Erbvorbezugs Ihr erstes Haus in Zürich kaufen, das Sie dann zu Apartmentwohnungen umbauten.

Ich habe bereits zuvor Geschäfte gemacht. In der Schule bot ich Vorbereitungskurse für die Gymiprüfung an und vermietete Pferdeboxen. Mein erstes Unternehmen war dann eine Modelagentur. Deswegen brach ich das Gymnasium ab. Als mir meine Eltern mit 21 den Erbvorbezug gaben, um das Haus zu kaufen, machte ich bereits 280’000 Franken Umsatz jährlich.

Wie kamen Sie auf die Idee mit den Apartments?

Ich suchte Zimmer für meine Models und Fotografen – also mietete ich kleine Wohnungen und richtete sie als möblierte Apartments ein. Mit der Zeit bekam ich immer mehr Anfragen von Externen, ob sie die Apartments ebenfalls mieten könnten. Da bestand ein riesiger Bedarf. Es kamen Leute von der ABB, der Credit Suisse, der Swissair und anderen Firmen, die von irgendwoher erfahren hatten, dass ich Zimmer vermiete. So merkte ich: Das muss ein Business sein.

Also kauften Sie ein ganzes Gebäude. Was war das für eine Liegenschaft?

Ein Geschäftshaus an der Löwenstrasse in Zürich, sehr zentral. Es hatte zuvor zwei Jahre lang leer gestanden. Die Büros darin baute ich um zu Apartments und Studios im Hotel-Style – ganz ähnlich, wie wir das heute noch machen.

Wissen Sie noch, wie viel Sie für die Liegenschaft bezahlten?

1,9 Millionen Franken. Ich kann mir Zahlen gut merken. Heute würde das Haus mindestens 15 Millionen kosten, ohne jeglichen Umbau.

Sie sind also genau zum richtigen Zeitpunkt eingestiegen.

Anfang der 1990er-Jahre gab es in Zürich eine grosse Immobilienkrise. Die Zinsen schnellten in die Höhe, auf bis zu acht oder neun Prozent. Viele konnten ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen, die Banken blieben auf den Immobilien sitzen. Ich konnte einige Liegenschaften günstig von Banken kaufen.

Trotz der hohen Zinsen?

Als ich einstieg, Ende der 1990er, waren die Zinsen wieder tief. Aber der Immobiliencrash war ein solcher Schock gewesen, dass sich niemand mehr die Finger verbrennen wollte. In jenem Moment waren sehr viele Immobilien auf dem Markt verfügbar.

Und Kunden für solche Apartmentwohnungen gab es genug? Es hatte damals ja noch nicht so viele Expats wie heute.

Das war schon ein Risiko. Aber ich wusste ja, dass die Nachfrage da ist. Innerhalb eines Monats hatte ich das Haus beim Löwenplatz fully booked!

Langfristig?

Damals betrug die durchschnittliche Mietdauer vier Monate, heute ist sie kürzer. Unser Buchungssystem war eine Excel-Tabelle. Wenn etwas frei wurde, machten wir ein Inserätchen in der NZZ. Heute läuft alles digital, die Kunden erhalten keine Schlüssel mehr, sondern einen Zugangscode.

«Wir mussten nie Familien hinausschmeissen – solche Immobilien lehnte ich immer ab.»

Haben Sie eigentlich auch Privatkunden? Zum Beispiel Leute, die nach einer Trennung vorübergehend ein Zimmer brauchen?

Viele sogar. Das ist auch wichtig, um die Risiken zu minimieren. Während der Corona-Zeit zum Beispiel fielen die globalen Firmenkunden komplett weg, dafür hatten wir mehr Private, die nicht in ein Hotel wollten oder sich ein Apartment fürs Homeoffice mieteten. Zu den schlimmsten Corona-Zeiten betrug unsere Auslastung noch immer hervorragende 60 Prozent – dank der Privatkunden.

Der Wohnungsmarkt ist heute völlig überhitzt. Profitieren Sie davon?

Das spielt für uns nicht so eine Rolle. Wir kaufen ohnehin nie teure Immobilien. Wenn wir die Preise als zu hoch betrachten, weichen wir in Märkte aus, in denen noch günstige Objekte zu haben sind. In Bukarest zum Beispiel haben wir kürzlich ein Hotel gekauft, das wir zu Apartments umgebaut haben. Wir sind international geworden, das mindert das Risiko.

Sie haben auch Apartments an bester Lage, zum Beispiel am Stauffacher in Zürich.

Das sind alles Häuser, die wir noch zur Krisenzeit Ende der 1990er-Jahre kaufen konnten. Heute wären uns solche zentralen Liegenschaften zu teuer und zu klein. Wenn wir ein Projekt mit einem Totalumbau machen, suchen wir Objekte mit hundert oder mehr Wohnungen. Sonst lohnt es sich nicht.

Businessapartments im Stadtzentrum gelten neben den Airbnb-Wohnungen als Treiber der Wohnungsnot.

