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YB-Gegner Ferencváros Budapest
Hooligans im Auftrag der Regierung

Seine Partei Fidesz holte sich die Hooligans des Clubs Ferencváros als Security: Ungarns Regierungschef Viktor Orban bei der Europameisterschaft 2021 in Budapest.
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Budapest hat viele schöne Seiten. Der Stadtteil Ferencváros zählt eher nicht dazu. Der 9. Bezirk gehörte immer schon zu den ärmeren Quartieren der ungarischen Hauptstadt. Heute ist die «Franzensstadt» (so die deutsche Übersetzung) geprägt von riesigen Parkplätzen, einem Rangierbahnhof und dem Brachland ehemaliger Fabriken. Viel zu gross und irgendwie unpassend wirkt in dieser Industrielandschaft das neue Fussballstadion an der Ulloi-Strasse. Wie ein Raumschiff, das sich in eine fremde Galaxie verirrt hat.

Gespielt hat der Fussballclub Ferencvárosi TC an dieser Stelle immer schon. Aber unter der Regierung von Viktor Orban wurde das alte und 18’000 Besucher fassende Stadion durch den protzigen Neubau mit 24’000 Plätzen ersetzt, die nun meistens leer bleiben. Zu den Heimspielen kommen in der Regel nie mehr als 9000 Besucher.

Selbst beim Derby gegen den Budapester Erzrivalen Ujpest war das schöne neue Stadion bei weitem nicht voll. Ferencváros, von Fans und Spielern «Fradi» genannt, hat sich zwar mit 32 Meistertitel und 23 Pokalsiegen in die ungarische Fussballgeschichte als erfolgreichster Verein eingeschrieben. Aber das lockt nicht gerade die Massen an.

Fans aus der Unterwelt

Doch wenn Viktor Orban Stadien bauen lässt, spielen Besucherzahlen nur eine Nebenrolle. Für Orban, der selbst einmal Profifussballer werden wollte, sind die riesigen Arenen Ausdruck nationaler Grösse – also das, um was sich alles in seiner Politik dreht. Die Besucher hingegen bleiben Ferencváros vermutlich vor allem wegen dessen Images fern. Seine Fanclubs gelten als extrem gewaltbereit und brutal, sie bestätigen diesen Ruf regelmässig. Auch die Vereinnahmung des Sports durch die Politik fördert wohl nicht gerade das Publikumsinteresse. Und erst recht nicht, wenn die Politik mit Hooligans gemeinsame Sache macht – was im Fall Ferencváros mehrmals der Fall war.

Diese Verbindung bahnte sich bereits im Kommunismus an. Damals galten die Fanclubs von Ferencváros als Refugium liberaler Regimekritiker, die durch den Besuch der Matchs relativ gefahrlos ihre oppositionelle Haltung zeigen konnten. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs verloren viele ihr Interesse am Sport.

Der Rest wechselte ins nationale Lager. Rechtsextreme Hooligans und Ultras übernahmen die wichtigsten Fangruppen von Fradi. Ihre Anführer trugen Spitznamen wie «Hypo», «Der Blonde» oder «Wieselgesicht», und sie waren gut vernetzt mit der Budapester Unterwelt. Der «Blonde» wurde wegen Mordes zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Fans von Ferencváros gelten als besonders aggressiv und gewaltbereit: Ungarische Hooligans entzünden ein Feuer bei der EM 2021 in der Budapester Puskas-Arena.

2006 hielt der damalige sozialistische Premier Ferenc Gyurcsany eine Geheimrede, in der er seine eigene Partei und die Regierungspolitik als komplett verlogen geisselte. Die Rede wurde den Medien zugespielt, und ihre Veröffentlichung führte zu Ausschreitungen in Budapest, bei denen Fans von Ferencváros in vorderster Reihe standen. Gemeinsam mit Neonazis stürmten sie das Gebäude des staatlichen Fernsehens im Zentrum der Hauptstadt, verwüsteten Büros und legten den Sendebetrieb lahm. Die Unruhen waren der Anfang vom Ende der Sozialisten und legten den Grundstein für den Aufstieg Orbans zur Alleinherrschaft.

Seit Orbans national-konservative Partei Fidesz die Wahlen 2010 mit absoluter Mehrheit gewann, übernahmen Parteifunktionäre oder parteinahe Oligarchen viele ungarische Fussballvereine. Gleichzeitig wurde die staatliche Förderung des Fussballs vervielfacht. Zudem können Unternehmen ihre Steuer statt an den Staat an Sportvereine zahlen. Laut ungarischen Medien wurde Ungarns Fussball in den vergangenen zehn Jahren so mit knapp zwei Milliarden Franken gefördert. Das meiste Geld floss in den Bau neuer Fussballstadien.

