Prozess gegen Aktivistin in UngarnEine Italienerin wird vorgeführt wie ein gefährliches Tier
Die Mailänder Aktivistin Ilaria Salis soll zwei Neonazis verletzt haben. Bilder von ihrem ersten Prozesstag empören Italien – und zwingen dessen Regierung, beim verbündeten ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zu protestieren.
Als wäre sie ein Hund! So oder ähnlich klingt in Italien der Aufschrei über Bilder aus einem Gerichtssaal in Budapest. Am Montag dieser Woche wurde die italienische Lehrerin Ilaria Salis an ihrem ersten Prozesstag von den Justizbehörden des osteuropäischen Landes gedemütigt. Zwei maskierte, mit schusssicherer Weste bekleidete Mitglieder einer Spezialeinheit bringen die 39-Jährige vor das Gericht. Hände und Füsse der Angeklagten bleiben während der dreistündigen Sitzung gefesselt, und zusätzlich wird sie an einer Leine geführt, die an einer um ihren Bauch geschlungenen Manschette befestigt ist. Einmal zoomt eine Kamera auf Salis’ Hände. Man sieht Schürfungen, die von den Handschellen stammen.
Ein Kommentator der italienischen Zeitung «La Stampa» schreibt unter dem Titel «Man behandelt sie wie ein Tier», die Bilder seien nicht nur für die angeklagte Frau eine Demütigung, sondern für ganz Italien und die übrige EU.
Jährlich versammeln sich in Budapest am 11. Februar Neonazis aus ganz Europas, um den sogenannten «Tag der Ehre» zu feiern. Sie gedenken dabei der erfolglosen Versuche von SS-Verbänden und ungarischen Truppen, 1945 den sowjetischen Belagerungsring um die ungarische Hauptstadt zu durchbrechen. 2023 kam es bei den Feiern zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit linken Gegendemonstranten. Die antifaschistische Aktivistin Ilaria Solis ist angeklagt, zwei Neonazis angegriffen und verletzt zu haben. Beide Geschädigten haben allerdings darauf verzichtet, Klage zu erheben. Laut italienischen Medienberichten sind sie binnen weniger Tage von ihren Verletzungen genesen.
Gehört sie zur Hammerbande?
Die ungarische Staatsanwaltschaft wirft Salis und zwei Deutschen vor, in Tötungsabsicht gehandelt zu haben. Ausserdem gehöre sie zur linksextremen deutschen Hammerbande, deren Mitglieder dafür bekannt sind, mit Hämmern und Stöcken auf die Schädel oder die Sprunggelenke von Neonazis einzuprügeln. Salis leugnet nicht, an der Demonstration gegen die SS-Nostalgiker teilgenommen zu haben. Sie bestreitet jedoch, jemanden angegriffen zu haben. Und sie gehöre auch nicht zur Hammerbande.
Roberto Salis, der Vater der Demonstrantin, hat in italienischen Medien mehrmals die unmenschlichen Bedingungen beklagt, unter denen seine Tochter seit ihrer Verhaftung im Februar 2023 in einem Hochsicherheitsgefängnis festgehalten werde: Eine winzige Einzelzelle, wochenlang dieselbe Kleidung und Unterwäsche, Bettwanzen, Ratten. Und sieben Monate lang keinerlei Kontakt zu ihren Eltern. In einem Interview mit der italienischen Zeitung «La Repubblica» sagte der 64-jährige Ingenieur aus Mailand im Dezember, er habe zweimal die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni, ausserdem den Aussenminister sowie die Präsidenten der beiden Parlamentskammern gebeten, bei den ungarischen Behörden gegen die erbärmliche Behandlung seiner Tochter zu protestieren.
Das Resultat der väterlichen Interventionen war bis zu Beginn dieser Woche null. Unter dem Eindruck der Bilder aus dem Gerichtssaal sieht sich nun Melonis Regierung jedoch gezwungen, ihre Haltung zu ändern. Ungarns Botschafter in Rom ist ins Aussenministerium zitiert worden, der italienische Vertreter in Budapest hat bei der Regierung protestiert. Und Italiens Aussenminister Antonio Tajani hat Ungarn auf X (vormals Twitter) aufgefordert, sich an die in der EU geltenden Regeln zu halten. Der Fall ist politisch heikel, weil sich Giorgia Meloni und der ungarische Autokrat Viktor Orban politisch und persönlich nahestehen. Für italienische Oppositionelle ist dies der Grund, weshalb die einheimischen Behörden bisher nichts unternommen haben.
Die ungarische Staatsanwaltschaft hat am Montag 11 Jahre Gefängnis für Ilaria Salis gefordert. Der nächste Prozesstag findet erst Ende Mai statt.
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