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Wegen gestohlenen Schmucks
Deutsche Unternehmerin zofft sich mit Gstaader Luxushotel

 Ein Ort für Gäste mit gehobenen Ansprüchen: Das Le Grand Bellevue in Gstaad.
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Über die Ostertage publizieren wir aufsehenerregende Texte der letzten Monate nochmals. Dieser Artikel erschien erstmals am 13. Februar 2023.

Das Le Grand Bellevue in Gstaad ist eine der exklusivsten Adressen in der internationalen Hotellerie. Das 5-Stern-Superior-Hotel bietet alles, was sich ein Gast mit gehobenen Ansprüchen wünschen kann: einen 3000 Quadratmeter grossen Spa-Bereich, ein Restaurant mit 16 «Gault Millau»-Punkten, einen Weinkeller mit über 9000 Flaschen zur Auswahl sowie zahlreiche weitere Goodies, vom hauseigenen Coiffeur bis zum persönlichen Fitnesstrainer. Wer im Le Grand Bellevue übernachten will, der braucht das entsprechende Budget. Das günstigste Zimmer für eine Übernachtung gibt es ab 650 Franken – in der Nebensaison wohlverstanden.

Die deutsche Unternehmerin Adriana von Baillou gönnte sich diesen Luxus Ende August 2016, als sie für ein verlängertes Wochenende im Prachtbau am Gstaader Dorfeingang residierte. Der tiefe vierstellige Betrag, der für den dreitägigen Aufenthalt fällig wurde, ist rückblickend jedoch kaum noch der Rede wert. Viel mehr ins Gewicht fallen die Kosten, die nach dem Kurzurlaub anfielen. 

Das Gstaader Luxushotel gehört dem Schweizer Milliardär Rudolf Maag und dessen Schwiegersohn Daniel Koetser.

Rund 18’000 Franken musste von Baillou bisher für ihren Rechtsstreit mit dem Fünfsternhaus berappen. Das geht aus dem jüngsten Urteil des Berner Obergerichts hervor, das sich im November 2022 über den verworrenen Fall beugen musste.

Hinzu kommt der Wert, um den es eigentlich geht: Von Baillou ist Schmuck abhandengekommen – gemäss ihren Angaben in der Höhe von 16’510 Franken. Diesen Betrag will sie vom Le Grand Bellevue vollumfänglich zurückerstattet haben. Die deutsche Unternehmerin wurde während ihres Aufenthalts nämlich Opfer eines Diebstahls. Was genau war passiert?

Verhängnisvoller Spa-Besuch

Am Freitagabend des 19. August 2016 findet im Yacht Club Gstaad, der sich gleich neben dem Le Grand Bellevue befindet, eine Party statt. Von Baillou ist geladener Gast. Kurz nach Mitternacht kehrt sie in ihr Hotelzimmer zurück. Das zeigt die elektronische Auswertung der Schlüsselbewegungen ihres Zimmers. 

Die nächste Registrierung findet erst Stunden später statt. Um 10.51 Uhr verschafft sich der Zimmerservice Zugang zu Adriana von Baillous Gemächern. Diese weilt zu diesem Zeitpunkt beim Frühstück. Mit ihrem Schlüssel wird erst um 12.14 Uhr die nächste Bewegung registriert.

Ob sie zu diesem Zeitpunkt die Tür damals abschloss – wie von Baillou behauptet – oder wiederum öffnete, lässt sich nachträglich nicht mehr genau eruieren. Diesen Unterschied erkennt das Auswertungssystem nicht. Und das ist ein entscheidendes Detail.

Unbestritten ist nämlich, dass von Baillou zur besagten Mittagszeit den Spa-Bereich aufsuchte. Dieser steht nicht nur Hotelgästen, sondern auch Dritten offen. Und ausgerechnet dort verschaffte sich um 12.24 Uhr auch der Dieb Zugang zum Gebäude. Der aus Frankreich stammende Mann war laut den Gerichtsakten «adrett gekleidet» – das zeigen die Aufnahmen der Überwachungskameras. Die Hotelangestellten konnten aufgrund seines Äusseren also nicht darauf schliessen, dass der Mann in diesem noblen Setting ein Fremdkörper war.

An der Réception beim Spa-Bereich hinterliess Adriana von Baillou ihren Schlüssel. Sie behauptet, er sei vom Dieb dort entwendet worden.

Vom Spa-Bereich drang er direkt in den Hotelbereich vor, wo er kurz darauf das Zimmer von Adriana von Baillou betrat. Diese hatte ihre Schmuckstücke nicht im dafür vorgesehenen Tresor verstaut, sondern in einer Louis-Vuitton-Tasche im Einbauschrank.

Den Schmuck räumte der Dieb aus der Tasche und verliess damit das Hotel um 12.38 Uhr, wiederum durch den Spa-Bereich. Dass sie Opfer eines Verbrechens geworden war, erfuhr von Baillou erst Stunden später, als sie um 16.12 Uhr in ihr Zimmer zurückkehrte.

