Brisante Reise nach KiewHöchste Schweizerin reist in die Ukraine – auch ein SVP-Mann ist dabei
Eine Viererdelegation des Nationalrats will schon in den nächsten Tagen ins Kriegsgebiet reisen. Ist das mit der Neutralität vereinbar?
Boris Johnson und Ursula von der Leyen waren in den letzten Wochen bereits in Kiew. Jetzt will auch die höchste Schweizerin, Nationalratspräsidentin Irène Kälin, in die Ukraine reisen – und zwar bereits in den nächsten Tagen.
Das bestätigt Karin Burkhalter, die Sprecherin der Parlamentsdienste, zu einem Bericht des «SonntagsBlicks». Laut Burkhalter hat Kälin vor rund zwei Wochen eine entsprechende Einladung des ukrainischen Parlamentspräsidenten erhalten. Kälin habe die Einladung angenommen. «Falls die Reise aufgrund der Lage in der Ukraine tatsächlich durchgeführt werden kann, wird sie nächste Woche stattfinden», sagt Burkhalter. Die Abreise soll vom Parlament vorgängig per Medienmitteilung angekündigt werden.
Doch Kälin wird nicht allein reisen, wie jetzt bekannt wird. Die Politikerin der Grünen wird begleitet von einer überparteilichen Delegation bestehend aus SP-Fraktionschef Roger Nordmann und den beiden Nationalräten Nik Gugger (EVP) und Yves Nidegger (SVP). Die Reise der Parlamentsdelegation ist der erste offizielle Besuch von Schweizer Politikern in der Ukraine seit Kriegsbeginn.
Wie Kälin selber am Sonntag auf Anfrage erklärte, möchten sie und ihre Mitreisenden «der Ukraine durch einen Besuch vor Ort Solidarität zeigen». Die Schweiz sei zwar politisch und diplomatisch neutral, sagt Kälin. «Die Neutralität hindert uns aber nicht daran, dass unsere Herzen für die Ukraine schlagen. Wir stehen bedingungslos auf der Seite des Völkerrechts. Und das dürfen wir auch zeigen.»
Mehrere Nationalräte sagten ab
Vor allem die Teilnahme von SVP-Mann Nidegger ist brisant, weil die SVP-Spitze derzeit im Ukraine-Krieg auf eine absolute Neutralität und politische Äquidistanz zu den beiden Kriegsparteien pocht. Mehrere SVP-Spitzenvertreter und -Aussenpolitiker reagierten am Sonntag entweder nicht auf Anfragen dieser Zeitung – oder wollten sich nicht zur geplanten Reise und zur Teilnahme ihres Parteikollegen Nidegger äussern.
Wie Kälin bestätigt, hat sie zunächst mehrere andere Parlamentarier angefragt, welche sich von ihrer Funktion her für eine solche Reise aufgedrängt hätten – konkret: den Präsidenten der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, Franz Grüter (SVP), den Präsidenten der Schweizer Delegation bei der OSZE, Andreas Aebi (SVP), und den Präsidenten der Schweizer Delegation beim Europarat, Damien Cottier (FDP). Doch diese und andere angefragte Parlamentsmitglieder haben laut Kälin abgesagt.
Ausser Kälin hat auch Ständeratspräsident Thomas Hefti (FDP) eine Einladung des ukrainischen Parlaments erhalten. Unter anderem «aus protokollarischen Gründen», so Parlamentssprecherin Burkhalter, werde Hefti aber nicht teilnehmen. Denn die Ukraine hat – anders als die Schweiz – nur eine Parlamentskammer.
Besuch in Butscha?
Die Reise werde etwa zwei Tage dauern, sagt Kälin. Das genaue Reiseprogramm der Schweizer Delegation sei noch nicht fix. Laut «SonntagsBlick» ist auch ein Besuch in der Stadt Butscha geplant, wo – mutmasslich von russischen Truppen – Hunderte Zivilisten massakriert worden waren. Kälin sagt dazu: «Ich hoffe schon, dass wir auch Gebiete in Augenschein nehmen können, die besonders brutal heimgesucht wurden vom russischen Angriffskrieg. Auch wenn es wehtun wird.»
«Ich hoffe schon, dass wir auch Gebiete in Augenschein nehmen können, die besonders brutal heimgesucht wurden vom russischen Angriffskrieg.»
Die ukrainische Einladung ist parallel auch an andere europäische Parlamente gegangen. Laut Kälin werden voraussichtlich auch Vertreter des rumänischen und des nordmazedonischen Parlaments zeitgleich mit der Schweizer Delegation in der Ukraine weilen.
Kälin kann als Nationalratspräsidentin selber entscheiden, welche Auslandreisen sie in ihrer offiziellen Funktion unternimmt. Dabei spreche man sich auch mit dem Aussendepartement (EDA) ab, sagt Parlamentssprecherin Burkhalter: «Das EDA ist bei jeder Auslandreise einer Parlamentsdelegation involviert.» Claude Wild, der Schweizer Botschafter in der Ukraine, welcher vor Ende Februar in die Schweiz geflüchtet war, wird die Parlamentsdelegation ebenfalls begleiten.
Fehler gefunden?Jetzt melden.