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Oksana Tschussowitina: Die ewige Kunstturnerin
Selbst mit 49 lässt sie sich nicht stoppen

Immer noch da: Oksana Tschussowitina will 2024 zu ihren neunten Olympischen Spielen antreten.
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Von all den unfassbaren Elementen, die es im Turnsport gibt, beherrscht sie am besten die Rolle rückwärts. Was angebracht erscheint, denn die Dame ist schon 47, und mit 47 braucht man keine Salti oder Schrauben oder beides mehr zu drehen. Aber man kann – wenn man kann. Und ­Oksana Tschussowitina kann.

Nur mag sie eben auch die Rückwärtsrolle. Schon fünfmal (mindestens!) hat die Usbekin nämlich ihre Karriere für beendet erklärt, doch noch jedes Mal ist sie auf den Entscheid zurückgekommen. Sie turnte nach der Geburt von Sohn Alisher im Jahr 1999 genauso weiter wie nach der WM 2009, nach London 2012, Rio 2016 und Tokio 2021. Bevor sie vor einem Jahr zu den verschobenen Sommerspielen in Japan antrat, sagte sie eigentlich unmissverständlich: «Tokio werden meine letzten Olympischen Spiele sein. Endgültig. Danach werde ich meine Aktivkarriere beenden, dem Sport jedoch als Trainerin treu bleiben.»

Und? Natürlich kam sie auch dieses Mal auf ihren Entscheid zurück. Am Dienstag verriet sie in einem Interview mit der russischen Newssite «MatchTV», dass sie auch bei Paris 2024 antreten will: «Mir wurde bewusst, dass ich weitermachen will. Ich sagte mir: ‹Ich muss es tun, damit ich später nicht bereue, es nicht versucht zu haben.› Ganz egal, was dabei rauskommt.» Paris 2024 wären ihre neunten Olympischen Spiele – nach 1992, 1996, 2000, 2004, 2008, 2012, 2016 und 2021. Die feingliedrige Turnerin wird in jenem Sommer 49 sein.

Der Respekt von Giulia Steingruber

Kunstturnen ist als Kindersport verschrien, seit die Rumänin Nadia Comaneci an den Olympischen Spielen 1976 mit 14 für Furore gesorgt hat. Heute beträgt das Mindestalter bei internationalen Grossanlässen 16 Jahre, doch Mädchen in diesem Alter können bereits mit den Besten mithalten. Auch Tschussowitina bestritt, als sie selbst 16 war, ihre erste WM. Das war 1991 und eine andere Zeit. Noch gab es die Sowjetunion, und die Russinnen waren im Kunstturnen das Mass der Dinge. Der Floh aus Buxoro, kaum 1,50 Meter gross, gewann mit dem Sowjet-Team und am Boden Gold.

1992 folgte der Olympiasieg mit dem Team – nun gab es die Sowjetunion schon nicht mehr, die russischen Sportlerinnen und Sportler starteten in Barcelona in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Und zwei Jahre später kam in Gossau Giulia Steingruber zur Welt. Ab der EM 2011 turnten die beiden gemeinsam und gegeneinander. Seit ­jenen Titelkämpfen zeigt Steingruber auch den von Tschussowitina erfundenen Sprung mit gleichem Namen. Die Schweizerin hat ihn perfektioniert.

«Sie ist unglaublich, ich habe riesigen Respekt vor ihr», sagt Steingruber, die im vergangenen Herbst vom Spitzensport zurücktrat. Mit 27 zählte auch sie zuletzt zur älteren Generation – und war doch viel, viel jünger als ihre Kollegin und Gegnerin. 

«Sie ist biologisch und genetisch perfekt veranlagt, um noch lange turnen zu können.»

Die ehemalige Trainerin Ulla Koch über Oksana Tschussowitina

Woher aber kommt er, dieser Ehrgeiz der feingliedrigen Usbekin, es auch in immer höherem Alter wieder und wieder wissen zu wollen? Einerseits lässt es ihr Körperbau zu, «sie ist biologisch und genetisch perfekt veranlagt, um noch lange turnen zu können», sagt Ulla Koch. Die deutsche Bundestrainerin hatte Tschussowitina während eines Jahrzehnts trainiert, als diese in Deutschland lebte, 2006 die Staatsbürgerschaft erhielt und bis 2012 für den deutschen Turnerbund antrat. Als Deutsche gewann sie 2008 ihre zweite Olympiamedaille: Silber im Sprung.

Auch mit 46 den perfekten Turnkörper: Oksana Tschussowitina bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio.

Andererseits hat ihre lange Karriere viel mit Sohn Alisher zu tun – und eben diesem Gastspiel in Deutschland. Denn 2002 war Tschussowitina seinetwegen nach Köln gekommen, weil nur im dortigen Universitätsspital die Leukämieerkrankung des damals 3-jährigen Buben behandelt werden konnte.

Deutsche Turnfreunde richteten für Alisher einen Fonds ein, und Tschussowitina gab erstmals ihren Rücktritt vom Rücktritt, um mit dem Turnteam Köln national und international an Wettkämpfen anzutreten und Preisgeld für Alishers Behandlung zu verdienen. «Wenn ich nicht turne, kann mein Sohn nicht leben. So einfach ist das. Ich widme ihm jeden Sieg», erklärte sie einmal. Heute ist der Sohn gesund, 23 und lebt in Deutschland.

Für ihren Sohn kehrte sie zum Turnen zurück: Oksana Tschussowitina mit dem damals 7-jährigen Alisher.

Doch wäre es nur um Alisher gegangen, hätte Tschussowitina ja längst aufhören können. Stattdessen wurde (oder wird) sie zum olympischen Evergreen mit einer Zeitspanne von über 30 Jahren. «Ich turne, weil ich diesen Sport mit meinem ganzen Herzen liebe», erklärte sie einmal: «Das Turnen hält mich jung. Die Turnhalle ist mein Fitnesscenter. Ich habe an jeder einzelnen Trainingseinheit und an jedem Wettkampf Spass.»

Das mag nun glauben, wer will, denn wie sagt sie ausserdem, angesprochen auf die Zipperlein des Alltags jenseits der 40? «Dass es da und dort wehtut, blende ich einfach aus. Es ist mein Körper, also entscheide auch ich allein, wie ich ihn ausbeute.» Ihren Trainingsumfang hat Tschussowitina allerdings angepasst: Sie stehe maximal noch 2,5 Stunden in der Halle, aber weiterhin an sechs Tagen pro Woche. Für Paris will sie an ihrem Paradegerät Sprung nochmals an einem neuen Element arbeiten.

Muss man nicht mit 47. Aber kann man. Wenn man kann.

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