Der nächste Schweizer GegnerDie Ukraine im Corona-Trubel: Ist es das noch wert?
Am Dienstag spielt die Schweiz gegen die Ukraine. Kaum eine Nation hat im Fussball so sehr mit Coronafällen zu kämpfen wie die Osteuropäer. Von Absagen will der Verband aber nichts wissen.
Es lag am Sonntag immerhin kein Nebel über Leipzig. Andernfalls hätte man sich das Setting, das der Trainer der ukrainischen Nationalmannschaft, Andrij Schewtschenko, in der Nacht zuvor entworfen hatte, auch als Agententhriller vorstellen können. Kurz nach dem 1:3 gegen die Deutschland kündigte er fast beiläufig an, dass eine Art Befreiungskommando unterwegs sei: Ein Flugzeug werde aus Kiew kommen und die fünf Delegationsmitglieder zurück in die Ukraine bringen, die sich wegen Corona in Isolationshaft befanden – in einem Leipziger Fünf-Sterne-Hotel zwar, aber lästig ist Einzelzimmerhaft auch dort. Wer weiss, ob sich Schewtschenko nicht auch fragte, ob es das alles wert war? Ob das Spiel überhaupt hätte gespielt werden dürfen?
Schewtschenko, 44, sah abgekämpft aus, als er die virtuelle Pressekonferenz abhielt, es seien «nervenaufreibende» und «anstrengende» Stunden gewesen. Obwohl die Situation nicht völlig neu war. Keine Fussballnation der Welt habe so sehr mit Corona zu kämpfen gehabt wie seine, immer wieder hatte er in der Aufstellung improvisieren müssen. Die Ukraine ist in den letzten Wochen zu einer Art Coronameister geworden: Anfang Oktober musste Schewtschenko in Frankreich auf acht Spieler verzichten – und den Torwarttrainer in den Kader befördern, einen 45-Jährigen.
Und Anfang November trat Dynamo Kiew in der Champions League ohne neun Spieler beim FC Barcelona an. Das wiederum war just in den Stunden, da bei Real Madrid die Alarmglocken schrillten, weil Verteidiger Éder Militão ebenfalls wegen Corona aus dem Verkehr gezogen werden musste – und sich so mancher daran erinnerte, dass der ukrainische Meister Schachtjor Donezk zwei Wochen zuvor ersatzgeschwächt bei Real Madrid angetreten war, nach knapp einem Dutzend positiver Fälle (aber trotzdem 3:2 siegen konnte).
Seither macht das Virus bei Real die Runde: Eden Hazard und Casemiro konnten nicht zu den Nationalteams Belgiens und Brasiliens reisen. Bei Real will man nicht einmal hinter vorgehaltener Hand über den Ursprung der Erkrankungen spekulieren. Sondern verweist auf die gleichen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die auch Tim Meyer, der deutsche Teamarzt, am Samstag verbreitete: «Während des Spiels ist die Ansteckungsgefahr ohnehin deutlich geringer als im Umfeld.»
Tiefer bohren? Unmöglich
Meyer sprach, nachdem die Austragung der Nations-League-Partie der Ukraine in Leipzig gesichert war. Dafür fundamental war die Entscheidung der örtlichen Gesundheitsbehörde, nur für die fünf positiv getesteten Ukrainer (vier Spieler, ein Betreuer) Quarantänemassnahmen anzuordnen. Zuvor waren die Ausgemusterten befragt worden, ob sie bei der Anreise mit Flugzeug oder Bus oder im Training mit weiteren Personen in Direktkontakt gestanden hatten – sprich: Ob es «Face-to-face»-Begegnungen gab, die zehn, fünfzehn Minuten oder länger dauerten. Die Antwort habe, potzblitz, durchweg «Njet!» gelautet. Tiefer bohren? Unmöglich.
«Das Gesundheitsamt hat keinerlei polizeiliche Befugnisse», erklärte Matthias Hasberg, Sprecher der Stadt Leipzig. Daher: Im Zweifel für den Infizierten. «Wir gehen davon aus, dass der ukrainische Verband ein Eigeninteresse hat», führte Hasberg aus: «Im Zweifelsfall geht es um die Gesundheit seiner Spieler, die er nicht aufs Spiel setzen möchte. Daher gehen wir davon aus, dass er uns die Wahrheit sagt.» Die Ukraine ist nun weitergereist, am Dienstag trifft sie auf die Schweizer Nationalmannschaft und spielt dort um den Abstieg.
«Keine Zuschauer – keine Gefahr»
Bestätigt ist: Alle Spieler, die im Kader blieben, wurden am Samstag negativ getestet. Das bedeutete, dass die Partie nicht mangels Spielern abgesagt werden musste, der Europa-Verband Uefa fordert: 13 einsatzfähige Kicker inklusive Torwart. «Wir sind natürlich froh, dass wir spielen können», hatte schon der deutsche Teammanager Oliver Bierhoff vor Anpfiff der Partie gesagt. Bundestrainer Joachim Löw ging später sogar noch weiter: «Wir vom DFB haben nicht die Möglichkeit, ein Spiel abzusagen. Das liegt nicht in unserer Gewalt.»
Das war bemerkenswert. Denn was wirklich jenseits des juristisch Möglichen war, das war eine Absage durch die örtlichen Behörden, die den Ukrainern bei der Kontaktaufnahme nur ein paar freundliche Fragen stellen konnten. Eine Absage wäre nur rechtens gewesen, wenn die öffentliche Gesundheit gefährdet gewesen wäre, sagte Leipzigs Stadtsprecher Hasberg: «Das ist aber in einem leeren Stadion nicht der Fall. Keine Zuschauer – keine Gefahr.» Die blosse Austragung eines Profispiels ist wegen der bislang funktionierenden Hygienekonzepte des für die Länderspiele zuständigen Deutschen Fussball-Bundes (und in der Bundesliga von der Deutschen Fussball Liga) erst einmal kein Problem.
Eine Absage wäre gleichwohl möglich gewesen. Der DFB war Veranstalter, die Uefa der Ausrichter – die Party, zu der die Verbände vor leeren Rängen geladen hatten, hätte storniert werden können. Das wäre natürlich nicht gratis zu organisieren gewesen. Löws Team hätte unter Umständen die Nations-League-Punkte verloren, die sie gegen die Ukraine auf dem Rasen gewannen (bei einer schuldhaften Absage wird ein Spiel mit 3:0 für den Gegner gewertet). Und Millionen Euro an Einnahmen wären futsch, die daran gekoppelt sind, dass das Spiel im Fernsehen läuft.
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