Interview mit Anju Rupal«Ich will eine Million Mädchen in Indien zur Schule schicken»
Die Schweizer Unternehmerin hat Frauenhäuser geleitet und auf drei Kontinenten Bäume gepflanzt. Mit ihrer Kosmetiklinie Abhati Suisse will sie nun dafür sorgen, dass Familien in Indien der Armut entkommen.
Sie sind als Tochter indischer Eltern in England aufgewachsen und haben später Soziologie und Ethnologie studiert. Wie wurden Sie zur Kosmetikunternehmerin?
Das war ein langer Weg zurück zu meinen Wurzeln. Meine Eltern sind vor meiner Geburt aus Indien nach England emigriert. Sie wollten, dass wir vier Kinder eine gute Ausbildung absolvierten. Mich beschäftigte schon früh die Frage, warum Frauen in vielen Ländern nicht zur Schule gehen, weshalb so viele von ihnen unterdrückt und ausgenützt werden. Ich studierte Soziologie und Anthropologie, um dies besser zu verstehen, und arbeitete in England in Frauenhäusern, um im Kleinen etwas dagegen zu unternehmen.
Später leiteten Sie das Frauenhaus in St. Gallen.
Ich lernte meinen Mann kennen und kam seinetwegen in die Schweiz. Die Leitung des Frauenhauses war eine belastende Aufgabe für eine junge Mutter. Ich ertrug es schwer, mit all diesen Formen von häuslicher Gewalt konfrontiert zu sein und auch selber angegriffen zu werden. Gleichzeitig entdeckte ich in dieser Stelle mein unternehmerisches Talent. Jahr für Jahr brauchte es eine Sonderleistung und viel Überzeugungskraft, um die Finanzierung sicherzustellen.
Danach waren Sie in einer Finanzberatung tätig und lancierten anschliessend einen Onlinedienst, der Singles aufgrund ihrer Körpergerüche zusammenführte. Das klingt nicht danach, als hätten Sie einen Plan gehabt für Ihr Berufsleben.
Ich bin eher Zufällen gefolgt und habe auf diesem Weg viel darüber gelernt, was mich nicht erfüllt oder was ich nicht gut kann. Die Finanzberatung war nicht meine Welt, da fehlte mir der höhere Sinn. Das Matching-Tool auf der Basis einer Pheromon-Analyse interessierte mich sehr, aber das Projekt scheiterte, weil Facebook die Algorithmen permanent veränderte und unsere App sich nicht rasch genug anpasste. Es gab noch viele weitere Projekte. Nach der Geburt meiner ersten Tochter habe ich einen Kinderhort eröffnet, später lancierte ich mit IT-Pionieren aus dem Gründungsteam von Xing das Projekt Weforest.org, das dazu geführt hat, dass in Asien, Südamerika und Afrika 25 Millionen Bäume gepflanzt worden sind. Aber erst mit der Lancierung der eigenen Kosmetiklinie Abhati Suisse bekam alles, was ich gesehen und gelernt hatte, einen Sinn und eine Ausrichtung.
«Es kommt darauf an, möglichst viele Mädchen in die Schule zu schicken. Nur wenn das gelingt, entkommen die Familien auf dem Land der Armut.»
Was heisst das?
Ich erinnerte mich an meine erste Indienreise mit 22 Jahren: Obwohl meine Wurzeln in Indien liegen, fühlte ich mich fremd, überfordert und oft beelendet. Die sanitäre Situation auf dem Land war katastrophal, vielerorts gab es keine Toiletten. Als meine Kinder erwachsen waren, wollte ich meine Freiheit nutzen, um etwas dagegen zu tun. 2014 half ich, in einigen Familien Toiletten zu installieren. Ich merkte aber rasch, dass diese kaum benutzt wurden, manche Familien lagerten Nahrungsmittel darin. Da wurde mir bewusst: Das Wichtigste ist, in Bildung zu investieren. Oder konkreter: Es kommt darauf an, möglichst viele Mädchen in die Schule zu schicken. Nur wenn das gelingt, entkommen die Familien auf dem Land der Armut.
Und das gelingt dank Kosmetikprodukten, die Sie in der Schweiz verkaufen?
Genau. Es bringt ja nichts, über den Luxus zu schimpfen, den wir uns hier leisten, während andere zu wenig haben zum Leben. Deshalb gründete ich Abhati Suisse mit dem Ziel, Schönheit, Business und Philanthropie zu vereinen. Kosmetik wird ohnehin gekauft – ich gebe den Kundinnen und Kunden die Möglichkeit, damit etwas Sinnvolles zu unterstützen. Mein Ziel ist es, dank den Erlösen aus der Kosmetiklinie eine Million Mädchen in Indien zur Schule schicken zu können. Bis heute sind es 210’000 Mädchen. Ich kenne die Situation in Indien gut und arbeite dort nur mit staatlich anerkannten Hilfswerken zusammen. So kann ich versprechen, dass jeder Kunde, der eines meiner Produkte erwirbt, ein Mädchen in Indien in die Schule schickt. Das ist sehr viel befriedigender und aufregender, als meine Profite zu optimieren.
Wie haben Sie das Unternehmen finanziert und sich das erforderliche Fachwissen angeeignet, um Shampoos, Lippenbalsam, Bodylotions und Parfüms zu produzieren?
Den Start habe ich über eine Crowdfunding-Plattform finanziert. Da kamen 20’000 Franken zusammen. Und das Schöne an einem philanthropischen Unternehmen ist, dass viele Menschen gerne etwas beisteuern. So habe ich starke Partner gefunden für die Produktentwicklung. Für das Parfüm habe ich auf gut Glück Geza Schön, den bekannten Parfümeur und Erfinder des Dufts «Molecules 01», angerufen. Er lud mich zu sich nach Berlin ein und entwickelte einen wunderbaren Duft für unsere Unisex-Produkte. Fürs Design konnte ich das Hamburger Büro Paperlux Studios gewinnen, das sonst für Kunden wie Hermès oder Daimler arbeitet. Es gab kein einziges Nein, alle Angefragten öffneten ihr Herz und waren bereit, pro bono mitzuwirken.
Im Gegensatz zu anderen Kosmetikanbietern machen Sie keine Werbung. Über welche Kanäle verkaufen Sie die Produkte?
Das meiste über den eigenen Webshop, dazu sind meine Produkte in verschiedenen Boutiquen präsent. Ich spreche an vielen Anlässen darüber, wie mächtig und wichtig soziales Unternehmertum ist. Aber der Bekanntheitsgrad ist noch gering. Ich arbeite deshalb darauf hin, in ein paar grösseren Handelsketten ins Sortiment zu kommen. Nach knapp vier Jahren darf ich mit Abhati Suisse selbstbewusster auftreten. Die Produkte vereinen hochwertige Bio-Inhaltsstoffe aus den Schweizer Alpen und dem Himalaja – jedes trägt meine persönliche Handschrift und bewirkt doppelt Gutes. Die Kosmetikindustrie ist sonst nicht dafür bekannt, ihre Versprechen einzuhalten. Ich kann aber mit reinem Gewissen versprechen, dass all unsere Kunden sich und der Welt etwas Gutes tun.
Das klingt jetzt auch fast wie ein Werbespot.
Wir haben als erstes Schweizer Unternehmen die B-Corp-Zertifizierung erhalten. Sie zeichnet weltweit Unternehmen aus, die stark auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind. Unsere Buchhaltung und unsere Lieferkette sowie die Kooperationen werden regelmässig genau überprüft. Ich kann daher nichts versprechen, was wir nicht einhalten.
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