Bei uns zielt dieser Vorwurf ins Leere: In den 25 Jahren unseres Bestehens haben wir nie Wohnhäuser gekauft und zu Apartments umfunktioniert. Die Häuser im Zentrum, die wir zur Krisenzeit erwarben, enthielten schon vorher möblierte Einzimmerwohnungen oder waren Geschäftsliegenschaften. Wir mussten also nie Familien hinausschmeissen – solche Immobilien lehnte ich immer ab.

Was ist mit Ihren neuen Apartments?

Wir kaufen fast nur noch Häuser in Gewerbezonen oder alte Hotels, die wir dann umbauen. Das heisst, wir schaffen Wohnraum, nehmen keinen weg. Das ist nicht wie bei den Airbnb-Wohnungen, die dem normalen Mietmarkt entzogen werden.

Bei den meisten Ihrer Häuser hätte man doch auch normale Mietwohnungen einbauen können statt möblierte Apartmentzimmer.

In 90 Prozent unserer Liegenschaften wäre das nicht möglich. Entweder weil sie in der falschen Zone stehen oder weil sie baulich für eine Umnutzung nicht geeignet wären.

Weshalb nicht geeignet?

Wenn Sie als Single eine Einzimmerwohnung suchen, wollen Sie trotzdem 35 Quadratmeter, eine richtige Küche und wenn möglich auch einen Balkon. Das geht in unseren Liegenschaften nicht. Die Zimmer sind zum Teil nur 15 Quadratmeter gross, es hat oft nur Platz für eine Kochnische ohne Backofen, meistens fehlt ein Aussenbereich. Für temporäre Aufenthalte ist das zweckmässig, aber nicht, um langfristig da zu wohnen.

«Als die Zinsen tief waren, konnte man sehr schöne Renditen erwirtschaften. Jetzt ist das kaum mehr der Fall.»

Was wäre Ihre Lösung, um die Wohnungsnot in den Städten zu mindern? Macht die Politik das Richtige?

Wir haben viele Häuser in Genf. Dort sehen wir, was der Staat alles falsch machen kann. Wenn Sie eine Wohnung umbauen oder renovieren, schreibt Ihnen der Staat für die nächsten fünf Jahre den Mietpreis vor. Dasselbe, wenn Sie neu bauen. Mit dem Resultat, dass niemand mehr renoviert oder baut. Mit dem staatlich aufgedrückten Mietpreis kann man oft nicht einmal mehr die Hypothekarzinsen bezahlen. Im Vergleich dazu ist Zürich geradezu liberal, deshalb wird hier auch mehr Wohnraum geschaffen.

SP-Wohnexpertin Jacqueline Badran wird nicht müde zu betonen, Immobilienbesitzer würden sich mit zu hohen Renditen illegal bereichern.

Als die Zinsen tief waren, hatte sie wohl recht, da konnte man sehr schöne Renditen erwirtschaften. Jetzt, da sich die Zinsen normalisieren, ist das kaum mehr der Fall. Es gibt aber sicher Ausnahmen. Auch ich finde es stossend, wenn jemand ein Mehrfamilienhaus kauft, alle bestehenden Mieter rausschmeisst, um die Wohnungen nach der Renovation viel teurer weiterzuvermieten. Die grosse Mehrheit der Immobilienbesitzer erzielt aber keine überrissenen Renditen.

Seit einigen Jahren sind Sie bei der «Höhle der Löwen» dabei. Welches war bisher Ihre beste Investition?

Es gibt einige Start-ups, die auf gutem Weg sind: zum Beispiel My Camper, eine Vermittlungsplattform für Campingbusse. Die planen sogar einen Exit, also einen Verkauf, das wird sicher interessant. Meine Lieblingsfirma ist Refluenced, ein Tool für Influencer-Marketing. Dort habe ich 200’000 Franken investiert. Die Firma expandiert jetzt nach Deutschland und hat weitere Investoren an Bord geholt. Das Potenzial ist riesig.

In der deutschen Version von «Höhle der Löwen» gibt es Investoren, die nur investieren, wenn sie dafür mindestens 20 Prozent des Firmenwerts erhalten. Sonst lohne sich das Engagement nicht. In der Schweiz geht es oft nur um wenige Prozente – das ist doch ein Witz.

Das stört mich auch. Ich bin kein Freund von Minibeteiligungen. Das Problem ist, dass viele Start-ups die Sendung auch als Werbeplattform nutzen und nicht so erpicht darauf sind, ausschliesslich neue Teilhaber zu finden, die sich dann auch aktiv einbringen.

Sie müssen in der Sendung ziemlich schnell über ein Investment entscheiden – haben Sie auch schon Geld verloren?

Nicht viel. Natürlich laufen einige Start-ups besser, andere stagnieren – einen Konkurs mit einem Totalausfall habe ich aber noch nie erlebt. Bei einigen Start-ups wäre ein Konkurs vielleicht sogar besser, aber weil die Fixkosten tief sind, machen die Gründer weiter, selbst wenn die Ertragslage und die Perspektive nicht gut sind.

Diesen Investoren müssen sich die Start-up-Gründer in «Die Höhle der Löwen» stellen.