Eine Frage der Mitschuld

Diebstähle in Schweizer Hotels sind keine Seltenheit. In den allermeisten Fällen ist es allerdings der Gast, der etwas mitgehen lässt. Beliebt sind Handtücher, Bademäntel oder Kleiderbügel. Ein statistischer Überblick, wie viele Wertsachen aus Hotels gesamthaft entwendet werden, liegt laut dem Branchenverband Hotelleriesuisse nicht vor.

«Es kommt sicher häufig vor, dass Gäste im guten Glauben Sachen mit nach Hause nehmen», sagt Vinzenz van der Berg, Sprecher von Hotelleriesuisse. Gäste hätten selbstverständlich während ihres Aufenthalts Anspruch darauf, alles zu nutzen, was im Zimmer zur Verfügung stehe. «Grundsätzlich gilt jedoch auch die Mitnahme von Verbrauchsartikeln wie Seifen, Kugelschreibern oder Shampoos nach dem Aufenthalt rechtlich als Diebstahl», so van der Berg. 

Viel seltener kommt es hingegen vor, dass Gäste von Dritten während ihres Aufenthalts bestohlen werden. Was passiert, wenn beispielsweise die Skischuhe am nächsten Morgen nicht mehr im Skiraum liegen, ist jedoch gesetzlich geregelt. «Trifft den Hotelier ein Verschulden, wenn der Skiraum beispielsweise nicht abgeschlossen war, haftet er vollumfänglich», so van der Berg. «Trifft ihn kein Verschulden, dann haftet er bis zu einem Betrag von 1000 Franken.»

Tür war «wahrscheinlich» offen

Ob ein Mitverschulden des Hotels vorliegt, ist auch im Fall Le Grand Bellevue vs. Adriana von Baillou von entscheidender Bedeutung. Die Pauschalentschädigung von 1000 Franken für ihren erlittenen Schaden steht der deutschen Personalberaterin zweifellos zu – das streitet auch das Hotel nicht ab. Für eine Haftung, die über diesen Betrag hinausgeht, müsste aber ein Fehlverhalten des Gastbetriebs vorliegen. 

Von Baillou sieht diese Mitschuld als gegeben. Sie behauptet, dass sie das Zimmer vor dem verhängnisvollen Spa-Besuch abgeschlossen habe. Ihre Rekonstruktion des Vorfalls: Der Dieb betrat den Eingang des Spa-Bereichs, entdeckte dort in der Réception den Schlüssel, den sie zuvor bei einer Spa-Mitarbeiterin abgegeben hatte, verschaffte sich damit Zugang zu ihrem Zimmer und legte nach der vollendeten Tat den Schlüssel wieder zurück.

Vom Spa-Eingang verschaffte sich der Dieb Zugang zum Innern des Hotels. 

Nach dem Regionalgericht Oberland kam nun allerdings auch das Berner Obergericht zum Schluss, dass sich dieses Drehbuch ziemlich sicher nicht so zugetragen hat. Die Tür des Zimmers sei «wahrscheinlich» nicht abgeschlossen gewesen, schreibt das Gericht in seinem Urteil. Gegen von Baillous Darstellung spreche der zeitliche Ablauf sowie eine weitere Schlüsselbewegung, die nötig gewesen wäre, um die Zimmertür kurz nach 12.14 Uhr ein weiteres Mal zu öffnen. Dafür, dass die Auswertung der Schlüsselbewegungen fehlerhaft sei, wie von Baillou insinuiert, gebe es keinerlei Anzeichen.

Der Dieb wurde gefasst 

Auch wenn der Diebstahl für das Le Grand Bellevue kein Ruhmesblatt ist, sieht das Obergericht beim Hotel keinerlei Mitschuld. Die Sicherheitsvorkehrungen seien ausreichend gewesen. Dass auch Nicht-Hotelgäste das Gebäude beträten, liege auf der Hand, weil gewisse Bereiche öffentlich zugänglich seien. Von Baillous Klage wurde deshalb wiederum abgewiesen.

Das Fünfsternhaus habe den Vorfall insgesamt «vorbildlich» gehandhabt, folgert das Obergericht. Die Auswertung der Überwachungskamera sorgte später sogar für einen Fahndungserfolg. Der Mann aus Frankreich versuchte, seinen Coup in Gstaad nämlich ein Jahr später zu wiederholen. Dieses Mal geriet er jedoch in die Fänge der Sicherheitskräfte des Hotels.

Er wurde im November 2017 vom Regionalgericht Oberland wegen mehrfachen Diebstahls verurteilt – einer davon zum Nachteil von Adriana von Baillou. Das Gericht beurteilte den Wert der abhandengekommenen Schmuckstücke der Deutschen jedoch als deutlich geringer als sie selbst. Statt auf 16’510 Franken schätzen die Oberländer Richter die Wertstücke bloss auf 6200 Franken.