Nationalgoalie Stéphane CharlinEr musste untendurch – nun ist er der stärkste Torhüter in der Schweiz
Die Schweiz hat keine herausragenden Eishockey-Goalies mehr, hiess es noch vor kurzem. Der 24-jährige Genfer beweist gerade das Gegenteil.
- Stéphane Charlin beeindruckt mit einer Fangquote von 96 Prozent, womit er der stärkste Torhüter der National League ist.
- Der Genfer wurde von Patrick Fischer zum zweiten Mal für die Nationalmannschaft aufgeboten.
- In Langnau musste Charlin seine Tauglichkeit für die höchste Liga erst unter Beweis stellen – und an seiner physischen Verfassung arbeiten.
- Die Schweizer Torhüter erhalten von den NL-Clubs wieder mehr Eiszeit, was ungemein wichtig ist. Denn bald könnte eine Ära zu Ende gehen.
Quizfrage: Wer ist der stärkste Goalie der National League? Sie denken vielleicht an Simon Hrubec, den tschechischen Meisterkeeper der ZSC Lions. Oder an Biels Olympiasieger und Weltmeister Harri Säteri. Falsch.
Es ist ein 24-jähriger Schweizer, der in diesen Wochen für Aufsehen sorgt. Das überrascht umso mehr, weil er für Langnau spielt, das den zweitletzten Platz belegt. In elf Spielen hat Stéphane Charlin nur gerade 15 Tore erhalten, womit er auf die sagenhafte Fangquote von 96 Prozent kommt. Nationaltrainer Patrick Fischer sagt über ihn: «Er ist unglaublich gut.» Wenig überraschend hat er den 1,91 Meter grossen Goalie für den Karjala-Cup in Helsinki aufgeboten, an dem die Schweiz diese Woche auf Finnland, Schweden und Tschechien trifft. Das ist ein schöner Lohn für einen, der vor nicht allzu langer Zeit noch infrage gestellt wurde.
Geht Charlin in die NHL?
Im Frühjahr 2022 verpflichteten die SCL Tigers den bei Servette nach schwachen Darbietungen nicht mehr erwünschten Charlin. Dafür musste sich der damalige Sportchef Marc Eichmann, ein früherer Goalie, Kritik anhören. Und sie wurde nicht leiser, als Charlin zum Saisonstart 2022/23 in drei Spielen 15 Treffer kassierte. Zumal die Konkurrenz nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs Weltklasse-Torhüter aus der KHL verpflichtete.
Doch die Emmentaler liessen sich nicht von ihrem Weg abbringen. Bald schon bildete Charlin mit Routinier Luca Boltshauser ein solides Duo. Heute sagt er: «Das letzte Jahr in Genf lief nicht gut, ich brauchte Vertrauen. Und in Langnau hat man alles getan, um mir Vertrauen zu geben.»
Wobei er hart dafür arbeiten musste. Sein Trainer Thierry Paterlini, der ihn schon in der U-18- und U-20-Nationalmannschaft coachte, sagt: «Stéph war schon früh ein guter Goalie. Allerdings hat er auch von seiner Grösse profitiert, vielleicht ist es ihm deshalb etwas zu einfach gegangen.» Jedenfalls sei er physisch nirgends gewesen, als er nach Langnau gekommen sei. «Er musste erkennen, was es bedeutet, Profi zu sein.» Doch Charlin erhielt Zeit – und mit den schwedischen Goalietrainern Viktor Alm (bis 2023) und William Rahm Förderer zur Seite gestellt.
Nun macht der Romand den nächsten Schritt und wechselt zurück nach Genf, beim Champions-League-Sieger hat er bis 2028 unterschrieben. «Ich brauche eine neue Herausforderung, und Servette bot mir dafür die beste Möglichkeit», sagt er. Allerdings ist unklar, ob er sein Engagement bei den Genfern überhaupt antreten wird.
Das Abkommen mit der NHL ermöglicht es ihm, ohne Klausel nach Nordamerika zu wechseln. Und Charlin macht keinen Hehl aus seinen Ambitionen: «Wenn sich eine wirklich gute Chance ergibt, werde ich sie packen.» Für eine NHL-Organisation könnte er interessant sein, weil er bereits 24 und Profi ist und deshalb nicht mehr durch den NHL-Draft muss. Die Clubs müssten also weder Draft-Rechte investieren noch eine Kompensation leisten. Die Calgary Flames und Philadelphias Europa-Scout Sami Kapanen – er coachte einst Lugano – haben den Goalie jedenfalls bereits fleissig beobachtet.
Die Ängste sind verschwunden
Die Entwicklung Charlins ist auch für Nationaltrainer Fischer wichtig. Schliesslich neigt sich die Ära von Leonardo Genoni und Reto Berra (beide 37), die am Ursprung der WM-Silber-Medaillen von 2013, 2018 und 2024 stehen, langsam dem Ende zu.
Genoni hat verletzungsbedingt in dieser Saison noch kein Spiel absolviert, Berra ein wenig von seiner Dominanz eingebüsst. Es ist noch nicht lange her, da herrschte Alarmstimmung bei den Verantwortlichen von Swiss Ice Hockey, weil die Schwemme an herausragenden Torhütern junge einheimische Talente in den Hintergrund drängte. «Vor ein, zwei Jahren machten wir uns alle extrem Sorgen», hält Fischer fest. «Aber nun sehe ich es unglaublich positiv. Es kommen einige Schweizer Goalies hoch, die Eiszeit bekommen und ihre Qualitäten zeigen.»
Neben Charlin erwähnt der Nationaltrainer Klotens Ludovic Waeber (28) und Ambris Gilles Senn (28) die eine starke Saison spielen. Zudem wurde Akira Schmid (24) nach schwierigen Monaten von den Vegas Golden Knights ins NHL-Kader befördert. Und Connor Hughes (28), letzte Saison noch bei Lausanne, überzeugt in der AHL. Apropos Lausanne: Der Playoff-Finalist setzt diese Saison auf das Schweizer Duo Kevin Pasche (21) und Antoine Keller (20) – die beiden gefallen mit soliden Auftritten.
Fischer schreibt die Routiniers aber keineswegs ab, er sagt: «Es war unglaublich, wie Leo an der WM performte. Für Reto war es schwieriger. Aber die beiden sind noch nicht weg, nur drücken nun Junge nach oben.» Klar ist, in den nächsten Monaten wird Fischer weiteren Talenten eine Chance geben, sich im Nationalteam zu zeigen.
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