Die Schweizer «Löwen» sind sehr zahm. Letztes Mal kam jemand, der für ein Prozent seiner Firma eine Million Franken wollte. Jemand, der so unverschämt auftritt, sollte man doch in hohem Bogen rausschmeissen.

Stimmt. In solchen Fällen Klartext zu reden, war jeweils die Rolle von Jürg Marquard. Er fehlt uns allen.

Ob Sie investieren oder nicht, hängt bei Ihnen nicht nur von der Businessidee ab, sondern auch von menschlichen Faktoren: Sie sind immer skeptisch, wenn ein Gründer-Paar auftritt, das privat liiert ist.

Wir sind alle sehr unterschiedliche Investoren-Typen. Ich oder früher auch Jürg Marquard sind Self-made-Unternehmer, wir vertrauen auf unsere Erfahrung und unseren Instinkt. Andere Investoren mit abgeschlossenem Studium, die HSG-Typen, entscheiden vielleicht anders. Aber ja, ich finde es nicht ideal, mit einem Paar zusammenzuarbeiten. Es ist bei Meinungsunterschieden nicht angenehm, zwei gegen sich zu haben, die nur darum zusammenhalten, weil sie aus privaten Gründen loyal sein müssen.

Sie haben vier Kinder von drei Vätern. Ich habe einmal gelesen, dass alle drei Väter bei Ihnen in der Firma arbeiten.

Es sind nur noch zwei in der Firma. Wir sehen uns geschäftlich nicht oft, jeder hat seinen Bereich, wir sind auch geografisch getrennt. Das funktioniert gut. Wir sind ja auch keine Start-up-Firma mehr.

«Ich kann dieses Familienmodell nur weiterempfehlen.»

Trotzdem vermischen auch Sie Privates und Geschäftliches.

Täglich zusammenarbeiten ginge tatsächlich nicht. Doch einer macht Bauprojekte und ist immer unterwegs, der andere ist Manager in Genf. Wir sehen uns häufiger an Familientreffen als im Geschäftsalltag.

Chefin einer Firma mit über 300 Mitarbeitern zu sein und zugleich Mutter von vier Kindern mit drei Vätern, stelle ich mir kompliziert vor. Der Koordinationsaufwand muss riesig sein.

Im Gegenteil! Eine solche Konstellation hat viele Vorteile, gerade aus Sicht der Frau. Ich bin in der Firma der Chef, kann also entscheiden, wann die Väter Ferien nehmen, um mit den Kindern wegzufahren. Nichts geht ohne meine Einwilligung. Im Ernst: So wie wir das machen, ist es tatsächlich einfacher, als wenn ein Vater andernorts einen stressigen Job hat und während der Schulferien nicht freinehmen kann, wenn ich geschäftlich etwas Wichtiges zu tun habe.

In Politik und Medien herrscht immer noch die Meinung, Frauen seien benachteiligt. Wie sehen Sie das? Haben Sie den Frauenstreik unterstützt?

Bei der Schwangerschafts- und der Kinderpolitik gibt es tatsächlich noch einiges zu tun. Wenn sich die Frau in der Schwangerschaft oder nach Ende des 14-wöchigen Mutterschaftsurlaubs krank meldet, geht das auf Kosten der Firma. Dies gibt Firmen einen Anreiz, Männer zu bevorzugen. Auch bei der Kinderbetreuung ist noch nicht alles perfekt. Aber grundsätzlich glaube ich nicht, dass Frauen in unserer Gesellschaft benachteiligt sind. Eine Frau kann genauso erfolgreich sein wie ein Mann. Aber viele Frauen emanzipieren sich selber nicht.

Wie meinen Sie das?

Sie übernehmen in der Familie am Ende häufig die ganze Betreuung und den Haushalt, statt dass sie den Vater in die Pflicht nehmen. Das kann man nicht beseitigen, indem man demonstrieren geht – man muss sich zu Hause besser durchsetzen.

Sie haben früh Kinder bekommen.

Das erste hatte ich mit 25. Das war ein bewusster Entscheid. Hinausschieben bringt nichts. Es wird ja nicht besser, wenn man sagt, man wolle bis 40 die Firma aufbauen und sich erst nachher um die Kinder kümmern. Da macht man lieber alles miteinander. Aber klar, eine solche Entscheidung braucht Überwindung.

Hat es sich bewährt?

Auf jeden Fall. Vor allem später, als noch mehr Leute in die Familie kamen und wir die Betreuungsarbeit besser aufteilen konnten. Manchmal ging ein Vater mit allen in die Ferien, das gab mir etwas Luft. So haben wir uns gegenseitig unterstützt.

Ein Vater nahm alle Kinder mit, auch die der anderen Väter?

Ja, das kam ab und zu vor.

Das ist ja perfekt.

Das finde ich auch. Ich kann dieses Familienmodell nur weiterempfehlen.

In «Die Höhle der Löwen» stellen Start-up-Gründer fünf potenziellen Investoren («Löwen») ihre Geschäftsidee vor. Ausstrahlung: dienstags, 20.15 Uhr, auf dem Privatsender 3plus.