Folgen von Gehirnerschütterungen«Ich feiere jeden, der zum Psychologen geht»
Die Eishockeyspieler Dino Wieser und Claude Paschoud kämpfen seit eineinhalb Jahren mit Dämonen im Kopf. Und den ständigen Symptomen wie Kopfweh, Augenflimmern, Schwindel.
Wenn Dino Wieser aufbricht, allein, zu Fuss oder auf dem Rad, um wieder einmal eine Tour zu absolvieren oder auf einen der vielen Berge rund um Davos hochzukommen, dann sind sie wieder da, ganz von allein. «Fiese Gedanken» nennt er sie.
Er hätte auch zu Hause bleiben können, mit der Freundin über etwas ganz anderes diskutieren, weil das schön ist und ablenkt. Er hätte auch in die Garderobe zu den Jungs gehen können, sich mit Sprüchen eindecken lassen, sie hätten gemeinsam gelacht, weil das aufmuntert.
Aber in diesen Momenten sucht Wieser die Einsamkeit bewusst. Nicht, weil er genug von allen hat. Sobald aber diese «fiesen Gedanken» da sind, diese ungebetenen Begleiter seiner Verletzung, die ihn immer begleitet und doch nicht recht greifbar ist, beginnt seine Therapie, sein mentales Training. «Ich gehe mit meinen fiesen Gedanken in die Schule, ich will sie einordnen können», sagt er.
Kein Fall ist gleich
Jedem das Seine. In der immer lauter werdenden Welt mit sozialen Medien, in der jeder zu wissen scheint und auch mitteilt, was für andere gut ist, ist es gar nicht so einfach, beim Kampf mit den eigenen Dämonen den eigenen, für sich besten Weg zu gehen. Dabei ist es derart individuell, gerade bei Gehirnerschütterungen. Denn damit fängt es bereits an: Gehirnerschütterung ist nicht gleich Gehirnerschütterung. Fast jeder Patient hat seine eigenen Symptome und Probleme, seine eigenen Sorgen, die er bewältigen muss.
«Du musst egoistisch sein, es geht um dich, um deinen Kopf, du bist niemandem Rechenschaft schuldig.» Das sagt Claude Paschoud, wie sein Davoser Teamkollege Wieser kämpft er seit Dezember 2019 mit den Folgen einer Gehirnerschütterung. Er zog sie sich nicht wie die meisten Eishockeyspieler nach einem Bodycheck zu. Paschoud erhielt einen Schuss ans Ohr, der sein Leben veränderte. Im Gegensatz zu Wieser versuchte er letzte Saison ein Comeback, brach es aber bald wieder ab.
«Du machst deine Lebensqualität jetzt schon kaputt, wenn du daran denkst, dass du mit 60 dement sein könntest.»
Die schlechten Gedanken, sie kommen ganz von allein. Sie zu verdrängen, ist schwierig und vielleicht auch falsch, weil ihre Bewältigung dazugehört auf dem Weg zurück zur Normalität. Einem Leben ohne Kopfschmerzen, Augenflimmern, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, Nackensteife.
Einsamkeit kann helfen, die negativen Gedanken zu konfrontieren. Darüber reden aber auch. Beide möchten dies aber weniger mit ihren Liebsten tun, sondern mit Drittpersonen. Das können Fachleute in der Schulthess-Klinik und ihrem Concussion Center sein, wo die beiden zuletzt regelmässige Besucher waren. Das können aber auch andere Sportler sein, die mit ähnlichen Verletzungen kämpften oder kämpfen.
Ein erster wichtiger Schritt sei, sich einzugestehen, dass man Hilfe brauche, sagt Wieser. Er weiss aus eigener Erfahrung, wie schwierig das ist. Er, heute 32, war in seinen ersten Jahren als Profi die Verkörperung des jungen Wilden, der auf dem Eis weder die Gegner noch sich selber je schonte. Mentaltrainer? Oder gar Psychologe? So etwas belächelte Wieser damals selbst.
Alle Eishockeyspieler kennen den Gruppendruck unter jungen Spielern, der jene zum Weichei stempelt, die zugeben, mentale Probleme zu haben. Mittlerweile denkt auch er anders: «Es ist überhaupt keine Schande, zum Psychologen zu gehen. Ich ziehe den Hut, feiere jeden, der sich eingesteht, dass er Hilfe braucht.»
Wichtig ist aber auch, dass man herausfindet, was man sich gedanklich zumuten möchte und kann.
Nicht alles Wissenswerte hilft
Wieser will keine Literatur oder Filme über Gehirnerschütterungen und ihre möglichen Spätfolgen konsumieren. «Du machst deine Lebensqualität jetzt schon kaputt, wenn du daran denkst, dass du mit 60 dement sein könntest.» Er verweigerte sich darum selbst dem populären Hollywoodstreifen «Concussion: Erschütternde Wahrheit», der sich um CTE (chronisch traumatische Enzephalopathie) bei Footballspielern dreht, einer degenerativen Erkrankung des Gehirns als Spätfolge von Schlägen gegen den Kopf.
Paschoud hat den Film gesehen, mit Literatur über das Thema hält er sich auch zurück – zumindest jetzt, während der Karriere. Nicht, weil es ihn nicht interessieren würde oder er sich davor verstecken möchte: «Aber du kannst dich mit zu vielem Lesen derart verirren, dass du plötzlich denkst, dein Leben sei am nächsten Tag zu Ende.»
«Wenn ich mit Kopfschmerzen aufwache, denke ich nicht daran, wann ich wieder spielen kann, sondern: Ich möchte wieder normal leben können.»
Paschoud fordert darum auch innerhalb aller Clubs noch mehr Aufklärung gegenüber den Spielern durch immer mehr medizinisches Know-how. Auch er hat seine extreme Geschichte vom Wandel hinter sich. In seinen ersten vier Jahren als Profi war er deshalb oft ein Medienthema, weil er als einziger Davoser in dieser Zeitspanne nie ein Spiel verpasste. Paschoud, der Marathonmann.
Der Schuss ans Ohr im Dezember 2019, die Gehirnerschütterung, das war seine erste Verletzung überhaupt. Das Blatt hat sich gewendet. Wenn Paschoud am Morgen mit Kopfschmerzen erwacht, weicht die Frage nach dem nächsten Spiel immer mehr einem anderen Gedanken: «Ich möchte wieder normal leben können.»
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