Die Groupama-Arena von Ferencváros, benannt nach einer französischen Versicherung als Hauptsponsor, war der erste Neubau in der Hauptstadt. Hier spielte auch schon die Schweiz gegen Ungarn in der WM-Qualifikation. Bald danach folgten ein neues Stadion für den Verein MTK Budapest im Nachbarbezirk «Josefváros» sowie der Neubau das Nationalstadions Puskas-Arena, in der auch Spiele der diesjährigen EM stattfanden.

Nazi-Parolen im Fussballstadion

Weitere Fussballstadien entstanden in beinahe allen Provinzstädten. Orbans Geburtsort Felcsut, ein Dorf mit 1800 Einwohnern, bekam ein Stadion für 3500 Besucher. In der kroatischen Stadt Osijek errichten Firmen regierungsnaher ungarischer Oligarchen gerade ein überdimensioniertes Stadion für den lokalen Verein. Orbans Traum von der Dominanz in ganz Mitteleuropa führt auch und vor allem über den Fussball.

Vereinsvorsitzender von Ferencváros wurde der Parteisekretär und langjährige Wahlkampfleiter von Fidesz, Gábor Kubatov. Die Gewalt der Fanclubs aber ging weiter. Aus ihrer Sympathie mit dem Nationalsozialismus machten sie keinen Hehl. Gegnerische Mannschaften wurden mit «Sieg Heil»-Rufen empfangen oder mit der Ankündigung «Die Züge fahren» – womit Züge ins KZ Auschwitz gemeint waren. Wer versuchte, zu beschwichtigen oder zu vermitteln, der wurde niedergeschlagen.

Ein verurteilter Mörder stieg nach zehn Jahren Gefängnis zum «Fankoordinator» bei Ferencváros auf.

In ihren ersten Regierungsjahren versuchte Fidesz, die Gewaltbereitschaft der Fans für sich zu nutzen. Die Partei setzte die Hooligans von Ferencváros sogar für Ordnerdienste bei ihren Veranstaltungen und zum Schutz bei oppositionellen Kundgebungen vor der Fidesz-Parteizentrale ein. Als Demonstranten 2016 Orbans Pläne zur teilweise Verbauung des Budapester Stadtwäldchens verhindern wollten, waren es die Ordnerdienste von Ferencváros, die die Besetzung gewalttätig auflösten.

Der verurteilte Mörder Ferenc Szabó, genannt «Der Blonde», stieg nach zehn Jahren Gefängnis zum «Fankoordinator» bei Ferencváros auf. 2015 musste er aufgrund seiner Vergangenheit gehen. Der Polizei erzählte er später von Plänen, Schiedsrichter einzuschüchtern oder einen gegnerischen Trainer bewegungsunfähig zu schlagen.

Aus Protest gegen strenge Eintrittskontrollen bleiben viele Fans zu Hause: Das neue Stadion von Ferencváros ist eines der vielen Prestigebauten der Regierung Orban.

Erst mit dem Neubau der Stadien versuchten Orban und sein Sekretär Kubatov, das Problem des Hooliganismus in den Griff zu bekommen. Schwarz vermummte Horden mit Nazi-Symbolen passten doch nicht so ganz zu den neuen Hochglanz-Sportstätten und ihren internationalen Sponsoren. Zudem wollte Orban Budapest unbedingt zum Austragungsort der auf 2021 verschobenen Fussball-EM machen. Was letztendlich auch gelang. Ferencváros führte strenge Zugangskontrollen und personalisierte Tickets ein, worauf die Hardcore-Fans lange Zeit die Heimspiele boykottierten. Auswärts kam es aber weiterhin zu Ausschreitungen.

Fidesz-Sekretär Kubatov ist immer noch Vereinsvorsitzender von Ferencváros. Einige seiner ehemaligen Mitstreiter sind aber nicht mehr dabei. Der ehemalige Sicherheitschef von «Fradi», Csaba Tóth, übernahm mit einer eigenen Firma die Security bei den meisten grösseren Fussballspielen in Ungarn. Der tätowierte Bulle mit Glatze galt als Sicherheitsexperte, aber auch als Verbindungsmann zwischen Fussball und Fidesz. Diesen Juni wurde er überraschend verhaftet. Der Vorwurf: Er soll 2,5 Millionen Franken Steuern hinterzogen haben.